Henkel ruft zur AfD-Säuberung auf

AfD-Vize Hans-Olaf Henkel will „Unvernünftige, Intolerante und Unanständige“ aus der Partei drängen. Derweil bemühen sich andere um eine Befriedung des Machtkampfes.

In Hamburg schwant Jörn Kurse nichts Gutes. „Ich bin sehr sauer, dass dieser Streit öffentlich ausgetragen wird“, sagt der AfD-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl Mitte Februar. „Wir haben dadurch sicherlich Nachteile im Wahlkampf.“ Gemeint ist der Machtkampf in der AfD-Bundesspitze, in dem Parteichef Bernd Lucke und Vize Hans-Olaf Henkel den Ko-Sprechern Frauke Petry und Konrad Adam sowie Vize Alexander Gauland unversöhnlich gegenüberstehen.[1]

Lucke und Henkel wollen, dass die Partei künftig allein von Lucke geführt wird. Die anderen möchten die Dreier-Spitze beibehalten. Zuletzt wurde darüber in einer Art und Weise gestritten, die tief ins Persönliche abglitt und in einer unfassbaren Mail von Henkel an Adam gipfelte, die geeignet ist, das Ansehen des Absenders dauerhaft zu beschädigen.

„Der letzte Akt“

„Nebenbei machen Sie sich selbst immer lächerlicher. Was für ein Absturz! Gibt es in Ihrem Umfeld denn niemanden mehr, der Ihnen mal den Spiegel vorhält? Was müssen Ihre ehemaligen Kollegen, Freunde und Verwandten eigentlich aushalten? Selten wurde ich Zeuge einer so dramatischen Persönlichkeitsveränderung. Ein Drama! Ich hoffe, der letzte Akt wird bald aufgeführt und Sie treten von der Bühne“, schrieb Henkel.

Nicht wenige in der Partei bezogen den letzten Satz nicht nur auf die politische Position Adamas und meinten, ihnen grause es angesichts einer solchen Rhetorik aus der Feder eines Mannes, der sich selbst als liberale Stimme der Partei verstehe. Henkel indes legte am Wochenende nach.

In der Tagesschau regte er gar eine Säuberung der Partei an:

„Wir haben auch Unvernünftige, Intolerante und Unanständige in unserer Partei. Die wollen wir loswerden“, sagte er, indem er in dieses „Wir“ deutlich erkennbar Lucke mit einbezog und bekräftigte: „Und die müssen wir loswerden.“

Hintergrund der Aussage ist die durch einen von Petry, Adam, Gauland und den Europa-Abgeordneten Marcus Pretzell und Beatrix von Storch unterzeichneten Brief bekannt gewordene Absicht Luckes, all jene aus der Partei auszuschließen, die „kritisch über Zins- und Zinseszins, das Geldsystem oder eine goldgedeckte Währung, über den Einfluss amerikanischer Banken auf die Politik oder die Souveränität Deutschlands“ nachdächten. Die AfD lehne ab, was als sogenannte Systemkritik daherkomme, soll Lucke gesagt haben.

„Auf Linie bringen“

Gauland sagt genau das Gegenteil. „Ich hätte ein Problem damit, dass Menschen, die vielleicht nicht immer so klug und differenziert argumentieren wie Herr Lucke das gewöhnt ist, gleich in die Ecke der Verschwörungstheoretiker gestellt werden. Mit diesen Menschen muss man sich auseinandersetzen, und man muss versuchen, die Menschen, die mit uns zusammenarbeiten wollen, zu halten.“

Mit ihrem Brief hatte die Gruppe um Petry und Gauland auf einen Lucke-Vorstoß reagiert, der die Kreisvorsitzenden für den 18. Januar zu einer Konferenz nach Frankfurt gebeten hatte. Dort will er für die von ihm präferierte Machtstruktur werben. Nach Ansicht der Unterzeichner des Briefes sollen die Kreisvorstände „auf Linie“ gebracht werden.

Nachdem das ganze Wochenende über keine Bewegung der Streitparteien erkennbar war, verkündete AfD-Pressesprecher Christian Lüth am Motagmorgen überraschend, bei einer Telefonkonferenz sei ein Treffen der Kritiker mit Lucke noch vor dem 18. Januar vereinbart worden. Auf Nachfrage von GEOLITICO sagte Adam: „Die Absicht ist mir wohl bekannt. Ich kenne aber keinen Termin für ein solches Gespräch.“ Gauland bestätigte nur, Lucke habe am Morgen einem solchen Vorschlag zugestimmt. Ob und wann es zu einem solchen Gespräch komme, sei ungewiss.

Lucke-Getreue machen mobil

Entscheidend für ein solches Zusammentreffen ist die Möglichkeit, einen Kompromiss zwischen den Streitparteien herzustellen. Der aber ist derzeit nicht in Sicht. Lucke-Getreue wie das aus Bayern stammende Vorstandsmitglied Verena Brüdigam mobilisieren seit dem Wochenende Unterstützer für den Parteichef.

„Es wird ganz entscheidend sein, dass alle Mitglieder, die meine Position und damit die Einerspitze mit Bernd Lucke mittragen, sich bis spätestens 9.1. zum Parteitag in Bremen anmelden“, schreibt sie. Nur für Lucke zu sein, aber die Stimmen seinen Gegnern zu überlassen, sei ein „nicht mehr wieder gut zu machender Fehler“.

Brüdigam weiter:

„Einerspitze in Sachsen: Petry, Einerspitze in Brandenburg: Gauland, Einerspitze in NRW: Pretzell. Alles funktioniert. Dreierspitze in Hessen mit Adam: Querelen ohne Ende. Wie kann man sich gerade aus diesen Bundesländern mit diesen Führungsstrukturen kommend für eine Mehrfachspitze aussprechen. Oder geht es doch nur um Macht?“

Auch der Hamburger Wahlkämpfer Kruse bezieht klare Postion für Lucke: „Ich würde mir wünschen, dass er den alleinigen Vorsitz übernimmt.“ So sieht es ebenfalls Bernd Kölmel, Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, Europa-Abgeordneter und einer der wenigen, die auch menschlich Zugang zu Lucke haben. „Ich stehe hinter Bernd Lucke“, sagt Kölmel. Faktisch habe die AfD doch schon nur einen Vorsitzenden, der in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde, da müsse man sich nichts vormachen. Und die AfD könne sich „glücklich schätzen, einen Mann wie Lucke an der Spitze zu haben“.

Wo ist der Kompromiss?

Unterhalb der Ebene der Kreisvorsitzenden aber regt sich Unmut gegen Lucke. Ein im November vergangenen Jahres bekannt gewordene Brief des bayerische Landesvorstandes, indem dieser forderte, Gauland und Petry zur Ordnung zu rufen, löste etwa einen Proteststurm der Basis aus.[2]

„Unserer Auffassung nach gefährdet die Austragung von parteiinternen Konflikten über die Medien die Einheit und den Bestand unserer Partei“, schrieb der Bayerns-Vorstand damals. „Insbesondere die jüngsten Aussagen Alexander Gaulands werden von uns als sehr parteischädigend empfunden.“ Fast sämtliche Bezirke Bayerns protestierten daraufhin, der Brief sei gegen ihre Zustimmung abgeschickt worden. Auch Mitgliedern aus Nordrhein-Westfalen verurteilten den Brief des Bayern-Vorstands aufs Schärfste.

So gilt als fraglich, dass Lucke auf dem Mitgliederparteitag Ende Januar in Bremen die nötige Zweidrittelmehrheit für die von ihm angestrebte Satzungsänderung erhalten wird. Weil aber keine Seite an einer vernichtenden Niederlage in Bremen interessiert ist, organisieren einflussreiche AfD-Mitglieder derzeit die Suche nach einem Kompromiss. Denn ein solcher Vorschlag ist auch für das zwischen Lucke und seinen Kritikern geplante Gespräch unverzichtbar.

Sinkende Popularität

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke etwa schlägt vor, den Machtkampf mit einer Doppelspitze zu schlichten. „Wir gehen jetzt erstmal einen Zwischenschritt, das wäre zum Beispiel eine Zwei-Sprecher-Lösung“, sagt er. In Berlin heißt es, jene, die noch menschlich Zugang zu Lucke hätten, bemühten sich, bei Lucke um Verständnis für eine solche Lösung zu werben. Gauland, Adam, Pretzell und von Storch könnten einem solchen Modell vermutlich auch zustimmen, wenn die bisherige Ko-Sprecherin Frauke Petry dann die zweite gleichberechtigte Vorsitzende neben Lucke bliebe.

Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. Und der Wähler hat wohl schon jetzt die Nase voll von den Streitigkeiten. Denn in einer aktuellen Umfrage im Auftrag der „Märkischen Allgemeinen“ (MAZ) hat die Partei in Gaulands brandenburgischem Landesverband deutlich an Zustimmung verloren. Bei der Landtagswahl vor drei Monaten hatte sie aus dem Stand heraus 12,2 Prozent der Stimmen geholt, heute käme sie auf nur noch acht Prozent. Wie gesagt, Jörn Kruse in Hamburg schwant nichts Gutes.

 

Anmerkungen

[1] Günther Lachmann, „AfD-Spitze verfeindet gefangen“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2015/01/02/afd-spitze-verfeindet-gefangen/

[2] Günther Lachmann, „AfD-Basis stützt Lucke“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2014/11/26/afd-basis-stuetzt-bernd-lucke/

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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