AfD-Spitze verfeindet gefangen

In Zeiten von Pegida könnten die gesellschaftlichen Chancen der AfD kaum größer sein. Doch die AfD-Spitze droht an Machtversessenheit und Hass zu scheitern.

Rund 97.000 Facebook-Freunde haben die zehn größten Pegida-Bündnisse von München bis Bochum bereits. Das sind 14.000 mehr als vor dem Jahreswechsel. Offenbar hat die Kritik von Kanzlerin Angela Merkel der Bewegung nichts anhaben können, sondern möglicherweise sogar das Gegenteil bewirkt.

„Heute rufen manche montags wieder ,Wir sind das Volk’“, sagte Merkel mit Blick auf die Protestmärsche durch Dresden. Und weiter: „Aber tatsächlich meinen Sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion. Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“

Anders als Merkel war AfD-Vize Alexander Gauland zum Jahreswechsel mit seiner Brandenburger Landtagsfraktion als Beobachter einer Pegida-Demonstration in Dresden. Was er sah, bestätigte ihn in seiner Auffassung, die Pegida-Demonstranten seien „die natürlichen Verbündeten“ seiner Partei. Man könnte auch sagen, in der Bewegung versammelt sich natürliche Wählerpotenzial der AfD.

„Ausdruck des Misstrauens“

In der Parteispitze wurde Gauland für diese Einschätzung anfangs heftig kritisiert. Parteichef Bernd Lucke und AfD-Vize Hans-Olaf Henkel waren strikt gegen jede Annäherung an die Bewegung, ganz egal, ob deren Sympathisanten nun AfD wählen würden oder nicht.[1] Im Parteivorstand fällten sie über Pegida ein ähnlich vernichtendes Urteil wie jenes, das Merkel zu Weihnachten verkündete. Konrad Adam warnte damals vor einer Vorverurteilung, und Frauke Petry schlug sich von Beginn an klar auf Gaulands Seite. Sie knüpfte sogar erste Kontakte und will Pegida noch im Januar zum Kennenlernen in ihre Landtagsfraktion einladen.

„Pegida ist Ausdruck des Misstrauens der da unten gegen die da oben“, sagt Konrad Adam. „Weil Wähler und Gewählte in diesem Land immer weiter auseinanderfallen.“ Es sei nur richtig, wenn die AfD die Enttäuschung und Ratlosigkeit der Bürger ernst nehme. die nicht nur bei Pegida zum Ausdruck kommt, sondern etwa auch in der „Mahnwachenbewegung“ und in den „Montagsdemonstrationen“.[2] Sie zeigt sich in demonstrierenden Abtreibungsgegnern und bei den Anhängern der lokalen „Pro“-Bewegungen in Nordrhein-Westfalen. All diese Gruppen eint der Unmut über die herrschenden Verhältnisse, sie misstrauen den etablierten Parteien und den Medien.

„Ist es eine Apo von rechts mit der AfD als parlamentarischem Arm?“, fragt die „Zeit“ nicht ohne Grund.[3] Das Blatt zieht einen Vergleich zur „Querfront“ der Weimarer Republik, als sich „Konservative aus Furcht vor dem ,amerikanischen Kapitalismus’ mit Bolschewisten zusammentaten“. Dieser Theorie zufolge wäre die AfD das natürliche Sammelbecken für alle Querulanten von links und von rechts.

Gesellschaftliche Chancen der AfD

Wirft man einen Blick auf die inhaltliche Entwicklung der AfD, dann steuern diese Gruppen auf ihrer Suche nach einer politischen Heimat zweifellos auf eine AfD zu, deren national-konservativer Kern sich in ihren Positionen zur Sicherheitspolitik, zur Flüchtlings- und Asylpolitik und der Familienpolitik immer deutlicher herausschält. Und wo immer Gauland um Verständnis für die russische Politik wirbt, erntet er reichlich Applaus.

Seit der Gründung der Grünen also waren die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine neue Partei nie so gut wie derzeit für die AfD. Denn es bildet sich ein Milieu, zu dem die etablierten Parteien trotz der vermehrten Anstrengungen seit den Wahlerfolgen der AfD bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland keinen Zugang finden. Von ihnen wenden sich die Menschen ab. Auch sind alle Versuche der Freien Wähler oder der rechtsextremen NPD gescheitert, vom AfD-Erfolg zu profitieren.

Folglich hätte die AfD allen Grund optimistisch in die Zukunft zu blicken. Doch den gesellschaftlichen Chancen stehen seit einiger Zeit gewaltige parteiinterne Hindernisse im Weg, die weitaus größer sind als die vielen personellen Auseinandersetzungen in den Landesverbänden. Zum Jahreswechsel sieht es gar so aus, als könne die Parteispitze auf dem Satzungsparteitag Ende Januar in Bremen zerbrechen.[4] Zu tief sind die Gräben zwischen Parteichef Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel auf der einen und Frauke Petry, Alexander Gauland und Konrad Adam auf der anderen Seite.

Luckes Kalkül

Auf dem Parteitag sollen die AfD-Mitglieder nämlich über eine Satzung abstimmen, die Bernd Lucke zum alleinigen Vorsitzenden der Partei machen würde. Außerdem erhielte er das Recht auf einen Generalsekretär seiner Wahl. Obwohl Petry, Gauland und Adam im Vorstand konsequent gegen diese Satzung votierten, wird sie auf dem Parteitag debattiert. Lucke soll dies mit einer Rücktrittsdrohung erzwungen haben.

Damit brachte er nicht nur den Vorstand, sondern die gesamte Partei in eine prekäre Lage. Denn unmittelbar nachdem GEOLITICO die Tagesordnung des Parteitages veröffentlicht hatte, brach an der Basis ein Proteststurm dagegen los. Schließt man aus den Stimmen auf die Stimmung in der Partei, dann gibt es wenig Verständnis für Luckes Verhalten. All das blieb nicht ohne Wirkung auf den AfD-Chef. Er sei verzweifelt, heißt es in seinem Umfeld. Und aus dieser Verzweiflung heraus habe er nun ohne Rücksprache mit dem engen Führungskreis die Kreisvorsitzenden zu einer gesonderten Konferenz nach Frankfurt eingeladen.

Unterzeichnet war die Einladung lediglich von Lucke und dem früheren CDU-Mann Gustav Greve, der im AfD-Bundesvorstand den Arbeitskreis Europapolitik leitet. Die beiden schrieben:

„Der Bundesparteitag der AfD am 30.1-1.2.2015 wird das öffentliche Erscheinungsbild der AfD unmittelbar vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg und weit darüber hinaus prägen. Mit ihm treffen wir wichtige Entscheidungen über die künftige Führungsstruktur der Partei und setzen ein Auftaktsignal für die programmatische Debatte in der AfD, die das ganze, relativ wahlkampfarme Jahr 2015 beherrschen wird und gegen Ende des Jahres in unserem ersten Parteiprogramm münden soll. Damit der Bundesparteitag und das Jahr 2015 zu einem Erfolg wird, möchten wir gerne mit Ihnen vorab sowohl über die Satzung als auch über den Programmprozess und die strategische Ausrichtung der AfD sprechen. Wir glauben, dass es im Interesse eines erfolgreichen Bundesparteitags wichtig ist, die Verantwortungsträger der Partei rechtzeitig über anstehende Entscheidungen und Prozesse zu informieren und uns über Ihre Einschätzung der Lage und der Entwicklung der AfD auszutauschen. Wir wollen dies gerne in einer (nichtöffentlichen) bundesweiten ,Kreisvorsitzendenkonferenz’ tun.“

Hass, Angst, Machtversessenheit

In den Kreisen wunderten sich die Vorstände nicht nur über die Form der Einladung, sondern stellten auch ganz praktische Fragen. So bat der Vorsitzende des Kreises Dachau-Fürstenfeldbruck um Auskunft darüber, ob es sich um eine offizielle Veranstaltung des AfD-Bundesverbandes handle, die durch einen Beschluss des Bundesvorstandes legitimiert sei. Er wollte wissen, wer die Kosten der Veranstaltung trage und wer für die Anreisekosten der Eingeladenen aufkomme.

Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass es sich keineswegs um eine Parteiveranstaltung handle, da es „einen Beschluss des Bundesvorstandes in dieser Sache nicht gibt“. Wer die Kosten trage, sei einstweilen offen. Jedenfalls könne die Partei nicht in Anspruch genommen werden. Sprich jeder müsse selbst zahlen. In der Folge soll Konrad Adam eine zutiefst verletzende Mail von AfD-Vize Henkel erhalten haben.[5] Damit habe sich Henkel dauerhaft unmöglich gemacht, heißt es in der Partei. Er soll Adam darin sinngemäß mindestens das Ende dessen politischer Karriere gewünscht haben. Es gibt auch Stimmen, die sagen, der Wortlaut könne noch niederträchtiger interpretiert werden.

Es sind Szenen kaum verhüllten Hasses, von Angst und blinder Machtversessenheit, die sich zu Beginn des neuen Jahres im Vorstand der AfD abspielen. Sind schon die inhaltlichen Risse kaum noch zu kitten – die zwischenmenschlichen sind es anscheinend noch weniger. Diese AfD-Spitze ist in einem durch Konflikte hochexplosiv aufgeladenen Zustand in sich selbst gefangen.

Ausweglose Situation?

Denn was ist, wenn Lucke auf dem Parteitag mit seinem Satzungsentwurf unterliegt? Sollte er in diesem Fall tatsächlich zurücktreten, stünde die Partei unmittelbar vor der wichtigen Landtagswahl in Hamburg ohne ihren nach wie vor populärsten Vertreter da. Umgekehrt stellt sich die Frage, was Petry, Adam und Gauland machen, wenn Lucke sich mit seinem Vorschlag durchsetzt. Tolerieren sie seinen Alleingang, haben sie sich auf lange Zeit unglaubwürdig gemacht. Ihre Autorität wäre dahin oder würde doch stark leiden. Träten sie aber geschlossen zurück, brächten sie die Partei in eine ähnliche Lage wie ein Lucke-Abgang. Denn auch für sie hätte die AfD ebenso wenig Ersatz wie für Lucke.

Im Grunde also hat sich die AfD-Spitze durch ihren Streit um die Macht in der Partei in eine schier ausweglose Situation befördert, mit der sie den weiteren Erfolg der gesamten Partei aufs Spiel setzt. Als möglicher Kompromiss liegt zwar die Beibehaltung des bisherigen Drei-Sprecher-Gremiums auf dem Tisch. Doch dem verweigert sich Lucke. Henkel zieht sich völlig aus der Parteiarbeit zurück, plant lieber eine Reise in die USA als seine Teilnahme am so wichtigen Satzungsparteitag.

Nach anderthalb Jahren ist die AfD an einem äußerst kritischen Punkt angelangt. Sie muss ihren Anhängern und den Wählern zeigen, ob sie die Stimmung in der Gesellschaft aufnehmen und in verwantwortungsbewusste Politik umsetzen kann. Sie muss sich selbst beweisen, dass sie debatten- und kompromissfähig ist. Das aber setzt voraus, dass sie auch in der Spitze zu der sich an der Basis entwickelnden Identität steht. Kurz, die AfD muss im neuen Jahr die Frage beantworten, wer sie sein will. Und mit wem sie es sein will.

Anmerkungen

[1] Günther Lachmann, „Pegida bringt AfD-Spitze in Not“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2014/12/06/pegida-bringt-afd-spitze-in-not/

[2] Günther Lachmann, „AfD holt Elsässer und Popp“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2014/10/28/afd-holt-elsaesser-und-popp/

[3] Thomas Assheuer, „Die nationale Querfront“, Zeit Online: http://www.zeit.de/2014/52/pegida-proteste-links-rechts

[4] Günther Lachmann, „Bernd Lucke will die AfD kapern“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2014/12/17/bernd-lucke-will-die-afd-kapern/

[5] Günther Lachmann, „Wie Henkel sich in der AfD irrte“, GEOLITICO: https://www.geolitico.de/2014/11/03/wie-henkel-sich-in-der-afd-irrte/

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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