Korruptions-Sumpf in Portugal

Portugals Ex-Ministerpräsident Sócrates ist in Haft. Ihm werden Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Das angeblich gerettete Land taumelt wieder am Abgrund.

Der ehemalige portugiesische Ministerpräsident José Sócrates ist unter dem Verdacht der Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung festgenommen worden. Der Verdacht der Steuerhinterziehung kam auf, da Sócrates einen Lebensstandard führte, der nicht dem seines Politikereinkommens zu entsprechen schien. In Anbetracht der Komplexität des Falles verordnete das Gericht Schutzhaft aufgrund von Fluchtgefahr, was für ihn bedeuten kann, dass er während laufender Ermittlungen für ein Jahr in Haft verbringt.

Einen vergleichbaren Fall hat es in 40 Jahren portugiesischer Demokratie noch nie geben. Er löste ein starkes politisches Erdbeben aus. Der Sozialist Sócrates war von 2005 bis 2011 Ministerpräsident in Portugal und ist einer der umstrittensten und kontroversesten Persönlichkeiten der portugiesischen Politik. Seine Festnahme hat für so viel Unruhe in der sozialistischen Partei (PS) gesorgt, dass sie seither völlig panisch ist.

Luxusapartment in Paris

Einzelheiten über das Verfahren sind kaum bekannt. In den Medien wird über eine Korruptions-Intrige berichtet, in der es um Zahlungen eines Bauunternehmens geht, das lukrative Aufträge erhielt. Der Verdacht der unrechtmäßigen Bereicherung gegen den früheren Ministerpräsidenten machte sich schon früh an seinen teuren Autos fest, an seinen Designeranzügen und seinem drei Millionen Euro teuren Apartment in Paris (nach 2011 lebte er in Frankreich und studiere Philosophie).

Sócrates größter Triumph seiner politischen Karriere ereignete sich 2005. Damals gewann die sozialistische Partei gewann mit großer Mehrheit. Das Wahlergebnis schien ihr eine rosige Zukunft zu versprechen. Sócrates kontrollierte die Medien und weiterte den Sozialstaat aus. 2009 wurde er wiedergewählt, diesmal mal aber mit einer Minderheitsregierung. Als er an der Macht war, erhöhten sich die Staatsausgaben von 47% des BIP auf 52%. Die Staatsverschuldung stieg von 60% des BIP auf über 90% (in heutiger Rechnung waren es sogar 118% des BIP).

Opfer der Bevölkerung

Das führte dazu, dass das Land beinahe Konkurs ging. Die Finanzmärkte liehen Geld mit hohem Kostenfaktor und der Ministerpräsident war gezwungen, sich auf den Bailout einzulassen, nachdem es sich Monate widersetze, was die Situation nur verschlechterte.

Sócrates ist bekannt für seine Dickköpfigkeit. 2011 verhandelte er das Memorandum mit der Troika, aber da die tatsächliche Finanzlage zur der Zeit noch nicht bekannt war, wurden nicht zu erreichende Fristen gesetzt. Das dreijährige Sparprogramm hätte über fünf bis sieben Jahre gestreckt werden müssen, um die Folgen abzufedern.

So führte die Ungeduld der Geldgeber zu großen (und unnötigen) Opfern auf Seiten der Bevölkerung. Der Sozialdemokrat Pedro Passos Coelho (PSD), der an der Spitze der Mitte-Rechts Koalition stand, die die Wahl 2011 gewann, konnte die Situation nie erklären und die Reformen nicht umsetzen. Heute ist er äußerst unbeliebt.

Verkauf der Novo Banco

Das Ermittlungsverfahren gegen Sócrates ist der jüngste Fall in einer Reihe von Skandalen, die die portugiesische Gesellschaft derzeit verändern. Das Ende einer der größten Banken des Landes, der Banco Espírito Santo (BES) ist noch immer ein einziges Fragezeichen. Die Institution, die von der Espírito-Santo-Familie gesteuert wurde, repräsentierte 20% des Finanzsektors. Als sie zusammenbrach, wurde die Regierung von Seiten der Europäischen Zentralbank und den europäischen Behörden gezwungen (oder es wurde beschlossen, das ist noch nicht ganz klar), einen sogenannten Lösungsmechanismus zu implementieren. Unter diesem System übernimmt der Bankensektor die Verantwortung für die scheiternden Banken, ohne öffentliche Gelder anzurühren. Portugal war das Versuchskaninchen für diesen neuen europäischen Mechanismus.

BES wurde in eine „gute“ und eine Bad-Bank aufgeteilt. Die Aktieninhaber gingen zur Bad-Bank und riskierten große Verluste. Währenddessen investierte die Regierung Troika-Geld, also zusätzliche Schulden, für die Steuerzahler später aufkommen müssen, in den Rettungsmechanismus. Die „gute Bank“, die heutige Novo Banco, wird für 4,9 Milliarden Euro verkauft – ansonsten würden nämlich erhebliche Verluste im Bankensektor und schließlich auch für den Staat entstehen, falls die Banken doch nicht für die Rechnung aufkommen. Niemand weiß, was bei diesem Kauf passieren kann, was Rechtsstreitigkeiten auslösen kann oder was auf die Anleger zukommt, die BES-Aktien gekauft haben.

Populistische Rebellion

BES wurde als Staatsbank angesehen und ihr Vorsitzender, Ricardo Salgado (gegen den auch ermittelt wird), war der mächtigste Mann in dem Land, mit vielen politischen Kontakten. Seine Bank hat die größten Unternehmen, die größten Projekte und die Fußball-Teams finanziert.

BES hat nie um eine Rettung gebeten, denn es sieht ganz so aus, als sei die Buchführung der Bank seit Beginn der Finanzkrise gefälscht worden. In den letzten Monaten des kaskadenartigen Zusammenbruchs der BES-Gruppe erhielt Salgado noch ein riesiges Darlehen von der Portugal Telecom (PT), die zu der Zeit mit einer brasilianischen Firma verhandelte. Als der Skandal rauskam, wurde nichts mehr aus dem Brasilien-Deal. Jetzt droht dem ehemaligen Telekom-Monopolisten PT und damit einer der heiligen Kühe des politischen Systems der Zusammenbruch.

Die Menschen stehen ratlos vor all diesen Veränderungen. Gegen all ihre Widerstände wurde der Bailout abgeschlossen. Zwar wächst die Wirtschaft jährlich um 1%, aber das ist nicht genug, um die Verpflichtungen des europäischen Fiskalpakts einzuhalten. Die Zinsen sind niedrig, das Land ist für eine Weile in der Lage, sich zu refinanzieren, die Arbeitslosenrate sinkt und es gibt – angeblich – einen Primärüberschuss. Aber die Staatsausgaben sind nach wie vor nicht unter Kontrolle und das Wachstum ist viel zu gering. Weil dies so ist, sorgen die Medien für eine pessimistische Stimmung, und die Skandale könnten eine populistische Rebellion auslösen.

Politische Wandlung

In diesem Kima erfreut sich die Mitte-Rechts-Koalition keiner großen Beliebtheit: In den Umfragen kommt sie nur auf ein Drittel der Stimmen aus ihrem Wählerpotenzial. Dem Land dürfte also ein langer Vorwahlkampf bevorstehen. Im Oktober 2015 wird es wahrscheinlich Parlamentswahlen geben, die direkt von der Präsidentschaftswahl abgehalten werden.

Vor Sócrates’ Verhaftung waren die Sozialisten die klaren Favoriten für die ersten Wahlen (die wichtigsten) und die Sozialdemokraten für die zweite. Der Grund dafür ist, dass die Menschen nicht alle Eier in ein und denselben Korb legen wollen.Jetzt bleibt abzuwarten, wie die Ergebnisse ausfallen werden.

Vor kurzem wählte die sozialistische Partei mit António, Costa (48) einen neuen Vorsitzenden. Er ist Lissabons Bürgermeister und Sócrates-Vertrauter. Die Vorwahlen im Sommer waren beispiellos. Sie führten zu einer breiten öffentlichen Debatte und mobilisierten 170.000 Stimmen. In der Folge schwenkte die Partei weiter nach links, und der gestürzte António José Seguro versuchte sich von vom kontroversen Sócrates Erbe zu distanzieren.

Fernseh-Predigten

Der neue Sozialisten-Chef ist beliebt und hält sich in den Umfragen gut gegen die Mitte-Rechts-Koalition. Trotzdem: In der Politik ist ein Jahr eine Ewigkeit, und die PS geht auf eine endlose Diskussion über Korruption, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Bankrott und politischer Fehler zu.

Übrigens: Jeden Sonntag erlebt Portugal ein politisch-mediales Phänomen: Im Fernsehen treten Politiker als politische Kommentatoren auf. Sócrates hatte so ein Programm. Zeitgleich ging sein bekannter Rivale, Marcelo Rebelo de Sousa, ein Juraprofessor und ehemaliger Vorsitzender der PSD, auf einem anderen Kanals auf Sendung. De Sousa ist eine sehr beliebte Persönlichkeit mit Präsidentschafts-Ambitionen. Vergangenen Sonntag sprach er in seiner wöchentlichen Predigt über das sozialistische Problem: „Sollte Costa die Wahl gewinnen, dann ist er ein Genie.“

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Über Luis Naves

Luis Naves ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt und arbeitet in Lissabon. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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