Gauland zählt AfD-Chef Lucke an

Eine Wut-Attacke von AfD-Vize Alexander Gauland gegen Parteichef Bernd Lucke offenbart einen tiefen Riss im Bundesvorstand. Der Schaden für die Partei ist unermesslich.

Es ist vorbei mit der Einigkeit. Lange Zeit wurde in der AfD nur an der Basis gestritten. Da war und ist ihr bis heute nichts Menschliches fremd, von der Intrige über die Verleumdung bis hin zu rechtsextremen Ausfällen. Die Zahl der Parteiausschlussverfahren überlastet die Schiedsgerichte, Strafanzeigen gehören zum Tagesgeschäft. An der Spitze aber blieb es ruhig. Auf ihr Führungspersonal konnte die junge Partei sich verlassen. Sie war es, die das Chaos unten eingrenzte und den Laden irgendwie zusammenhielt.

Doch auch damit ist es nun vorbei. Denn im Vorstand tun sich tiefe Gräben auf. Sie offenbaren einen Konflikt, der sich für alle unüberhörbar in einer Wut-Attacke des stellvertretenden Parteisprechers Alexander Gauland gegen Parteichef Bernd Lucke entlädt. „Er ist ein Kontrollfreak“, hält Gauland dem Parteichef vor. Und er tut dies nicht etwa persönlich unter vier Augen, sondern lässt Lucke über die „Zeit“ wissen, was er von ihm hält.

Lucke ist sprachlos

Wer in der Politik so handelt, ist mit dem anderen im Grunde fertig. Und im Falle von Gauland und Lucke scheint es tatsächlich so weit zu sein. Lucke sei eben auch nicht besser als die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die auch alle Macht auf sich konzentriere, mäkelt Gauland. Wörtlich sagte er mit Blick auf die geplante Parteisatzung: „Der Versuch, einen einzelnen starken Vorsitzenden zu installieren, erinnert mich an Frau Merkel.“

In AfD-Kreisen ist der Kanzlerin-Vergleich die maximale Beleidigung, schließlich haben Lucke und Gauland die CDU wegen der Merkel-Politik verlassen. Lucke selbst sagte gestern dazu nur zwei, dafür aber umso vielsagendere Sätze: „Alexander Gaulands Verhalten macht mich sprachlos. Ich werde mich nicht öffentlich dazu äußern, sondern auf dem Satzungsparteitag der AfD am 31. Januar eine persönliche Erklärung abgeben.“

Tatsächlich soll es nach den Vorstellungen Luckes in der neuen Parteisatzung nur noch einen Vorsitzenden geben. Seit Monaten berät der Vorstand darüber, zuletzt tat er dies auf seiner Klausur zu Beginn des Monats in Regensburg. Dort ging es auch um die Frage, ob die Partei einen Generalsekretär braucht oder nicht. In Regensburg war die Stimmung schon nach kurzer Zeit gekippt, die Differenzen waren in vielen Punkten unüberwindbar.

Wiederholte Rücktrittsdohungen

„Wir müssen uns fragen, ob wir ausschließlich aus Brüssel geführt werden wollen“, sagte ein Teilnehmer nach dem Treffen. Damit spielte er auf die Europa-Abgeordneten Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel an und fügte hinzu: „Und wir müssen uns auch fragen, ob diese Ämterhäufung sinnvoll ist.“

Seit er im Europaparlament sitze, habe Lucke sich verändert, heißt es. Er war schon früher als Egozentriker und Narzisst beschrieben worden, dem jede Empathie für die Belange anderer abgeht. Inzwischen aber misstraut er sogar seinem Berliner Büro. Und er ist dünnhäutig geworden. Auf Kritik an der neuen Satzung, mit der er seine Position stärken will, reagiert er äußerst empfindlich. Wiederholt drohte er mit seinem Rücktritt vom Parteivorsitz.

Anfangs zogen seine Kritiker dann zurück. Allerdings tauchten immer neue Streitfragen auf. So sind die Mitglieder der Parteispitze zum Teil grundsätzlich anderer Auffassung über das Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen Europa und den USA. Henkel und der Europa-Abgeordnete Joachim Starbatty sind ohne Wenn und Aber dafür. Lucke eigentlich auch, schloss sich aber zuletzt öffentlich der insgesamt ablehnenden Parteilinie an. Intern argumentiere er jedoch weiterhin wie Starbatty und Henkel und reagiere brüskiert, wenn er sich nicht durchsetzen konnte, heißt es.

Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden

Erziele er auf diese Weise Abstimmungsniederlagen, erkläre er anschließend die Nichtigkeit Votums, da es sich lediglich um einen „Stimmungstest“ gehandelt habe. Und: „Er droht inzwischen so oft mit seinem Rücktritt, dass es keiner mehr ernst nimmt“, heißt es.

Mit seinem Verhalten brachte Lucke nicht nur Gauland gegen sich auf, auch sein Verhältnis zu der ihm nahe stehende Frauke Petry hat gelitten. Und je stärker er auf seinen Machtanspruch pochte, desto weniger waren die anderen geneigt, ihm nachzugeben.

Nun scheint es, haben sie sich gegen ihn entschieden. Anders ist der öffentliche Angriff Gaulands nicht zu werten. Er ist ein Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden, der im engeren Führungskern der Partei isoliert ist. Der Graben verläuft zwischen Lucke auf der einen und Petry, Gauland und Adam auf der anderen Seite. Hans-Olaf Henkel, so heißt es, stehe mal hier mal dort.

Schaden für die Partei

Belastender noch als der Streit in der Führung um so elementare Dinge wie die Satzung und die inhaltliche Ausrichtung dürfte für die Partei jedoch die Art und Weise sein, wie dieser Konflikt ausgetragen wird. Sprich die Unfähigkeit, ihn in den eigenen Reihen zu lösen, erschwert die Selbstfindung einer zwischen liberalen Ansprüchen und national-konservativen Überzeugungen hin- und hergerissenen AfD enorm.

Nicht die CDU stellt die Frage, ob Lucke als Vorsitzender taugt, nein, diesen Job übernimmt nun ausgerechnet Alexander Gauland, der in den vergangenen Monaten vielen AfD-Mitgliedern ein verlässlicher Kompass in der Ukraine-Krise war und dessen Position im Bundesvorstand durch seinen Sieg bei den Landtagswahlen in Brandenburg gestärkt worden war.

Trotz ihrer oft unterschiedliche Auffassungen waren Gauland und Lucke nie als Gegner, sondern immer als Komplementäre wahrgenommen worden. Gemeinsam erst ergaben sie die AfD. Diese Gemeinsamkeit hat Gauland nun öffentlich zumindest selbst in Frage gestellt.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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