CDU-Politiker liebäugeln mit AfD

Die „Christdemokraten für das Leben“ fühlen sich in der CDU nicht mehr wohl, weil Schwule dort inzwischen mehr Einfluss hätten. Die AfD ermuntert sie zum Übertritt.

Vor wenigen Tagen erst hatte die AfD die 50 in der Gruppe CDU2017 versammelten und mit ihrer Partei sichtlich unzufriedenen Unionspolitiker zur Mitarbeit eingeladen. Angesichts der einbrechenden Konjunktur zweifelten die jungen CDU-Politiker an der Reformfähigkeit ihrer Partei.

Nun zeigt sich, dass der Unmut in der CDU offenbar noch größer und breiter gestreut ist. Die AfD öffnet ihre Türen auch für die große Gruppe „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), die sich nach Eigendarstellung für den „Schutz jedes menschlichen Lebens in allen Lebensphasen“ einsetzt und etwa gegen Abtreibungen kämpft.

Hintergrund ist die an CDU-Generalsekretär Peter Tauber gerichtete Beschwerde der Lebensschützer, sie seien nicht in den Kommissionen vertreten, die sich aktuell mit der Zukunft der CDU beschäftigen. „Wir erwarten uns von Herrn Tauber da deutlich mehr. Wir wundern uns über die Aufmerksamkeit, die andere Verbände oder Interessengemeinschaften erhalten“, sagte dieser Tage die CDL-Vorsitzende Mechthild Löhr.

100.000 Abtreibungen

Zumal die „Lesben und Schwulen in der Union“ (LSU) erstmals zum Jahresempfang in das Konrad-Adenauer-Haus laden durften. Die LSU hat etwa 400 Mitglieder – die CDL etwa 5000, zu denen übrigens auch Tauber zählt. „Die Union sollte sich genau überlegen, welchen Problemen sie besondere Aufmerksamkeit schenkt. Denn unter ein Prozent der Lebensgemeinschaften in Deutschland sind eingetragene Lebenspartnerschaften“, sagte Löhr und riet ihrer Partei, sich lieber mit der viel zu hohen Zahl von mehr als 100.000 Abtreibungen jährlich zu beschäftigen statt mit dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. „Da stellt sich die Frage der Wichtigkeit der politisch zu behandelnden Probleme.“

Ob die Botschaft den CDU-Vorstand erreichte, ist nicht überliefert. Im Bundesvorstand der AfD hingegen ist sie angekommen. „Die Kritik von Frau Löhr ist vollkommen angemessen“, sagte AfD-Sprecherin Frauke Petry. „Die Mitglieder der CDL sollten sich angesichts dieser Schieflage in der CDU sehr gut überlegen, ob sie in der CDU noch gut aufgehoben sind“, riet sie den Lebensschützern in der Union, deren Vorsitzende Löhr ihre Parteiführung bereits warnte: „Einige von uns sind auch schon zur AfD gegangen.“

Damit es noch mehr werden, wirbt die neue Konkurrenz nun also ganz offen um Übertritte von Christdemokraten. „Frau Löhr hat vollkommen recht. Die Lebenswirklichkeit der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung sollte sich auch in der politischen Schwerpunktsetzung wiederfinden“, sagt die AfD-Europaabgeordnete und Familienpolitikerin Beatrix von Storch. Bei der CDU sei das erkennbar nicht mehr der Fall. „Die AfD ist auch hier eine Alternative: Familienmainstreaming statt Gendermainstreaming“, riet von Storch.

„Erosion christlicher Werte“

In der CDU sehe sie seit Langem eine „Erosion christlicher Werte“, die Mechthild Löhr auch im Bereich Lebensrecht „in ihrer C-Partei erfahren muss“. Dies sei ein weiteres wichtiges Feld, auf dem die CDU an Boden verliere und die AfD eine Alternative biete. „Beim diesjährigen ,Marsch für das Leben‘ war ein einziger CDU-Abgeordneter anwesend“, sagte von Storch. „Aber zwei AfD-Abgeordnete.“

Ein Übertritt zur AfD ist für Lebensschützerin Löhr indes nicht diskutabel. Ihr geht es darum, zu verhindern, dass künftig die AfD statt der Union als Vertreter ihrer Interessen wahrgenommen wird. „Ich habe schon die Sorge, dass durch das Erstarken der AfD unsere Interessen in der Union weniger Gehör finden. Die Angst, mögliche konservative Wähler und Parteimitglieder zu verschrecken, ist doch da“, sagte sie und warnte die CDU-Spitze: „Wir gehören zum konservativen Profil der Union. Das sollte die Parteiführung häufiger berücksichtigen.“

Ihrer Ansicht nach müssten Schwule und Lesben heute keine Nachteile mehr in Kauf nehmen. „Es gibt keine Diskriminierung von Homosexuellen in Deutschland mehr. Und das ist auch gut so“, sagte Löhr. Diese Ansicht ist auch in der AfD weitverbreitet, deren christlich-konservativer Teil der CDL vermutlich ohnehin große Sympathie entgegenbringt.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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