Furcht vor der Konterrevolution

Die Linke will Thüringen regieren: Unterzeichner eines „Gewissensappells“, zu denen auch Schriftsteller Reiner Kunze zählt, sehen „die totale gesellschaftliche Wende“.

Während sich das öffentliche Interesse an der offensichtlich langwierigen Koalitionsbildung in Thüringen in Grenzen hält, warnt eine Gruppe von Professoren, Politikern, zu der sich auch die Schriftsteller Reiner Kunze und Udo Scheer gesellten, vor der Konterrevolution.

„Jetzt soll ganz legal stattfinden, was die Kommunisten die Konterrevolution nannten: Die Befreiung durch die Revolution von 1989 soll in Thüringen revidiert werden. Und die Revolutionäre von damals sollen ihnen dabei behilflich sein! Verkehrte Welt!“, schreiben sie in einem „Gewissensappell“.

Hintergrund sind die Bemühungen der Linken um eine Koalition mit SPD und Grünen im Thüringer Landtag. Eine solche Koalition könnte mit Bodo Ramelow erstmals einen Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten wählen. Das wollen die insgesamt 14 Unterzeichner des „Gewissensappells“ unbedingt verhindern.

„Die Linke drängt zur Macht. Sie will die totale gesellschaftliche Wende“, schreiben sie und empfehlen eindringlich die Lektüre des Parteiprogramms der Linken. Denn nach diesem Parteiprogrammbeginne der „Kampf für eine bessere Welt und demokratischen Sozialismus mit der Veränderung der Gesellschaft“, der „Veränderung der Eigentumsverhältnisse“ und „der radikalen Erneuerung der Demokratie“. Was das bedeute, sei aus dem 20. Jahrhundert nur allzu gut bekannt.

„Es müsste ein Aufschrei durchs Land gehen. Aber Thüringen verfällt in Agonie“, sagte Mitunterzeichner Gottfried Meinhold. Er war von 1990 bis 1993 Prorektor der Universität Jena. Es ist der festen Ansicht, dass sich die Linke als stärkste Kraft an der Regierung anders verhalten wird als in früheren Koalition mit der SPD, wo sie lediglich Juniorpartner war. „Sie wird die Kompromissbildung in ihre Richtung lenken“, sagt Meinhold.

Zu den Mitunterzeichnern zählt auch der frühere thüringische Minister und stellvertretende Ministerpräsident Gerd Schuchardt von der SPD. Er hatte zuvor bereits in einem offenen Brief vor einer Beschädigung seiner Partei durch die Linke gewarnt. Die SPD sei „am Scheideweg“ angekommen. „Seit 1996 warne ich intern und wiederholt auch öffentlich vor der sogenannten Rot-Rot-Option. Die mehrfach umbenannte Partei, die aus der SED hervor ging, ist für eine Mehrheit der Bürger keine normale Partei wie andere, sondern wird immer noch als Erbe der untergegangenen SED-Diktatur, die moralisch und wirtschaftlich bankrott war, gesehen“, schreibt Schuchardt. „Und nun hat die SPD den Wählern allen Ernstes angeboten, gegebenenfalls einen Repräsentanten dieser Links-Partei zur Ministerpräsidentschaft zu verhelfen. Da ist es schon erstaunlich, dass uns überhaupt noch 12,4 % der Wähler ihre Stimme gegeben haben.“

Er rief die SPD-Mitglieder dazu auf, „das Ansehen der Partei bei der Mehrheit der Thüringer Bürger, aber auch bundesweit zu wahren“. Das Schicksal der Partei liege in ihrer Hand. „Die SPD ist eine stolze Partei mit großer Tradition. Und in dieser Tradition sehe ich neben vielen anderen großen Sozialdemokraten August Bebel, Kurt Schumacher und Willy Brandt, nicht aber Otto Grotewohl oder Oskar Lafontaine“, schreibt Schuchardt.

Der Gewissensappell erinnert darüber hinaus an die Zwangsvereinigung von SPD und KPD im Jahr 1946. „Verraten Sie nicht die Ziele von 1989 und bewahren Sie das Ansehen Ihrer Parteien“, rufen sie den Sozialdemokraten und Grünen zu. Sollten sich Linke, SPD und Grüne auf eine Koalition verständigen, liegt es an den SPD-Anhängern darüber entscheiden, ob die Regierung tatsächlich zustande kommt.

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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