Israel sucht Zuflucht in Gewalt

Besatzungsmächte müssen Völkerrecht und Genfer Konvention einhalten. Doch Israel ignoriert beide. Nicht ohne Grund klagt Palästinenser-Präsident Abbas Israel des Völkermordes an.

Überraschend war die Reaktion der US-Regierung wohl kaum. Sie hat die Rede des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas vor den Vereinten Nationen (UN), in der er den israelischen Militäreinsatz im Gaza-Streifen als einen „Krieg des Völkermords“ verurteilte, als „beleidigend“ kritisiert und wies den erhobenen Vorwurf der Kriegsverbrechen zurück. In den Augen der USA waren Abbas‘ Worte für den Friedensprozess im Nahen Osten nicht förderlich und wurden als „kontraproduktiv“ abgetan. Die Amerikaner haben sich wieder einmal solidarisch mit ihrem engen Verbündeten Israel gezeigt.

„Dieser letzte Krieg gegen Gaza war eine Serie absoluter Kriegsverbrechen, die vor den Augen und Ohren der gesamten Welt ausgeführt wurden, Augenblick um Augenblick“, sagte Abbas, der zuvor bereits angekündigt hatte, dass Palästina als UN-Beobachterstaat dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beitreten werde. Dies würde die Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte ermöglichen. Doch solange die USA die nötige militärische, wirtschaftliche, diplomatische und ideologische Unterstützung bereitstellen, wird in dieser Hinsicht nichts passieren. Auch wenn die Amerikaner dabei Verstöße gegen das Völkerrecht ganz offen ignorieren.

„Recht auf Selbstverteidiung“

Diese Ignoranz kann allerdings kaum verwundern, da die westlichen Verbündeten allgemein das „Recht auf Selbstverteidiung“ der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ akzeptieren. Nicht ohne Grund nutzt die israelische Regierung das  „Recht auf Selbstverteidigung“ als Totschlagargument, um die Gewalt, die sie als Besatzungsmacht nicht nur an den Checkpoints, sondern auch durch Razzien, Inhaftierungen, Inbesitznahmen und Zerstörungen ausübt, zu rechtfertigen.

Das Völkerrecht lässt eine Besatzung nur zeitlich begrenzt zu, nämlich so lange, wie sie militärisch für die Sicherheit der Besatzungsmacht notwendig ist. Im Falle Israels hat sich die Besatzung, die Israel selbst als „Bedingung für Sicherheit“ ansieht, über die 47 Jahre in eine Bedrohung verwandelt. Der UN-Sicherheitsrat, die Generalversammlung und der Internationale Gerichtshof in Den Haag haben die Besatzung mehrmals als völkerrechtswidrig bezeichnet und den Rückzug Israels gefordert.

Seit dem Sechstagekreig von 1967 besetzt Israel palästinensisches Territorium. Dies gilt völkerrechtlich auch für den Gazastreifen, obwohl Israel 2005 seine Truppen und Siedler abzog. Israel baute die anschließende Blockade von Land, See und Luft in den folgenden Jahren in einer Weise aus, dass Gaza in den Status der Besatzung zurückversetzt worden ist.

Hamas wird brutaler

Die Folgen für die Palästinenser sind gravierend, da sich Israel nicht einmal mehr an die durch die zweite Genfer Konvention geregelten Pflichten einer Besatzungsmacht hält.  Die Zweite Genfer Konvention schreibt Besatzungsmächten die Regelung des Arbeitseinsatzes, die Versorgung mit Lebensmitteln, sowie die ärztliche Fürsorge (Artikel 51 ff. II. Genfer Konvention) vor. Privateigentum darf nur dann und auch nur mit Entschädigung requiriert werden, wenn es für die Zwecke der Besatzung notwendig ist. Die Ansiedlung der eigenen Bevölkerung auf besetztem Gebiet ist ohne Ausnahme verboten (Artikel 46 ff.)

Somit ist die israelische Besatzungspolitik völkerrechtswidrig. In der Konsequenz  steht Israel das „Recht auf Selbstverteidigung“ nicht mehr zu. Es hat im Gegenteil sogar die Kausalität des Konfliktes verändert. Nun ist Israel ist der Angreifer, gegen den Widerstand erlaubt ist.

Es versteht sich von selbst, dass die israelische Regierung ihr Volk schützen muss, wenn die Hamas Raketen auf unschuldige Zivilisten feuert. Nach internationalem Recht ist der Raketenbeschuss israelischer Ortschaften ein Kriegsverbrechen, das geahndet und unterbunden werden muss. Die Frage ist nur, wie. Die bisherige Strategie Israels hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt – eher zum Gegenteil.

Bisher handelt Israel nach der Devise: „Wenn Gewalt nicht hilft, dann hilft vielleicht noch mehr Gewalt.“ Doch nach den letzten Militäroperationen wurden die Waffen der Hamas besser und zielgenauer – ihr Einsatz kaltblütiger und brutaler. Das heißt, die israelische Politik schuf noch mehr Gewalt. Wenn sie so weitermacht, werden die Konfliktparteien niemals aus dem Teufelskreis ausbrechen, den wir „Israel-Gaza-Krise“ nennen.

Eine „Ein-Staaten-Lösung?“

Die im Juli von Israel gestartete militärische „Operation Protective Edge“ reiht sich nun nahtlos ein in den langjährigen Verlauf der „Israel-Gaza-Krise“. Die Operation kostete 2100 Palästinensern, 66 israelischen Soldaten und 6 israelischen Zivilisten das Leben. Mit dem Ende von „Operation Protective Edge“ kündigte Israel seine größte Inbesitznahme von Land im Westjordanland seit 30 Jahren an. Die Regierung leitete ein Verfahren ein, dass ein 400 Hektar großes palästinensisches Gebiet in der Nähe von Bethlehem zu israelischem Staatseigentum erklärte. Als Grund für den Schritt führte sie die Entführung und Ermordung von drei israelischen Jugendlichen durch radikalislamische Hamas-Mitglieder in der Gegend im Juni 2014 an.

Wie ist dieser Schritt zu rechtfertigen? Mit dem „Recht auf Selbstverteidigung“ kann hier in keiner Weise argumentiert werden. Während die Inbesitznahme als eine Art Racheakt wirkt, muss gefragt werden, wie viel Rache sich die israelische Regierung im Westjordanland noch erlauben darf. In den 50 Tagen des jüngsten Gaza-Krieges wurden im Westjordanland 23 Palästinenser, darunter 3 Kinder, getötet und mehr als 2000 verletzt (davon 37% durch scharfe Munition).

Der israelische Journalist Gideon Levy berichtete, dass „keiner der Getöteten das Leben von israelischen Soldaten gefährdet hat.“ Zu diesen Taten gab es keine Rache-Reaktion aus dem Westjordanland. Im Durchschnitt starben übrigens zwei palästinensische Kinder pro Woche in den letzten 14 Jahren durch die israelische Armee.

Furcht vor der Demografie

Wie soll es weitergehen? So wie bisher? Viel hängt vom Verhalten Israels ab. Über die Zukunft gibt es viele Theorien. Eine ist: Sollte die Siedlungspolitik so weit gehen, dass eine Zwei-Staaten-Lösung territorial faktisch nicht mehr möglich ist, müsste irgendwie ein gemeinsamer Staat gebildet werden. Manche Palästinenser würden das begrüßen in der Hoffnung, so eine Bürgerrechtsbewegung wie in Südafrika während der Apartheid entwickeln zu können. Israelische Stimmen warnen im Falle eines gemeinsamen Staates vor den palästinensischen Geburtenzahlen. Sie fürchten das Wachstum der palästinensischen Bevölkerung, mit dem die israelischen nicht mithalten kann.

Andere glauben eher an die weitere strategische Inbesitznahme palästinensischer Gebiete und einen allgemeinen Fortgang des Besatzungsregimes. Dieses würde den Palästinensern elementare Grundrechte verweigern und darauf abzielen, die Palästinenser systematisch zu vertreiben, um das „demografische Problem“ aus der Welt zu schaffen. Ist das ein unausweichliches Ergebnis einer notwendigen Selbstverteidigung?

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