AfD saugt rechtes Potenzial auf

Die AfD zieht das rechtsextreme Wählerpotenzial aus den anderen Parteien ab, sagt Forsa-Chef Güllner. Kaum einer weiß: Die meisten Rechtsextremen wählen SPD und CDU!

Längst hat die AfD die Frage nach ihrer Positionierung im Parteienspektrum selbst beantwortet. Die AfD vertrete heute viele von der CDU aufgegebene Positionen, versicherte der Parteivorstand, als nach den Gründen für die Wahlerfolge in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gefragt wurde. „Es ist viel Platz geworden rechts neben der CDU, die sich fragen muss, ob sie nicht zu einer linken Partei wird“, sagte Partei-Sprecherin Frauke Petry.

Den füllt sie offenbar außerordentlich erfolgreich. Nach ihrem guten Abschneiden bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt sie nun auch bundesweit bei zehn Prozent. Im Vergleich zur Vorwoche verbesserte sich die Partei um drei Prozentpunkte, ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts Forsa. Bei den Landtagswahlen hatte sie Ende August und Mitte September in Sachsen 9,7 Prozent erreicht, in Thüringen waren es 10,6 und in Brandenburg 12,2 Prozent.

Wohin die Wähler wandern

Doch wer sind die Wähler der AfD? Woher kommen sie? Und welche Schlüsse lassen die Erfolge der Partei auf die Entwicklung der CDU zu? Erste Antworten auf diese Fragen versuchten die Analysen der Wählerwanderungen unmittelbar nach der Wahl zu geben. Danach verlor die CDU in allen drei Ländern die meisten Stimmen an die AfD. In Sachsen waren es 33.000 Stimmen, in Thüringen 17.000 und in Brandenburg 18.000 Stimmen.

Allerdings fielen die Stimmverluste von SPD und FDP an die Alternative nur unwesentlich geringer aus. In Sachsen gab die SPD 15.000 Stimmen (FDP: 8.000) an die AfD ab, in Thüringen 12.000 (FDP: 11.000) und in Brandenburg 11.000 (FDP: 17.000) Stimmen. Aus dem Lager der Nichtwähler gewann die AfD in Thüringen und Brandenburg jeweils 12.000 Stimmen, in Sachsen 16.000 Stimmen und damit exakt so viele, wie sie von der NPD zu sich ziehen konnte.

In ihren Statements nach der Wahl nutzte die AfD-Spitze diese Zahlen, um ihre Attraktivität für die Wähler anderer Parteien zu dokumentieren. So suchte sie auch den ständigen Vorwurf zu entkräften, sie sei eine rechtspopulistische Partei. Schließlich würden eingefleischte Christdemokraten und Sozialdemokraten wohl kaum eine rechtspopulistische Partei wählen.

„Was wählen Rechtsextreme?“

Diese Argumentation mag der Leiter des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner, so aber nicht stehenlassen. Seiner Ansicht nach ist die AfD sehr wohl eine rechtspopulistische Partei. „Die AfD zieht das gesamte rechtsextreme Wählerpotenzial aus den anderen Parteien ab“, sagt er. Und damit meint er nicht nur die NPD und die Republikaner.

Wo das rechtsextreme Potenzial versteckt ist, offenbarte eine im Frühjahr von Wissenschaftlern der Universität Leipzig veröffentlichte eine Studie mit dem Titel „Die stabilisierte Mitte – Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014“[1]. Darin stellten sie nicht nur fest, dass die rechtsextremen Tendenzen in Ostdeutschland insgesamt rückläufig seien, sie gingen auch der Frage nach: „Was wählen Rechtsextreme?“ Damit meinten sie Wahlberechtigte mit „einem geschlossen rechtsextremen Weltbild“. Zu den Kriterien für ein „geschlossenes rechtsextrems Weltbild“ zählen die Wissenschaftler etwa die Befürwortung von Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Chauvinismus, Sozialdarwinismus und die Verharmlosung der NS-Diktatur.

„Zunächst ist der Blick auf die beiden Volksparteien aufschlussreich: Personen, die angaben, die CDU oder die SPD wählen zu wollen, waren in etwa so rechtsextrem eingestellt wie der Gesamtdurchschnitt“, schreiben die Autoren. „Interessant ist auch ein Blick auf die Anhänger der Grünen und der Linken. Mit 15,2 % liegt der Chauvinismus unter den Grünen-Anhängern etwas über dem Durchschnitt, bei den Linken liegen Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus leicht unter dem Durchschnittswert.“

Irrglaube der SPD

Ihrer Untersuchung zufolge entscheiden sich die meisten Wahlberechtigten mit geschlossen rechtsextremem Weltbild für die SPD. Genau sind es 24,6 Prozent. CDU und CSU kommen zusammen auf 21,4 Prozent aus dieser Wählergruppe, die Linke auf 7,1 Prozent, rechte Parteien und die AfD auf jeweils 6,3 Prozent. Und 23 Prozent der Nichtwähler haben demnach ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild.

Gemessen an der Größe der Parteien sind die Anteile rechtsextremer Wähler demnach bei AfD und NPD deutliche größer als bei den Volksparteien. Die Leipziger Forscher kommen zu dem Schuss, dass fast jeder dritte AfD-Wähler chauvinistisch und jeder zweite ausländerfeindlich sei.

„Die AfD stammt aus dem latent vorhandenen Milieu von Leuten mit rechtsradikalen Einstellungen“, sagt Güllner. Aus diesem Milieu neigten die unteren, bildungsfernen Schichten eher der NPD zu, die mittleren Schichten der AfD.

Für die Existenz von rechtsextremem Wählerpotenzial in den Volksparteien führt Güllner eine Episode aus dem Bundestagswahlkampf 1989 an. Damals sei das Wahlkampf-Team der SPD-Parteizentrale auf die Idee gekommen, dass es gut sei, wenn die Republikaner stark würden, weil dies der CDU schade. Nach der Wahl hätten die Sozialdemokraten feststellen müssen, dass die Republikaner ihnen selbst geschadet hatte. So habe es etwa im Dortmunder Norden erheblichen Stimmenwanderungen von der SPD zu den Republikanern gegeben. „Da war sogar ein Sozialdemokrat dabei, der in Weimar mit der Waffe gegen die Nazis gekämpft hatte“, erinnert sich Güllner.

Strauß mahnte seine Enkel

In den ideologisch aufgeladenen 1970er und 1980er Jahren hatten Politiker wie der langjährige CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß und CDU Politiker wie Alfred Dregger oder Manfred Kanther aus Hessen großen Wert darauf gelegt, dass national-konservative Milieus nicht zur NPD abwanderten. Vor allem in der Zuwanderungs-, Familien- und Vertriebenenpolitik bildeten sie einen Gegenpol zur SPD. In seinen Memoiren mahnte Strauß seine Partei an dieser Politik festzuhalten: „Hierher gehört meine oft wiederholte Aussage und beschwörende Mahnung, dass es rechts von uns keine demokratisch legitimierte Partei geben darf.“

Inzwischen ist die CDU längst unangefochten bundesweit die stärkste politische Kraft. Allerdings liege das weniger an der Stärke der Partei als vielmehr an der Popularität der Kanzlerin. „Vergleicht man die Ergebnisse von Bundestags- und Landtagwahlen, wird deutlich, dass die CDU ihrer Anhänger nur noch in großem Umfang mobilisieren kann, wenn Angela Merkel antritt“, sagt er. In Sachsen etwa habe die CDU bei der Bundestagswahl rund eine Million Stimmen erhalten, bei der Landtagswahl hingegen nur 650.000. In Brandenburg habe sie im Vergleich zur Bundestagswahl 250.000 Wähler und in Thüringen 165.000 Wähler verloren. „Merkel als Person hat noch Bindekraft“, sagt Güllner. „Die Partei vor Ort besitzt diese Mobilisierungsfähigkeit nicht mehr.“ Ganz ähnlich sei es zu Adenauers Zeiten gewesen. Damals galt die CDU als „Kanzler-Wahlverein“.

 

Anmerkung

[1] Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler, „Die stabilisierte Mitte – Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014“, Universität Leipzig, S. 41: http://www.uni-leipzig.de/~kredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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