Die Verfolgten der AfD-Sachsen

Mehr noch als den politischen Gegner bekämpft die AfD-Sachsen sich selbst. Ranghohe Repräsentanten verfolgen einander mit Strafanzeigen und Verfassungsbeschwerden.

Plötzlich stand Arvid Samtleben nicht mehr auf der Kandidatenliste. Vor der sächsischen Landtagswahl am kommenden Sonntag hatte er als Mitglied des AfD-Landesvorstandes mit vielem gerechnet, aber dass ihn seine Mitstreiter hinterrücks einfach von der Liste streichen würden, das hatte er sich nun doch nicht träumen lassen.

Immerhin war er von einem ordentlichen Parteitag als Kandidat auf Platz 14 gewählt worden. „Wer so weit hinten landet, der hat sich nicht gut verkauft“, sagt er selbstkritisch. „In den Landtag wäre ich jedenfalls wohl nicht eingezogen, da hätten wir schon über zehn Prozent bekommen müssen.“ Jetzt aber hat er nicht einmal mehr eine theoretische Chance.

Es gärt und brodelt

Dabei stehen die Chancen der AfD gar nicht schlecht. Konservative Umfragen sagen der Partei mindestens sechs Prozent für ihre erste Landtagswahl am Sonntag voraus. Damit zöge die AfD sicher ins Landesparlament ein und würde sie nach dem guten Abschneiden bei der Europawahl weiter aufwerten.

Vor allem die CDU betrachtet diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Zum einen, weil nämlich die FDP als Koalitionspartner dauerhaft auszufallen droht. Sie dümpelt in den sächsischen Wahlumfragen bei drei Prozent. Bundesweit sieht es noch finsterer aus. Damit ist wahrlich kein Staat zu machen. An wen soll sie sich künftig also wenden, wenn es für die absolute Mehrheit nicht reicht? An die AfD, die mit dem christlich-konservativen Führungsgespann aus Bernd Lucke und Frauke Petry auch kräftig im CDU-Lager „wildert“?

„Die AfD kann für uns kein Partner sein, das gilt für den Bund und in den Ländern“, hat CDU-Generalsekretär Peter Tauber den Wählern im Osten dieser Tage noch mal mit auf den Weg gegeben. Überzeugend klang das nicht, eher als ein versteckter Hinweis, statt der AfD vielleicht doch noch mal über eine FDP-Stimme nachzudenken. Ob das hilft? „Das wird viele enttäuschte CDU-Mitglieder und Wähler zu uns führen, die die Profillosigkeit der Union satt haben und sich dort nicht länger heimisch fühlen“, sagt AfD-Chef Bernd Lucke selbstbewusst, wohl wissend, dass es im Innern seiner Partei nach wie vor gärt und brodelt und sogar Landesvorstände plötzlich ungewollt wieder von Kandidatenlisten verschwinden.

Zwei Erzählungen

Im sächsischen AfD-Landesverband gibt es zwei Erzählungen zum Fall Samtleben. Er selbst sieht sich als Opfer einer Vorstandsintrige. Auf einer Sitzung im Juni, bei der er entschuldigt gefehlt habe, hätten die Landesvorsitzende Petry und die Vorstandsmitglieder Uwe Wurlitzer, Carsten Hütter, und der wenig später wegen einer behindertenfeindlichen Äußerung zurückgetretene Thomas Hartung dafür gestimmt, ihn von der Liste zu nehmen. Drei weitere Mitglieder, Jörg Urban, Hans Thomas Tillschneider und Hubertus von Below hätten sich enthalten, schrieb Samtleben wenig später auf seiner Facebookseite[1].

Von Below habe ihn gegen 22 Uhr angerufen und ihn über den Vorgang aufgeklärt. Frauke Petry soll nur knapp gesagt haben: „Das Vertrauen ist weg.“ Samtleben sagt, er habe sofort widersprochen und auf seine Wahl durch den Parteitag verwiesen. Er wandte sich an den Landeswahlausschuss. „Alles vergeblich“, sagt er. „Die wollten einen unbequemen Kritiker loswerden.“ Inzwischen wurde er auch von seinem Vorstandsposten suspendiert, ein Parteiausschlussverfahren läuft. Im Gegenzug hat Samtleben Verfassungsbeschwerde gegen die Teilnahme der AfD an der Landtagswahl eingereicht, die am Donnerstag jedoch abgewiesen wurde. Schon vor Wochen wies der Landeswahlleiter eine ähnliche Beschwerde ab. Auch diese kam aus dem Umfeld der Partei.

Zu viele Fragen

Frauke Petry wird nicht gern auf den Fall Samtleben angesprochen, schon gar nicht so kurz vor der Wahl. Solche Fälle gebe es halt viele in der noch jungen Partei. Ihre Geschichte, warum Samtleben in Ungnade fiel, geht so: Samtleben war auch Mitglied des Bauzener Kreisvorstandes. Irgendwann lagen aber auch die harmonischen Bautzener wegen allerlei Detailfragen über Kreuz. Daher beschloss der Vorstand, geschlossen zurückzutreten. „Auch Samtleben wollte mitmachen“, sagt Petry. Als aber der Kreisparteitag zusammentrat, war Samtleben nirgends zu sehen. „Er hat versucht, sich dem Rücktritt des gesamten Vorstandes durch Fehlen zu entziehen“, sagt Petry. Also habe ihn der Kreisparteitag abgewählt. „Und daraufhin haben ihm die Vertrauensleute der Partei das Vertrauen entzogen und ihn von der Kandidatenliste für die Landtagswahl gestrichen“, sagt die Landesvorstitzende. So geht das in der AfD.

Samtleben sei ein kluger Kopf, sagen sie in Sachsen. Aber er sei eben auch ziemlich unbequem, weil er Fragen stelle. Unter anderem zu den Finanzen. Seit geraumer Zeit nämlich hat der sächsische Landesverband keinen Schatzmeister mehr. Ob das rechtens ist, wollte Samtleben wissen. Vor allem aber wollte er die Finanzen einsehen. Als studierter Betriebswirt, der sein Geld mit Haussanierungen verdient, kennt er sich in Finanzfragen aus. „Als Vorstandsmitglied hafte er für die Ausgaben, wenn kein Schatzmeister für die Geschäfte der Partei verantwortlich zu machen ist“, sagt er. „Aber ich habe bis heute keine Einsicht in die Finanzen bekommen.“

Die Flucht von Grimma

Der sächsische AfD-Kritiker Arvid Samtleben / Foto: Privat

Der sächsische AfD-Kritiker Arvid Samtleben / Foto: Privat

Offenbar sind die Finanzen in der Sachsen-AfD also eine heikle Angelegenheit. Zwei Schatzmeister verschliss die Partei in kürzester Zeit. Auf den dann folgenden beiden Landesparteitagen wurde kein Nachfolger mehr gewählt. Anscheinend hat die Parteispitze das Gefühl, auch ganz gut ohne auszukommen.

„Eines Tages, am späten Nachmittag, kam eine Mail von Frauke Petry. Darin hieß es, zu den vorhandenen 250.000 Euro wolle die Partei noch einen Kredit über 50.000 Euro für den Wahlkampf aufnehmen. Ich sollte bis 22 Uhr zustimmen“, sagt Samtleben. „Das habe ich nicht getan. Ich wollte den Dingen erst einmal auf den Grund gehen.“ Mit solchen Wünschen habe er sich bei den Vorstandskollegen unbeliebt gemacht.

Er muss sich nicht das erste Mal gegen innerparteiliche Vorwürfe wehren. Kurz nach der Gründung des sächsischen AfD-Landesverbandes wurden ihm im Internet von „Parteifreunden“ Kontakte zur NPD und zur am rechten Rand agierenden Partei Die Freiheit vorgeworfen. „Ich bin islamkritisch, das stimmt“, sagt er. Insofern habe er sich schon für die Freiheit interessiert. „Aber nicht ich war bei der Freiheit, sondern meine Frau.“ Ihm sei die Partei letztlich zu wenig strukturiert und seriös gewesen. Und den Vorwurf mit der NPD hätten die innerparteilichen Gegner schnell fallenlassen müssen. „An dem Tag, an dem ich bei einer NPD-Veranstaltung gewesen sein soll, habe ich meinen Vater in Braunschweig beerdigt“, sagt er. Mit der NPD habe er nie etwas zu tun gehabt.

Keiner in der Partei will etwas mit den Nationaldemokraten zu tun haben. Zu den amüsantesten Geschichten dieses Wahlkampfs gehört inzwischen die Flucht von Grimma. Dort hatten sich Petry, Parteichef Lucke und einige andere in AfD-T-Shirts und mit Plakaten als „Mahnwache“ vor einer CDU-Veranstaltung mit Angela Merkel postiert, als NPD-Chef Udo Pästörs zusammen mit seinem sächsischen Spitzenkandidaten Holger Szymanski und Fotografen anmarschierte. Sie wollten mal reden, sagte Pastörs. Vor allem aber wollten sie Bilder machen, die die Spitzen von AfD und NPD im Gespräch vereint zeigen. Lucke roch den Braten, die AfDler drehten die Plakate um, damit niemand mehr die Schrift lesen konnte, und rannten davon. „Das ist Fahnenflucht“, brüllte ihnen die NPD hinterher.

Eine verbürgerlichte NPD?

Seit die AfD im September 2014 bei der Bundestagswahl in Sachsen mit 6,8 Prozent auf Anhieb mehr als doppelt so viele Stimmen bekam wie die NPD mit 3,3 Prozent, hieß es, die AfD sei ein Magnet für NPD-Wähler. Einige Daten scheinen dies zu bestätigen. So holte die AfD bei der Europawahl im Mai in der NPD-Hochburg Erzgebirgskreis 11,4 Prozent der Stimmen, die NPD kam auf nur 4,3 Prozent.

Wie schon in der Vergangenheit, gibt es auch im sächsischen Landtagswahlkampf wieder unübersehbare Ähnlichkeiten bei den Wahlaussagen beider Parteien. „Asylantenheime, nein danke“, plakatiert die NPD. Im AfD-Wahlprogramm heißt es: „Asylbewerberstrom reduzieren“. Die NPD fordert eine „realistische und leistungsgerechte Bildungspolitik“, die AfD eine „Erziehungsoffensive für bessere Disziplin“. Auch Petrys Aufruf zu einer „Drei-Kind-Politik“ dürfte im NPD-Lager Zustimmung finden. Aber ist die AfD deswegen eine Art verbürgerlichte NPD?

Dafür gibt es keine Belege. Zwar kommt eine Studie der Uni Leipzig mit dem Titel „Die stabilisierte Mitte – Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014“zu dem Schluss: „Fast jeder dritte AfD-Wähler ist chauvinistisch und jeder zweit ausländerfeindlich“.[2] Gleichzeitig stellen die Wissenschaftler aber fest, nur noch sieben Prozent der Ostdeutschen hätten ein „geschlossenes, rechtsextremes Weltbild“. Das ist der geringste Wert seit 2006.

Und noch überraschender ist ihre Erkenntnis: „Wer ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hat, neigt häufiger den beiden großen Volksparteien zu.“

Bundesweit vermuten sie 24,6 Prozent der Wähler mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild bei der SPD, 21,4 Prozent bei CDU/CSU, 7,1 Prozent bei der Linken und nur 6,3 Prozent bei der AfD. Mit über 30 Prozent ist diese Gruppe bei den Nichtwählern und Unentschlossenen am stärksten vertreten.[3]

Kein schlechtes Wort über die Partei

Für viele Nichtwähler war und ist die AfD eine Hoffnung, denn frühere Experimente wie die STATT-Partei oder die Partei Die Freiheit hatten die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt – nicht einmal bei den eigenen Mitgliedern. Noch heute geht das Gerücht, enttäuschte Mitglieder der Freiheit hätten Frauke Petry kräftig beim Aufbau der AfD in Sachsen unterstützt. Als Gegenleistung seien den Helfern Posten für den Fall eines Erfolges bei der Landtagswahl versprochen worden. Petry weist solche Darstellungen strikt zurück. Weder sei sie beim Aufbau der Partei auf die Freiheit angewiesen gewesen, noch habe sie irgendwem irgendetwas versprochen.

Dafür hat sie inzwischen einige frühere Mitstreiter verloren. Arvid Samtleben ist kein Einzelfall. Die beiden früheren Schatzmeister gehören ebenso dazu wie zuletzt ihr Stellvertreter Thomas Hartung. Er hatte Menschen mit Down-Syndrom die Fähigkeit des Unterrichtens abgesprochen, musste daraufhin von allen Ämtern zurücktreten und verlor darüber auch seinen Job an der TU Dresden.

Hartung hat kein schlechtes Wort über die Partei verloren, die ihn wegen der Äußerung, für die er öffentlich um Verzeihung bat, ins Bodenlose fallen ließ. Samtleben sagt immer nur „die Frauke“, wenn er von der Landesvorsitzenden spricht. Er scheint zumindest das Gefühl zu haben, dass sie sich einmal nahestanden, wenngleich Petry in seiner Sache längst einen ganz anderen Ton anschlägt: „Wir können es nicht hinnehmen, wenn aus gekränkter Eitelkeit die gesamte Landesliste für ungültig erklärt werden soll“, sagt sie über seine Verfassungsbeschwerde gegen die Wahlteilnahme der AfD. „Hier hat Arvid Samtleben eine Grenze überschritten und versucht, der AfD schweren Schaden zuzufügen. Damit hat er sich selbst außerhalb der Partei gestellt.“

Hingabe bis zur Schizophrenie

Auf der Internetseite des Kreisverbandes Bautzen[4] wird er immer noch als Vorsitzender ausgewiesen. Dabei dürfte ihm selbst die an Schizophrenie grenzende Widersprüchlichkeit seines Handelns klar sein. Wie kann er Repräsentant einer Partei sein wollen, deren Wahlteilnahme er aus tiefster Überzeugung mit allen rechtlichen Mitteln verhindern will?

Solche Fälle gibt es häufiger in der AfD, nicht nur in Sachsen. In Ungnade gefallene oder ausgeschlossene Mitglieder arbeiten sich zum Teil selbstzerstörerisch an ihrer Partei ab. Sie kommen von der AfD nicht los.

Welches Ausmaß solche Zerwürfnisse annehmen können, zeigt der Fall Samtleben, dem die AfD-Sachsen nun gar vorwirft, er verunglimpfe „durch öffentliche Erklärungen die AfD, in dem er den Landesvorstand und seine Vorsitzende in die Nähe des organisierten Verbrechens und des Stalinismus rückt“. Auf der Interseite des Landesverbandes heißt es: „Zudem verleumdet Samtleben Frauke Petry persönlich und bezichtigt sie des Betruges.“ Womit Samtleben sie verleumdet haben soll, sei ihm nicht bekannt, sagt er. Sie antworte ihm seit Monaten nicht. Weder ihm noch anderen Kritikern in den eigenen Reihen.

Dafür findet die Partei umso deutlichere Worte: „Weil auch im Wahlkampf den Angriffen gegen Politiker Grenzen gesetzt sind, hat Frauke Petry heute bei der Staatsanwaltschaft Bautzen eine entsprechende Strafanzeige gegen Samtleben erstattet.“ So werden aus Parteifreunden Feinde, und der Rechtsweg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

 

Anmerkungen

[1] Arvid Samtleben, Facebook: https://www.facebook.com/arvid.samtleben?_fb_noscript=1

[2] Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler, „Die stabilisierte Mitte – Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014“, Universität Leipzig, S. 41: http://www.uni-leipzig.de/~kredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf

[3] a.a.O., S. 43

[4] AfD-Kreisvorstand Bautzen: http://www.afd-kvbautzen.de/kreis/vorstand-3/

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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