Der russische Albtraum der AfD

Parteichef Bernd Lucke und sein Vize Alexander Gauland können ihren Dissens über die Russlandpolitik nicht beilegen. Ein tiefer Riss geht durch die junge Partei.

Der Streit auf der persönlichen Ebene zwischen AfD-Chef Bernd Lucke und seinem Vize Alexander Gauland ist beigelegt, der Konflikt um die grundsätzliche Ausrichtung der Russland- und Ukrainepolitik aber bleibt.

„Da ist ein politischer Dissens“, sagt Gauland. „Und den kann auch niemand wegreden.“ Entgegen den Beschlüssen von Partei und Bundesvorstand hatten Lucke, AfD-Vize Hans-Olaf Henkel und der Abgeordnete Bernd Kölmel im Europaparlament einem Antrag zugestimmt, der Sanktionen gegen Russland unterstützt.

Weder Lucke noch Henkel hatte zuvor den Bundesvorstand über die anstehende Abstimmung informiert. Gauland erfuhr erst im Nachhinein bei einem Frühstück von einem Parteimitglied davon – und war entsprechend verstimmt. Kurzzeitig überlegte er gar, die Spitzenkandidatur im brandenburgischen Landtagswahlkampf aufzugeben. Als er dann gar von einer möglichen Spaltung der Partei sprach, war in der Berliner Parteizentrale schnell klar, dass nur ein persönliches Gespräch mit Lucke das Schlimmste würde verhindern können.

Verständnis für die russischen Bedürfnisse

Doch Lucke feierte Geburtstag und war für niemanden zu erreichen. Erst am Abend kam das Telefonat mit Gauland zustande. Sie hätten lange miteinander gesprochen, sagt der AfD-Vize. „Lucke räumte ein, dass es falsch gewesen sei, den Bundesvorstand nicht über die Abstimmung zu informieren“, sagt er. Aber in der Sache hätten sie nicht zueinander gefunden.

Neben der Euro-Frage gilt vielen Mitgliedern und AfD-Anhängern die Position der Partei in der Russland- und Ukraine-Politik als ein wichtigstes identitätsstiftendes Merkmal in einer brandaktuellen politischen Auseinandersetzung, weil sie sich fundamental von CDU, SPD und Grünen unterscheidet.

Gauland ist der Außenpolitiker der AfD. Aus seiner Feder stammt ein Papier, in dem er eine Rückbesinnung auf „Elemente der Bismarckschen Rückversicherungspolitik gegenüber Russland“ anregt. Während er dafür in Öffentlichkeit zum Teil heftig kritisiert wurde, fanden seine für „Verständnis für die russischen Bedürfnisse im Umgang mit den Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion“ werbenden Vorschläge innerhalb der Partei und bei den AfD-Anhänger viel Zuspruch. Deutlich wurde dies auch auf dem Bundesparteitag in Erfurt, der mit großer Mehrheit eine Ukraine-Resolution beschloss, die Sanktionen gegen Russland ausdrücklich ablehnt.

Luckes Problem mit Pretzell

„Es gibt bei uns Transatlantiker und Leute wie mich, die sagen: Diese Epoche ist 1990 zu Ende gegangen, und wir begingen damals den großen Fehler, den Russen kein Angebot gemacht zu haben“, sagt Gauland. Vielmehr sei der Westen froh gewesen, dass der einstige Feind von schweren inneren Konflikten erschüttert machtpolitisch fürs erste außer Gefecht gesetzt war.

Wie sehr der Konflikt um die Abstimmung der AfD-Vertreter im Europaparlament die Partei und ihre Anhänger beschäftigt, zeigt sich in den sozialen Medien. „Ich habe mir das auf Facebook sehr genau angesehen“, sagt Gauland. „Über 90 Prozent der Kommentatoren aus Ostdeutschland sehen die Abstimmung kritisch.“

Im Westen gebe es zwar deutlich mehr Verständnis für Lucke und Henkel, so Gauland. Allerdings postete dort der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende und Europa-Abgeordnete Marcus Pretzell auf seiner Facebook-Seite: „Russland-Abstimmung im Europa-Parlament: Ja zum Parteitagsbeschluss. Nein zu Sanktionen.“ Pretzell hatte als einziger der AfD-Europaabgeordneten gegen den Antrag des Europaparlaments gestimmt. Sein Facebook-Post wird in der Partei als deutlicher Angriff auf Parteichef Lucke gewertet, der seit langem ein gewichtiges Problem mit Pretzell hat.

Parteitag lehnt Sanktionen ab

Angesichts der durch sein Stimmverhalten ausgelösten innerparteilichen Debatte postete Lucke wiederum eine persönliche Erklärung zu seinem Verhalten. Darin beteuerte er, „uneingeschränkt“ zum Erfurter Parteitagsbeschluss und zum Beschluss des Bundesvorstandes zu stehen. Insbesondere halte er Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch in der jetzigen Lage für kontraproduktiv und konflikteskalierend. Gleichwohl müssten die Staaten der Europäischen Union angemessen reagieren können, wenn der Konflikt etwa durch eine militärische Intervention Russlands in der Ostukraine zu einem offenen Krieg würde. Lucke wörtlich:

„Es trifft im übrigen nicht zu, dass die Resolution des Europäischen Parlaments die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gefordert hat“, schreibt Lucke. „In Ziffer 12 der Resolution wird vielmehr nur die Vorbereitung von Sanktionen befürwortet, während ,weitreichende Konsequenzen’ (sprich: die Verhängung von Wirtschaftssanktionen) ausdrücklich auf den Fall bezogen werden, dass Russland weitere Schritte zur Destabilisierung der Ukraine unternimmt. Auch Ziffer 13 billigt Sanktionen nur dann, ,wenn die Situation dies erfordert’, was aus dem Textzusammenhang heraus dann der Fall wäre, wenn Russland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkäme.“

Allerdings lehnte der Erfurter Parteitag Sanktionen generell ab. „In dieser instabilen Lage ist es von größter Bedeutung, keine Sanktionen zu verhängen und keine weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation zu betreiben“, heißt es in dem Beschluss.

Luckes Dilemma

Während andere vor einer russischen Annexion der Krim warnten, sprach sich die AfD ausdrücklich für ein Selbstbestimmungsrecht der Krim aus. Im Vorstandsbeschluss vom 8. April lehnte die Parteispitze außerdem „jede von außen in die Ukraine hineingetragene Gewalt oder über Vermittlungsbemühungen hinausgehende politische Interventionen ab“.

Lucke und Henkel hatten die Beschlüsse schon damals nur widerwillig hingenommen. Sie wagten beide nicht, offen gegen die weitgehend von Gauland vorgegebene Position zu opponieren. Entweder wollten sie den im Bundesvorstand in der dieser Frage herrschenden Dissens verdecken, oder aber sie fürchteten eine Abstimmungsniederlage auf dem Parteitag. Nun sind der Konflikt und der Riss, den er durch die Partei zieht, für jeden sichtbar. Und es ist offenkundig, dass Lucke nicht in der Lage ist, die Reihen in dieser brisanten Frage zu schließen.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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