AfD-Spitze über Russland entzweit

Was treibt die AfD in der Russland-Politik? Entgegen eindeutigen Parteibeschlüsse stimmten Parteichef Lucke und Vize Henkel im EU-Parlament für Sanktionen gegen Moskau.

Normalerweise kann Alexander Gauland kaum noch etwas aus der Fassung bringen. Dazu hat der stellvertretende AfD-Sprecher in der Politik schon zu viel erlebt. Doch als er jetzt von Parteimitgliedern erfahren musste, welche Politik seine engsten Mitstreiter im Vorstand der Alternative für Deutschland im Europaparlament unterstützen, konnte er doch nicht mehr an sich halten: „Darüber wird noch zu reden sein“, sagt Gauland der „Welt“. „Ich erwarte gegenseitige Loyalität.“

Konkret geht es um die Russland- und Ukraine-Politik der AfD. In den vergangenen Monaten hatte sich die Partei mit einem Vorstands- und einem Parteitagsbeschluss klar von den anderen Parteien abgegrenzt. In der im März auf dem Parteitag in Erfurt beschlossenen Resolution heißt es wörtlich: „In dieser instabilen Lage ist es von größter Bedeutung, keine Sanktionen zu verhängen und keine weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation zu betreiben.“ Während andere vor einer russischen Annexion der Krim warnten, sprach sich die AfD ausdrücklich für ein Selbstbestimmungsrecht der Krim aus. Im Vorstandsbeschluss vom 8. April lehnte die Parteispitze außerdem „jede von außen in die Ukraine hineingetragene Gewalt oder über Vermittlungsbemühungen hinausgehende politische Interventionen ab“.

Nur Pretzell stimmt gegen den Antrag

Trotz dieser klaren Beschlusslage aber stimmten Parteichef Bernd Lucke, AfD-Vize Hans-Olaf Henkel und die Europa-Abgeordneten Joachim Starbatty und Bernd Kölmel einem Antrag des EU-Parlaments zu[1], der ausdrücklich eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland begrüßt und Moskau für die zunehmende Eskalation im Osten der Ukraine verantwortlich macht. Außerdem verurteilten sie die Annexion der Krim durch Russland als Verstoß gegen das Völkerrecht. Lediglich der AfD-Abgeordnete Marcus Pretzell stimmte gegen den Antrag, die Berliner Abgeordnete Beatrix von Storch nahm an der Abstimmung nicht teil.

„Wie soll ich das unseren Anhängern in Brandenburg erklären?“, fragt Gauland. Es könne nicht sein, dass er im derzeitigen Landtagswahlkampf immer wieder betone, die AfD wolle keine Sanktionen gegen Russland, und dann konterkariere der Parteichef gemeinsam mit drei AfD-Abgeordneten diese von einem Parteitagsbeschluss getragene Haltung im Europaparlament. „Wir hätten doch wenigstens einmal im Bundesvorstand darüber reden müssen, bevor es zu so einer Abstimmung kommt“, sagt der brandenburgische Spitzenkandidat.

„Gelebte Meinungsfreiheit“

„Die heftige Reaktion von Alexander Gauland beruht auf einem Missverständnis“, sagt Hans-Olaf Henkel. Bei der Abstimmung im EU-Parlament sei es „nicht um klassische Wirtschaftssanktionen gegen Russland“ gegangen, sondern „um Sanktionen gegen einzelne Personen und Organisationen, die zum korrupten inneren Kreis um Wladimir Putin gehören“. Putin selbst sei übrigens inzwischen zu einem der reichsten Männer der Welt geworden. „Diesen Personen die Benutzung ihrer Luxusvillen in St. Tropez, ihrer Yachten in der Karibik und ihrer Wohnungen in London und New York zu erschweren, halte ich für eine angemessene Reaktion“, sagt Parteivize Henkel.

Im Übrigen verstehe er die AfD als eine Partei, „die von Vernunft bestimmt und meist von Vernünftigen vertreten wird“. Henkel: „Dazu gehört, dass wir keinem stumpfen Kadergehorsam folgen, sondern unseren Menschenverstand pflegen.“ Es beeindrucke ihn überhaupt nicht, dass in seiner Partei „gern für Russland so argumentiert wird, wie es etwa die Linke vor allem in Ostdeutschland tut“. Die Abstimmung im Europa-Parlament sei ein „schönes Beispiel für gelebte Meinungsfreiheit in der Partei“. Gauland indes sieht das anders. Er dringt auf ein klärendes Gespräch noch in dieser Woche.

Anmerkung

[1] Entschließungsantrag des EU-Parlaments zur Ukraine: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=MOTION&reference=P8-RC-2014-0025&language=DE

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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