Riskante EU-Sanktionsrechnung

 Die EU spielt mit den Russland-Sanktionen ein gefährliches Spiel. Sie übersieht die Interessen Chinas und BRICS-Staaten. Der Schaden für die EZ dürfte gravierend sein.

Nun hat die EU also Ernst gemacht und erstmals Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt, die auf ein Jahr begrenzt sind und nach drei Monaten erstmals überprüft werden sollen. Russischen Banken mit Staats-beteiligung von mehr als 50 Prozent soll der Zugang zum europäischen Finanzmarkt erschwert, der Export von Rüstungsgütern, Gütern mit sowohl ziviler als auch militärischer Verwendung sowie von Hochtechnologie, vor allem im Bereich der Ölförderung, soll eingeschränkt werden.[1]

Zuvor hatte sich Präsident Obama in einer Videokonferenz mit den Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien auf härtere Sanktionen gegen Russland verständigt. Die EU-Botschafter exekutierten dies. Der Grund: Die Lage in der Ukraine ist nicht besser geworden und Russland wird dafür verantwortlich gemacht.

Merkel macht Sanktionen möglich

Bewiesen ist das nicht, ebenso wenig wie die Anschuldigungen gegenüber den Separatis­ten in der Ostukraine und Russland im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Abschuss von Flug MH17. Gleichwohl war letzteres der Grund für Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf europäischer Ebene bei der Verhängung von Sanktionen nicht mehr länger zu bremsen. Die New York Times berichtet, dass laut US-Angaben sie es war, die in der gestrigen Video-konferenz der fünf Staatschefs eine Verständigung auf härtere Sanktionen möglich gemacht hat.[2]

Freilich wurden keine Sanktionen gegen die Ukraine verhängt, weil sie ihren „Anti-Terror“-Kampf in der Ostukraine mit unverminderter Vehemenz fortsetzt und dabei zivile Opfer in Kauf nimmt. Die Regierung in Kiew eskaliert die Krise somit offenbar nicht. Im Gegenteil, sie wird in ihrem Kampf, der die Ukraine, die ohnehin schon am Rande der Pleite steht, seit April 128 Millionen Dollar pro Monat kostet, vom Westen unterstützt. Das ist jedenfalls die Zahl, die das Finanzministerium in Kiew angibt.[3]

Es klingt zynisch, doch warum sollte das irgendjemanden überraschen?

Israel werden wegen des „Anti-Terror“-Kampfes im Gaza-Streifen, bei dem bereits Hunderte Zivilisten, auch viele Kinder, zu Tode gekommen sind, schließlich auch keine Sanktionen angedroht. Was würde der Westen sagen und vor allem tun, wenn die Bilanz des Todes umgekehrt über 1.000 Tote auf israelischer Seite ausweisen würde?

Die Sanktionsspirale

Die jetzt beschlossenen EU-Sanktionen sollen Russland zu einer anderen Ukraine-Politik zwingen. Das ist offiziell das Ziel.

Doch unabhängig davon, dass gar nicht klar ist, ob Russland etwas anders machen und damit tatsächlich eine Deeskalation des Ukraine-Konflikts bewirken könnte, wird niemand ernsthaft glauben, dass Moskau sich davon beeindrucken lässt. Schließlich ist weder belegt, dass die Lage nur wegen Russland eskaliert, noch dass Russlands Einfluss in der Ukraine ausreichend groß ist. Egal, ob Russland zu Recht oder zu Unrecht beschuldigt und bestraft wird, Moskau wird seine Ukraine-Politik nicht ändern.

Natürlich treffen Wirtschaftssanktionen Russland. Andererseits treffen sie auch die europäische Wirtschaft und ganz besonders die deutsche. Es wäre jedoch naiv anzunehmen, negative wirtschaftliche Konsequenzen gingen ausschließlich von Maßnahmen aus, denen offiziell das Etikett „Wirtschaftssanktion“ angeheftet wurde. Wer glaubt ernsthaft, dass europäische und deutsche Unternehmen infolge des politischen Konflikts, der ohnehin schon länger auf dem Rücken der Bevölkerung in der Ukraine und der Wirtschaft in allen politisch involvierten Staaten ausgetragen wird, nicht auch von und in Russland die Quittung für die EU-Sanktionen bekommen werden?

Doch genau genommen müssen exportorientierte deutsche und europäische Unternehmen sogar froh sein, wenn sie nur in Russland Geschäftseinbußen hinnehmen müssen.

Chinas Interessen

Denn was ist, wenn sich die Führung in Peking aus Solidarität mit dem BRICS-Partner Russland entschließt, den westlichen Unternehmen in China (noch ein paar mehr) Steine in den Weg zu legen?

Bedingt durch die Umstellung von Chinas bisher auf Exporten basierenden Wachstumskonzepts auf die Binnennachfrage wird die chinesische Regierung ohnehin dafür sorgen (müssen), dass weniger die Umsätze ausländischer Unternehmen, sondern vor allem die der heimischen Unternehmen steigen, weil deren Gewinne im Land bleiben. Ludwig Erhard hat es jedenfalls so gemacht – wenn auch mit anderen Mitteln. Der Aufstieg der deutschen Wirtschaft gelang, weil es eine enorme unbefriedigte Binnennachfrage gab und diese von deutschen Unternehmen befriedigt wurde, was viele und zunehmend besser bezahlte Jobs brachte.

Es ist angesichts der Eskalation des Ukraine-Konflikts mit Russland keineswegs ausgeschlossen, sondern eher wahrscheinlich, dass China Russland verstärkt unterstützen wird. Dies ergibt sich vor allem aus den Vorhaben und Zielen der BRICS-Staaten.

Die sogenannten BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – haben auf ihrem Gipfeltreffen in Brasilien Mitte Juli die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank und eines eigenen Währungsfonds beschlossen, weil die USA Reformen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds blockieren. Es geht darum, dass die Schwellenländer entsprechend ihres über die Jahre stetig vergrößerten Anteils an der Weltwirtschaftsleistung in diesen Institutionen endlich auch mehr Mitspracherechte bekommen. Der Beschluss zur Gründung fiel zwei Tage vor dem Absturz des Fluges MH17 in der Ukraine. Er ist – nicht nur deswegen – in den westlichen Medien beinahe unbemerkt geblieben.

Ende der Dollar-Dominanz?

Dieser Schritt könnte dazu führen, dass der Dollar seinen Leitwährungsstatus verliert.[4] Denn die Ära der Dollar-Dominanz begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit den Beschlüssen von Bretton Woods 1944 zur neuen internationalen Geld- und Finanzordnung. Teil dieser Beschlüsse und dieser neuen Ordnung waren und sind die Weltbank und der Internationale Währungsfonds. Die beiden BRICS-Institutionen erfüllen dieselben Funktionen und sind ausdrücklich eine Antwort auf die Reformverweigerung der USA.

Die Existenz neuer internationaler Finanzinstitutionen stellt die bisherige, von den USA geprägte und dominierte internationale Geld- und Finanzordnung in Frage. Wer Finanz­hilfen an Staaten vergibt, der stellt auch die Regeln dafür auf und legt die Bedingungen fest, an die sie geknüpft werden. Der Beschluss des BRICS-Gipfels von Fortaleza in Brasilien sieht vor, dass die neuen Institutionen offen für neue Mitglieder sind.[5] Länder, die höchst unzufrieden mit den IWF-Bedingungen für Finanzhilfen und mit dem Dollar sind, gibt es genug und die finanzielle Ausstattung der BRICS-Institutionen – zu Beginn beträgt der finanzielle Spielraum jeweils 100 Milliarden Dollar[6] – wird zweifelsohne weiter aufgestockt werden.

Die BRICS-Institutionen sind neben den zunehmend abgeschlossen Abkommen für Handel in Landeswährung ein weiterer wesentlicher Schritt zum Umbau der internationalen Geld- und Finanzordnung. Diese institutionellen Veränderungen spiegeln sich auch in den Zahlen wider. So hatte beispielsweise Chinas Handel in Renminbi im Jahr 2013 ein Volumen von 746 Milliarden Dollar. Das sind zwar nur 2,5 Prozent des globalen Handels, aber es entspricht gegenüber 2012 einer Steigerung um 57,5 Prozent.[7] In diesem Jahr ist bereits eine Reihe weiterer Verträge über den Handel in Renminbi abgeschlossen worden. In fünf Jahren soll der Renminbi, so das Ziel Chinas, die weltweit drittbedeutendste Währung hinter dem Dollar und dem Euro sein und damit den japanischen Yen und das britischen Pfund überholt haben. [8]

Monat für Monat ein dickes Defizit

Die genannten Maßnahmen sowie andere Schritte führen insgesamt dazu, dass der Dollar als Handels- und Reservewährung sukzessive weniger stark nachgefragt wird. Dollars sind nichts anderes als Schuldscheine. Insofern bedeutet ein Rückgang der weltweiten Dollarnachfrage für die USA auch eine zunehmende Begrenzung der Möglichkeiten, sich im Ausland zu verschulden. Die Möglichkeit, sich praktisch unbegrenzt im Ausland zu verschulden, ergibt sich für die USA aus der bisherigen internationalen Geld- und Finanzordnung mit dem Dollar als Leitwährung. Und bisher steigt die Staatsverschuldung der USA unentwegt. Seit Anfang der 70er Jahre ist der Dollar nicht mehr goldgedeckt, das heißt, nicht mehr mit Sicherheiten unterlegt. Die US-Handelsbilanz weist Monat für Monat ein dickes Defizit auf. Die USA leben weit über ihre Verhältnisse.

Die Dollarnachfrage ergibt sich unter anderem auch zwingend daraus, dass Öl und viele Rohstoffe in Dollar bezahlt werden müssen. Russland, der weltgrößte Energielieferant, hat aber bereits Schritte unternommen, um bei der Abwicklung von Öl- und Gasgeschäften[9] sowie auch von allen anderen geschäftlichen Transaktionen[10] auf den Dollar zu verzichten. China wiederum ist der weltgrößte Energieimporteur und hat jüngst mit Russ­land einen Vertrag über Gaslieferungen im Gesamtvolumen von 400 Milliarden Dollar ge­schlossen.[11] Inwieweit diese Lieferungen nicht mehr in Dollar, sondern in Renminbi abgewickelt werden, darüber schweigen sich beide Seiten aus.[12] Dies war aber defini­tiv bis unmittelbar vor Vertragsunterzeichnung fester Bestandteil der Verhandlungen.[13] Nebenbei bemerkt verringert Russland damit auch seine Abhängigkeit von Europa als Abnehmer und vergrößert seinen Spielraum bei künftigen Preisverhandlungen.

Belastungsprobe für die BRICS

Die Gründung der BRICS-Institutionen ist für die USA insofern absolut eine durchaus Besorgnis erregende Entwicklung.

Das weiß der russische Präsident Wladimir Putin in Moskau, das weiß auch der chinesische Staatspräsident Xi Jinping in Peking. Sie wissen ebenfalls, dass die Frage der Zukunftsperspektiven der BRICS als Staatengruppe eine Frage des Zusammenhalts und der Stärke ist – in wirtschaftlichen, finanziellen wie auch in damit verbundenen politischen Fragen.

Die im Konflikt mit Russland beschlossenen Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union und der USA stellen insofern eindeutig nicht nur eine Belastungsprobe für die BRICS-Gruppe dar. Sie sind – so unmittelbar nach den historischen Beschlüssen des BRICS-Gipfels – auch eine existenzielle Herausforderung, der sie sich deswegen nicht werden entziehen können. Das gilt selbstverständlich gerade auch für China, das das mit Abstand größte aktive Interesse an der Realisierung der Ziele und Vorhaben der BRICS-Gruppe hat.

Russland ist für die BRICS-Gruppe sehr wichtig. Für die BRICS ist der Konflikt des Westens mit Russland in der Bedeutung vergleichbar mit der Euro-Krise für die Europäische Union.

China will Russland an seiner Seite

Chinas Staatspräsident Xi Jinping kann und wird im Konflikt zwischen dem Westen und Russland nicht auf der Seite des Westens stehen. Das sollte niemand glauben. Er kann und wird auch nicht neutral bleiben, denn eine massive wirtschaftliche, finanzielle und politische Schwächung Russlands, Chinas stärkstem Partner in der BRICS-Gruppe, kann absolut nicht in seinem Interesse sein.

Mit Chinas Zurückhaltung und Xi´s Versuch, abzuwarten und neutral zu bleiben, ist es seit dem Streit um die Schuld am Absturz von Flug MH17 vorbei. Darauf deuten die auf den Absturz und den Ukraine-Konflikt des Westens mit Russland bezogenen Berichte und Kommentare in den chinesischen Staatsmedien, die nichts anderes als den Regierungswillen wiedergeben, inzwischen ganz klar hin.[14]

Mit den heute beschlossenen Wirtschaftssanktionen haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union so betrachtet auf ein hoch riskantes Spiel eingelassen, das ihnen oder besser gesagt der europäischen Wirtschaft nicht nur in Russland, sondern möglicherweise auch auf dem chinesischen Markt empfindliche Umsatz- und vor allem Wachstumseinbußen bescheren kann. Die Abhängigkeit Europas und insbesondere der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt ist hoch. Hinzu kommt außerdem noch der jenseits von Russland angerichtete politische Schaden, insbesondere in den Schwellenländern.

Riskantes Spiel

Europas Wirtschaft könnte also am Ende weit mehr verlieren als viele anzunehmen scheinen, die bisher in Deutschland und in Europa Wirtschaftssanktionen gegen Russland als „verkraftbar“ befürwortet und voran-getrieben haben. Für die USA gilt das nicht. Sie riskieren wirtschaftlich erheblich weniger, weil die US-Wirtschaft in Russland weit weniger stark engagiert ist.

Wenn China das Spiel – offen oder verdeckt – mitspielt, wird Europas Sanktions-Rechnung nicht nur nicht aufgehen, sondern möglicherweise gravierende wirtschaftliche Einbußen nach sich ziehen. Das wird die US-Regierung nicht stören. Im Gegenteil.

 

Anmerkungen

[1] Spiegel Online, „Ukraine-Konflikt: EU einigt sich auf Wirtschaftssanktionen gegen Russland“: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-eu-beschliesst-erstmals-wirtschaftssanktionen-gegen-russland-a-983372.html

[2] Jack Ewing, Peter Baker, „U.S. and Europe Set to Toughen Russia Sanctions“, New York Times: http://www.nytimes.com/2014/07/29/world/europe/us-and-europe-agree-to-escalate-sanctions-on-russia.html?emc=edit_na_20140728&nlid=69028547&_r=0

[3] Ria Novosti, „Kiew: Militäreinsatz im Osten kostet Ukraine monatlich $ 128 Mio.“: http://de.ria.ru/politics/20140724/269101909.html

[4] Liam Halligan, „The dollar’s 70-year dominance is coming to an end“, The Telegraph: http://www.telegraph.co.uk/finance/comment/liamhalligan/10978178/The-dollars-70-year-dominance-is-coming-to-an-end.html

[5] Ministry of external realtions, Press releases, „Treaty for the Establishment of a BRICS Contingent Reserve Arrangement – Fortaleza, July 15“: http://brics6.itamaraty.gov.br/media2/press-releases

[6] a.a.O.

[7] Jiang Xueqing, „RMB developing quickly as major world currency“, China Daily: http://usa.chinadaily.com.cn/epaper/2014-07/21/content_17869792.htm

[8] a.a.O.

[9] Deutsche Wirtschafts Nachrichten, „Gazprom macht sich unabhängig vom Petro-Dollar“: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/04/08/gazprom-macht-sich-unabhaengig-vom-petro-dollar/

[10] Dan Weil, „FT: Russian Companies Prepare to Use Yuan in Trade Transactions“, Moneyews: http://www.moneynews.com/StreetTalk/Russia-companies-yuan-trade/2014/06/09/id/575958/

[11] Tagesschau, „30 Jahre russisches Gas für China“: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/gazprom-china100.html

[12] Liam Halligan, „The dollar’s 70-year dominance is coming to an end“, The Telegraph: http://www.telegraph.co.uk/finance/comment/liamhalligan/10978178/The-dollars-70-year-dominance-is-coming-to-an-end.html

[13] The Brics Post, „China-Russia discussing currency swaps package“: http://thebricspost.com/china-russia-discussing-currency-swaps-package/#.U3dXCSiluAf

[14] Zachary Keck, „MH17: China Defends Russia, Criticizes the West“, The Diplomat: http://thediplomat.com/2014/07/mh17-china-defends-russia-criticizes-the-west/

 

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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