Blauäugig in die Inflation

Eine neue Methodik lässt aktuelle Inflationsraten geringer ausfallen als früher. Dennoch spüren die USA bereits kräftigen Preisdruck. Bürger sollten auf der Hut sein.

Die offizielle Methode zur Berechnung der Inflationsrate wurde in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich verändert. Die Befürworter dieser statistischen Anpassungen sprechen von methodischen Verbesserungen, die zu einer immer genaueren Inflationsmessung führen sollen. Die Kritiker hingegen sehen in den methodischen Veränderungen zielgerichtete Manipulationen, deren Zweck es sei, die Geldentwertung systematisch geringer auszuweisen, als sie tatsächlich ist.

Tatsache ist, dass die alten Berechnungsmethoden im Ergebnis zu deutlich höheren Inflationsraten führen als die neuen. Fakt ist auch, dass der Staat als mit Abstand größter Schuldner der Hauptprofiteur einer systematisch zu niedrig ausgewiesenen Inflationsrate ist. Im Jargon der Kriminalisten gesprochen hat der Staat also ein starkes Motiv, die Inflationsrate zu schönen.

Ein Motiv haben schließlich auch die das staatliche Geldmonopol verwaltenden Zentralbankbürokraten, die als Herren der Gelddruckmaschine letzten Endes immer die Inflationsmacher sind – und dabei auch noch die Chuzpe haben, sich öffentlich als Währungshüter im Dienste der Preisstabilität zu vermarkten. Dabei dient das Zentralbankwesen mitnichten den Interessen des kleinen Mannes, der ja am stärksten unter hohen Inflationsraten leidet. Nein, das Zentralbankwesen dient in erster Linie der Symbiose aus einem systematisch über seine Verhältnisse lebenden Staates und den Großbanken, die daran blendend verdienen. Doch das ist ein anderes Thema.

Zweifelhafte methodische Veränderungen bewirken niedrigere Inflationsraten

Eine weitere Tatsache ist, dass einige der wichtigsten methodischen Veränderungen sehr große Spielräume in die Berechnung der Inflationsrate eingeführt haben. Das gilt vor allem für die sogenannte hedonische Methode. Diese bereinigt den Preis eines Produkts um Qualitätsverbesserungen. Stellen Sie sich beispielsweise ein Handy vor, das in jeder neuen Version zusätzliche Funktionen hat. Der Ladenpreis dieses Handys mag gleich bleiben oder sogar steigen. Der hedonisch bereinigte Preis hingegen fällt, weil die Statistiker die zusätzlichen Funktionen irgendwie bewerten und das Ergebnis dann vom Ladenpreis abziehen.

Dass wir es hierbei eher mit einer subjektiven Kunst als mit einer objektiven Berechnung zu tun haben, liegt auf der Hand. Was der eine als Qualitätsverbesserung empfindet, mag der andere als überflüssigen oder sogar ärgerlichen Schnickschnack empfinden, den er notgedrungen mitbezahlen muss, weil das einfacher ausgestattete Produkt nicht mehr produziert wird.

Sehr umstritten ist auch die Substitutionsmethode. Sie berücksichtigt, dass Menschen ihr Konsumverhalten an Preisveränderungen anpassen beziehungsweise anpassen müssen, wenn sie mit ihrem Budget über die Runden kommen wollen. Wenn beispielsweise der Preis von Butter steigt, dann essen sie mehr Margarine und umgekehrt. Dieser Effekt findet zwar unbestritten statt. Es lässt sich aber trefflich darüber streiten, ob man ihn bei der Gewichtung des Warenkorbs berücksichtigen sollte, mit dessen Hilfe ja die Geldentwertung gemessen werden soll.

Inflationsdruck in den USA

Kritische Experten kommen übrigens zu dem Ergebnis, dass die Inflationsrate der USA aufgrund der Veränderungen der Berechnungsmethode um bis zu 5%-Punkte niedriger ausgewiesen wird, als das mit den Methoden der 70er Jahre der Fall wäre.

Trotz der durch komplizierte Bereinigungen und Anpassungen systematisch geschönten offiziellen Statistiken zeichnet sich in den USA inzwischen ein nicht unerheblicher Inflationsdruck ab. So zeigt die Kernrate des Konsumentenpreisindex eine Inflationsrate von 2,8%, und im Dienstleistungssektor beträgt die Inflation inzwischen stattliche 3,5%. Das ist der höchste Stand seit mehr als sechs Jahren. Offenbar haben die hohen Energiekosten letztlich doch ihren Weg in die Konsumgüterpreise gefunden. Ich bin sehr gespannt, wie lange es der Propaganda noch gelingen wird, Geldentwertung als erstrebenswertes und ehrenhaftes Ziel der Politik zu verkaufen und die Sparer mit der von Zentralbankbürokraten verordneten Nullzinspolitik zu enteignen.

Der immer deutlicher werdende Inflationsdruck in den USA schreit geradezu nach steigenden Zinsen und einer Normalisierung der Geldpolitik, wie sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auszudrücken pflegt. Die BIZ ist die Zentralbank der Zentralbanken und die wichtigste Lobby-Organisation des Zentralbankwesens. In ihrem 84. Jahresbericht lesen die BIZ-Mitarbeiter Ihren Zentralbankkollegen gehörig die Leviten und drängen geradezu auf die oben erwähnte Normalisierung der Geldpolitik.

Steigende Preise bei stagnierender Wirtschaft

Das Inflationsthema findet inzwischen immer häufiger auch seinen Weg in die US-Medien. Dabei werden im Moment allerdings nur die besonders auffälligen Beispiele von Preissteigerungen besprochen. So widmete sich die New York Times gerade den stark gestiegenen Kosten für Impfstoffe, während das Wall Street Journal steigende Mieten beklagte. Und die Preisexplosion der Studiengebühren ist bereits ein Dauerbrenner in den US-Medien. Noch werden diese Beispiele aber als isolierte Unannehmlichkeiten gesehen und nicht als Zeichen zunehmenden Inflationsdrucks aufgrund der ultra-laxen Geldpolitik der vergangenen Jahre.

Das wird sich allerdings ändern, wenn die Preissteigerungen anhalten und weiter in die Breite gehen. Und genau das wird passieren. Dann werden sich auch die Inflationserwartungen verändern und mit ihnen die Beurteilung der inflationären Geldpolitik der vergangenen Jahre. Dann werden die Zentralbankbürokraten plötzlich vor dem gleichen Problem stehen wie in den 70er Jahren: Stagflation, also steigende Preise in Kombination mit einer stagnierenden oder sogar rezessiven Wirtschaft. Und noch etwas später wird sich die ganze Welt im Rückblick darüber wundern, wie es denn überhaupt möglich sein konnte, daran zu glauben, dass Billionen frisch gedruckter Dollar, Yen und Euro nicht zu Inflation führen würden.

BIZ fürchtet Inflationsfolgen

Noch scheint dieser Punkt in weiter Ferne zu liegen. Aber die Finanzgeschichte lehrt, dass Inflationen sehr schnell und heftig verlaufen können. Und Roland Leuschel kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass Ende der 60er Jahre die Warnungen vor einer drohenden Inflation genauso wie heute bestenfalls belächelt wurden. Dann kamen die von hartnäckig hohen Inflationsraten geprägten 70er, in denen nicht nur den Zentralbankbürokraten als Verursacher dieser Misere das Lachen verging.

Langsam aber sicher beginnen sich die verheerenden Folgen der ultra-expansiven Geldpolitik zu zeigen. Die Analysten der BIZ fürchten sich bereits davor – völlig zu recht. Und die meisten Anleger und Staatsbürger wird die kommende Geldentwertung völlig unvorbereitet treffen. So war es immer, nichts Neues also unter der Sonne.

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Über Claus Vogt

Claus Vogt ist Chefredakteur des Börsenbriefs „Krisensicher Investieren“. Zusammen mit Roland Leuschel schrieb er die Bücher „Das Greenspan-Dossier“, „Die Inflationsfalle“, „Bitcoin & Co. - Finte“ oder „Neugestaltung des Geldsystems?“. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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