Berlin bedingt abwehrfähig

Innenminister Thomas de Maizière will die deutschen Geheimdienste nun auch gegen Verbündete wie die USA spionieren lassen. Aber können die das überhaupt leisten?

In deutschen Geheimdiensten galt bisher ein ehernes Gesetz: „Wir spähen keine Freunde aus“, sagte der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich noch auf dem Höhepunkt der Affäre um die millionenfache Daten-Spionage der US-Geheimdienste in Deutschland. Und weil die Stimmen derer dennoch immer lauter wurden, die den Spielraum der US-Geheimdienste in Deutschland verengen wollten, bekräftige der CSU-Politiker: „Dieser Satz gilt.“ Freunde sollten Freunde bleiben – auch wenn sie Millionen Bundesbürger ausspioniert und das Handy von Kanzlerin Angela Merkel abgehört hatten.

Nichts schien das Zutrauen der Verantwortlichen in Politik und deutschen Geheimdiensten in die westlichen Verbündeten erschüttern zu können. Nicht einmal die brisanten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden – bis nun zwei Spionagefälle des Bundesnachrichtendienstes alles veränderten. Zunächst legte eine Hilfskraft des Bundesnachrichtendienstes (BND) ein mysteriöses Geständnis ab. Dann wird ein zweiter Fall im Umfeld des Verteidigungsministeriums bekannt. Ein Mitarbeiter des Ministeriums soll ebenfalls für einen US-Geheimdienst gearbeitet haben.

Bereits nach Bekanntwerden der BND-Affäre distanzierte sich Kanzlerin auf ihrer China-Reise in ungewöhnlich deutlich vom Bündnispartner USA. Das ließ aufhorchen. Und einer ihrer engsten Vertrauten, Innenminister Thomas de Maizière, droht den Amerikanern und damit wohl auch den anderen westlichen Verbündeten nun gar offen mit den Waffen der deutschen Geheimdienste. Dann wird ein zweiter Fall im Umfeld des Verteidigungsministeriums bekannt.

„Hauptstadt der Agenten“

In einer internen Runde kündigte de Maizière den Strategiewechsel der Nachrichtendienste an. Künftig müssten auch Freunde ins Visier genommen werden. Es sei notwendig, die gesamte Auslandsspionage rundum im Auge zu haben, also einen „360-Grad-Blick“ zu erlangen. Ob damit auch eine offensive Gegenspionage durch den Bundesnachrichtendienst in den USA gemeint sein könnte, blieb offen. Klar ist jedoch, dass auf die Spionageabwehr viel zusätzliche Arbeit zukommt, sollte sie künftig die Amerikaner, Briten und Franzosen ebenso aufmerksam beobachten müssen wie bisher etwa die Russen, Chinesen oder die Agenten aus Iran und Nordkorea.

„Berlin ist die europäische Hauptstadt der Agenten“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, im vergangenen Jahr der „Welt am Sonntag“. In keiner anderen Stadt gebe es mehr Spione. Das liegt zum einen an der besonderen Geschichte der Stadt, aktuell jedoch vor allem mit der gewachsenen politischen Bedeutung Deutschlands in Europa und damit auch in der Welt. In Berlin laufen viele Fäden europäischer Politik zusammen. Mindestens genauso groß aber ist das Interesse der ausländischen Geheimdienste an den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der deutschen Wirtschaft.

„Die Kernkompetenzen des Standortes Deutschland wecken naturgemäß Begehrlichkeiten“, sagt Burkhart Even, langjähriger Chef der Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz. „Die Schwerpunkte der Spionage- und Beschaffungsaktivitäten orientieren sich in aller Regel an aktuellen politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten.“

Abhöranlagen auf Botschaftsdächern

Betrieben werde die Spionage vornehmlich aus den diplomatischen und konsularischen Vertretungen heraus. Dort gebe es „abgetarnte sogenannte Legalresidenturen“, beschrieb Even die Spionagetätigkeit vor einigen Jahren auf einer Sicherheitstagung in Köln. „Die dort als Diplomaten getarnt tätigen Nachrichtendienstoffiziere werden von ihren deutschen Kontaktpersonen kaum als Angehörige eines Nachrichtendienstes wahrgenommen. Sie können so ihr Interesse auch an sensiblen Informationen unauffällig mit ihrer offiziellen Funktion begründen. Sie betreiben so entweder selbst – offen oder konspirativ – Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen“, sagte Even.

Damit ihnen politisch nichts entgeht, haben die ausländischen Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren technisch kräftig aufgerüstet. Auf den Dächern ihrer nahe am Regierungsviertel gelegenen Botschaften installierten Russen, Amerikaner und Briten hochsensible Abhöreinrichtungen, mit denen sie das Kanzleramt, den Reichstag und den umliegenden Abgeordnetenbüros belauschen.

Als dieser unfreundliche Akt der Amerikaner und Briten im vergangenen Jahr bekannt wurde, richtete Verfassungsschutz-Chef Maaßen die Gruppe „Sonderauswertung technische Aufklärung durch US-amerikanische, britische und französische Nachrichtendienste“ ein. Sie sollte zumindest prüfen, was die Bündnispartner so alles treiben. Doch die Möglichkeiten auch dieser Truppe sind begrenzt.

„Das Abhören aus den Botschaften und anderen Gebäuden heraus kann die Spionageabwehr nicht verhindern“, räumt Even ein. Inwieweit und zu welchem Zweck vorhandene Technik in den Botschaftsgebäuden tatsächlich genutzt werde, sei praktisch nicht feststellbar. Zwar fertigt die Spionageabwehr regelmäßig Luftbilder der Botschaftsgebäude an. Doch die Abhöreinrichtungen sind gut getarnt, so dass auf den Fotos bestenfalls Dachaufbauten zu erkennen sind.

„Gnadenlos von den USA abhängig“

Bei den nicht einmal 200 Mitarbeitern der Spionageabwehr sorgt aber nicht nur die technische Frage für Kopfzerbrechen. Sie haben erhebliche Zweifel, ob sie den von Innenminister de Maizière geforderten Strategiewechsel hin zum „360-Grad-Blick“ personell überhaupt bewerkstelligen können. Denn wenn sie etwa auch menschliche Quellen anwerben wollen, ist der Aufwand im Vergleich zur technischen Abwehr ungleich höher. Menschlichen Quellen müssen angeworben, kontrolliert und geschützt werden.

„Wir müssten, um beispielsweise die Amerikaner hier in Deutschland zu überwachen, einen Riesenaufwand betreiben. Es wird nicht leicht, Quellen in diplomatische Vertretungen oder andere US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland einzuschleusen“, sagt ein Nachrichtendienstler der „Welt“. Außerdem würde die Gegenspionage das Verhältnis zu den Amerikanern erheblich verschlechtern, was wiederum Folgen für die eigene Arbeit hätte: Die deutschen Dienste würden wohl nicht mehr so bereitwillig Informationen von den US-Diensten bekommen und müssten vieles selbst leisten.

„So bitter es klingen mag: Wir sind auf dem Gebiet der Geheimdienste gnadenlos abhängig von den USA“, sagt der Nachrichtendienstler. „Ohne die Informationen von NSA, CIA usw. wären wir aufgeschmissen.“ Darum halte er die ganze Aufregung um die Spionage-Affäre beim BND auch für „heuchlerisch“.

Etat stieg um 83 Prozent

Finanziell ist das Bundesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen zehn Jahren jedoch alles andere als stiefmütterlich behandelt worden. Von 1998 bis heute stieg der Etat der Inlandsgeheimdienstes um 83 Prozent auf 206 Millionen Euro. Das Budget des Bundesnachrichtendienstes stieg im genannten Zeitraum um 47 Prozent auf 496 Millionen Euro, und das des Militärischen Abschirmdienstes um nur 25 Prozent auf 72 Millionen Euro.

Mit den höheren Haushaltsansätzen trug die Politik dem seit dem 11. September 2001 massiv gestiegenen Risiko eines Terroranschlags in Deutschland Rechnung. Alle Dienste bauten mit dem zusätzlichen Geld ihre Expertise im Bereich islamistischer Terror aus. Gleichwohl blieben Verfassungsschutz und BND weiterhin auf Informationen der Amerikaner angewiesen, die letztlich auch alle relevanten Hinweise zu den tatsächlich verhinderten Anschlägen lieferten.

Insgesamt beschäftigt das BfV 2750 Mitarbeiter in Köln und Berlin. In diesem Jahr hoffte der Dienst, rund 100 Stellen mehr zu bekommen. Denn obwohl der Etat jährlich kräftig stieg, mussten sich einige Abteilungen des Dienstes seit Jahren immer wieder mit der Umsetzung von Personal behelfen, um Engpässe zu beheben. Oftmals werden dann auch Leute in unterbesetzten Abteilungen versetzt, die für die dort anfallenden Aufgaben wenig qualifiziert sind.

„Geheimdienste ohne Lobby“

„Die Stellenverschiebungen innerhalb unseres Amtes werden langsam absurd. Nach dem 11. September 2001 galt alle Aufmerksamkeit dem Islamismus, mit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurde Mitarbeiter zur Abteilung Rechtsextremismus geschoben, die damals gestärkt werden sollte. Jetzt gibt es das gleiche Spiel mit der Spionageabwehr“, sagt ein Abteilungsleiter. Andere zweifeln am grundsätzlichen Willen der Politik , die Geheimdienste finanziell so auszustatten, dass sie den heutigen Anforderungen gerecht werden könnten. „Die Bereitschaft, die Dienste zu stärken, ist nicht vorhanden. Sie haben weder in der Bevölkerung noch in der Politik eine Lobby“, sagt ein Nachrichtendienstler.

Viel Geld gab die Politik auch für den Umzug des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin. Inzwischen werden die Ausgaben für den Neubau auf 912 Millionen Euro kalkuliert. Insgesamt beschäftigt der BND in seinen zwölf Abteilungen rund 6500 Mitarbeiter.

Unter den Sicherheitsexperten in der Politik ist es ein offenes Geheimnis, dass die Ausgaben für die Geheimdienste wohl noch einmal kräftig steigen müssten, wenn diese künftig auch gegen befreundete Staaten eingesetzt werden sollten. „Ich denke schon, dass man nach diesem Vorfall den Blick weiten muss“, sagte der CSU-Politiker Stephan Mayer. „Das heißt aber auch, dass wir nun das Bundesamt für Verfassungsschutz personell und finanziell so ausstatten müssen, dass sie diesen Auftrag auch ausführen können.“ Ob Innenminister de Maizière das bei seiner Ankündigung bedacht hat?

Geschrieben für Die Welt*

 

Anmerkung

*Günther Lachmann, „Ist der BND überhaupt zur Gegenspionage fähig?“: http://www.welt.de/politik/deutschland/article129980685/Ist-der-BND-ueberhaupt-zur-Gegenspionage-faehig.html

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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