Ein fragwürdiger Spionagefall

Warum sollte ein BND-Mitarbeiter ausgerechnet über Googel-Mail ein Spionage-Angebot verschicken? Und: Was sollte er der CIA sagen, was sie nicht schon von uns weiß?

Was für ein Fall! Und bekannt wird er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, wo der Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der US-Datenspionage in Deutschland seine Arbeit aufnimmt: Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen einen 31 Jahre alten Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), der Informationen an die Amerikaner weitergegeben haben soll.

Die Aufregung darüber ist groß. Führende Politiker der Koalition verlangen von den USA dringend Aufklärung. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich dem Vernehmen nach während ihrer China-Reise „überrascht und fassungslos“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nannte die Vorwürfe „sehr schwerwiegend“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte, es dürfe nun nichts mehr unter den Teppich gekehrt werden. Und Bundespräsident Joachim Gauck warnte gar vor einer Belastung der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Es ist ein Fall, der in der Tat viele Fragen aufwirft. Und alles, was bislang darüber bekannt wurde, macht ihn nur noch mysteriöser. Die Darstellungen zeichnen nicht nur ein Bild dilettantischer deutscher und US-amerikanischer Nachrichtendienste, sondern sind in der Tat geeignet, das deutsch-amerikanische Verhältnis in einer durch die NSA-Spionage in Europa hoch aufgeladenen, besonders sensiblen Situation weiter zu destabilisieren. Wer könnte ein Interesse daran haben? Und was ist so merkwürdig an dem Fall?

Wie kam es zu dem Spionagefall?

Der BND-Mitarbeiter soll sich vor zwei Jahren per E-Mail an die US-Botschaft als Spion angeboten und seither für die USA spioniert haben. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler einen USB-Stick mit 218 geheimen BND-Dokumenten. Für seine Dienste habe er insgesamt 25.000 Euro erhalten, heißt es. Am 28. Mai dieses Jahres soll der Verdächtige dann von einem Google-Mail-Account aus an das russische Generalkonsulat in München schrieben haben. Dieser Mail soll er sogar vertrauliche Unterlagen beigefügt haben. „Er könne bei Bedarf gern mehr liefern“, zitiert der „Spiegel“ aus dem Inhalt der Mail.

Wie glaubhaft ist diese Darstellung?

Sie gehört zu den großen Mysterien dieses Falles. Fast alle Indizien und die Auswertung der Beweismittel weisen in Richtung CIA. In deutschen Geheimdienstkreisen herrscht jedoch Unverständnis darüber, dass die Amerikaner auf ein derartiges Angebot eines BND-Mannes eingegangen sein sollen. Erstens könnten diese Mail auch andere Geheimdienste abgefangen haben. Damit wäre er als Informant unbrauchbar. Zweitens sei die Art und Weise der Kontaktanbahnung alles andere als professionell. Noch größer ist die Verwunderung darüber, dass der Verdächtige sich am 28. Mai dieses Jahres von einem Google-Mail-Account aus an das russische Generalkonsulat in München gewandt hatte. Dieser Mail soll er sogar vertrauliche Unterlagen beigefügt haben. „Er könne bei Bedarf gern mehr liefern“, zitiert der „Spiegel“ aus der Mail.

Würde ein BND-Mitarbeiter ein Spionage-Angebot per Google-Mail schicken?

Das ist kaum anzunehmen. Spätestens seit der NSA-Affäre gilt als sicher, dass die US-Geheimdienste Mail-Dienste wie Google-Mail intensiv ausspionieren. Als Mitarbeiter des BND musste der Mann wissen, wie leicht Mails abgefangen und mitgelesen werden können. Ein ernsthaftes Angebot hätte er somit vermutlich zumindest über einen verschlüsselten Mail-Account versandt oder aber eine ganz andere Art der Kontaktaufnahme gewählt, heißt es in Geheimdienstkreisen.

Warum schaltete er später seine Google-Mail-Adresse ab?

Tatsächlich las der Verfassungsschutz die Mail an das russische Konsulat mit. Unter einer gefälschten russischen Adresse soll der Dienst zum Schein auf das Angebot eingegangen sein und ein Treffen angeboten haben, schreibt der „Spiegel“. Aber der Verdächtige ging auf das Angebot nicht ein, sondern schaltete seine Google-Mail-Adresse ab, als der BND die US-Behörden fragte, ob die Adresse dort bekannt sei.

Spricht das Abschalten der Google-Mail für eine Beteiligung der USA?

Nicht unbedingt, denn von der Anfrage bei den US-Behörden kann der Verdächtige auch im BND erfahren haben. Immerhin arbeitete er in der BND-Zentrale in Pullach in der Abteilung Auslandsbeziehungen. Er sei als Hilfskraft beschäftigt worden und habe kaum Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen haben können. Verwunderung gibt es im deutschen Geheimdienst darüber, dass die Amerikaner solch ein hohes Risiko eingegangen sein sollen, um Dokumente mit so wenig Brisanz zu erhalten. „Das hätten die doch auch auf anderen Wegen erfahren können“, heißt es.

Wie passt die Version von der Google-Mail zu den Verschlüsselungsprogrammen, die auf dem heimischen Computer des Verdächtigen gefunden wurden?

In der Wohnung des BND-Mitarbeiters fanden die Ermittler einen Computer, der ihrer Ansicht nach von einem Geheimdienst präpariert sein könnte. Anlass zu dieser Vermutung gibt eine spezielle Software-Konfiguration. Auf dem Rechner ist eine Wetter-App installiert. Wird damit nach dem Wetter in Ney York gefragt, öffnet sich ein Verschlüsselungsprogramm (Kryptogramm). Wer solche Dinge benutzt, weiß, wie er mit sensiblen Daten im Internet umgeht und wird wohl kaum riskante Mails mit öffentlichen Mail-Anbietern wie Google-Mail versenden. Es sei denn, diese Mails sollen gesehen werden.

Konnte der BND-Mann überhaupt Informationen liefern, die den USA noch nicht vorliegen?

Für diese Behauptung spricht wenig. Es ist bekannt, dass der Informationsfluss eher in entgegengesetzter Richtung läuft. Nur durch frühzeitige Warnungen der US-Geheimdienste etwa gelang es bisher, die in Deutschland geplanten Attentate islamistischer Terroristen zu verhindern. Im Gegenzug lieferten die deutschen Dienste Informationen zu aus Deutschland nach Afghanistan, Syrien oder in die Irak ausgereiste Dschihadisten.

Warum gestand der BND-Mann, er habe für die USA spioniert?

Auch diese Aussage gehört zu den vielen Mysterien dieses Falles. Denn bis zur Festnahme des Verdächtigen gingen die deutschen Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden offenbar von einer geheimdienstlichen Tätigkeit für die Russen aus. Denn der Grund ihrer Ermittlungen war ja die Google-Mail an das russische Konsulat in München. Dass ein mutmaßlicher Spion Dinge gesteht, die gar nicht in Rede standen bzw. ihm anscheinend gar nicht vorgeworfen wurden, erscheint zumindest merkwürdig.

Wie brisant war das Material, das angeblich an die USA geliefert wurde?

Nach Angaben des BND enthielten die angeblich an die USA gelieferten Dokumente keine „besonders sensiblen In-formationen“. Entgegen ersten Berichten wurde der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht ausspioniert.

Warum sollten die US-Dienste sich mit ihm in Österreich treffen?

Angeblich will der BND-Mitarbeiter seine amerikanischen Auftraggeber regelmäßig in Österreich getroffen haben. Bei diesen Treffen sollen die Dokumente und das Geld übergeben worden sein. Auch diese Darstellung wird in Geheimdienstkreisen angezweifelt. In Österreich sei der russische Geheimdienst FSB viel stärker als in Deutschland, sprich hier wäre das Risiko des Informationsaustausches demnach geringer gewesen.

Wann schalten Geheimdienste in solchen Fällen die Staatsanwaltschaft ein?

Bevor das geschieht, wird ein Fall in der Regel intensiv und lange geprüft. In den deutschen Nachrichtendiensten gibt es deshalb Unmut darüber, dass der Mann so schnell verhaftet wurde und der Fall so schnell an die Öffentlichkeit gelangt ist. „Es wäre aus geheimdienstlicher Sicht besser gewesen, den Verdächtigen weiter zu beobachten, um mehr über seine Kontaktleute zu erfahren. Für den 9. Juli war ja ein weiteres Treffen in Prag geplant. Logisch wäre doch gewesen, dieses Treffen zu observieren und auch den Gesprächspartner dort zu identifizieren“, sagte ein Nachrichtendienstler der „Welt“.

Gingen die Geheimdienste dilettantisch vor?

Wie der Fall von deutscher Seite bislang gehandhabt wurde, stößt auch beim früheren Geheimdienstkoordinator der Regierung Kohl, Bernd Schmidbauer (CDU), auf Kritik. „Das bisherige Vorgehen der deutschen Behörden ist höchst unprofessionell. Wegen eines solchen Leichtgewichts den Fall so hochzuspielen und die deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter zu schwächen, finde ich bedenklich“, sagte er der „Welt“. „In meiner Zeit gab es auch solche Vorfälle. Doch die haben wir zuerst mit nachrichtendienstlichen Mitteln geprüft und dann auf diplomatischem Weg geklärt.“

Wie gingen Geheimdienste früher in vergleichbaren Fällen vor?

Im Jahr 1994 etwa wollte die CIA den damaligen Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, Klaus Dieter von Horn, anwerben. Die Treffen fanden auch statt, doch Horn hatte den deutschen Verfassungsschutz eingeweiht. „Wir hatten das jahrelang beobachtet und dann Maßnahmen auf diplomatischen Wege ergriffen. Ein CIA-Mitarbeiter wurde ausgewiesen“, sagte der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer. Es habe zudem weitere Vorkommnisse zwischen den deutschen und amerikanischen Geheimdiensten gegeben, die Anlass für Gespräche auf höchster Ebene über das Verhältnis „unter Freunden“ gewesen seien.

Warum wurde der Fall gerade jetzt bekannt?

Es spricht wenig dafür, dass das Bekanntwerden des Spionagefalls ausgerechnet zum Auftakt des NSA-Untersuchungsauschusses purer Zufall sein könnte. Vielmehr sehen Geheimdienstkreise darin eine gezielte Aktion zur Beeinflussung der Öffentlichkeit. Der Fall sei geeignet, das Bild der US-Seite weiter zu schädigen, weil er den Verdacht erhärte, die US-Geheimdienste spionierten nicht nur Gegner, sondern rücksichtslos aus ihre Verbündeten aus.

Wem nutzt der Fall?

Allen, die das deutsch-amerikanische Verhältnis schwächen oder von eigenen Problemen ablenken wollen. Zu jenen dürfte auch der russische Staatspräsident Wladimir Putin zählen. Seit langem schon wirbt eine mediale russische Offensive erfolgreich um die Gunst der Deutschen. In einer vom „Spiegel“ in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich 40 Prozent der Befragten für eine stärkere Zusammenarbeit Deutschlands mit Russland aus. Und 69 Prozent sagten, ihr Vertrauen in die USA sei gesunken. 57 Prozent forderten mehr Unabhängigkeit von den USA.

Gemeinsam mit Dirk Banse geschrieben für Die Welt*

 

Anmerkung

*Günther Lachmann, Dirk Banse, „Verräterische Wetter-App auf dem PC des BND-Spions“: http://www.welt.de/politik/deutschland/article129861503/Verraeterische-Wetter-App-auf-dem-PC-des-BND-Spions.html

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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