Die vielen Täter im Fall Edathy

Zwar gibt es nun einen Untersuchungsausschuss in der Kinderporno-Affäre um SPD-Politiker Edathy. Aber es geht auch um Geheimnisverrat, Lügen und verschleppte Ermittlungen.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Anfang Januar meldet sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebsatian Edathy krank. Am 7. Februar legt er nach 15 Jahren überraschend sein Bundestagsmandat nieder.

„Ich habe mich aus gesundheitlichen Gründen dazu entschieden, mein Bundestagsmandat niederzulegen. Über diese Entscheidung habe ich am Freitag, 7. Februar 2014, den Bundestagspräsidenten informiert. Der Mandatsverzicht ist damit wirksam geworden“, schreibt er auf seiner Internetseite.

Drei Tage später lässt die Staatsanwaltschaft Hannover Wohnungen Edathys im niedersächsischen Rehburg, in Berlin sowie weitere Büros durchsuchen. Als die Polizisten in Rehburg anrücken, sind auch Lokalreporter zur Stelle, die ganz offensichtlich über den Einsatz informiert wurden.

Warum das ganze? Niemand weiß es. Es gibt nur Spekulationen. Demnach wird Edtahy verdächtigt, kinderpornografisches Material zu besitzen. In seinen Wohnungen und Büros finden die Ermittler allerdings kaum Beweismaterial. Ist der Beschuldigte also vorab über die geplanten Durchsuchungen informiert worden? Edathy selbst ist abgetaucht, angeblich hält er sich in Dänemark auf. Andere Stimmen behaupten, er sei in Südeuropa.

„BKA-Chef hat sich an Aufklärung nicht beteiligt“

Bis heute ist der Fall ungeklärt. Nun soll ein Untersuchungsausschuss des Bundestages Licht in die Affäre bringen. Zweimal wird er vor der Sommerpause tagen, sich konstituieren und über Beweisanträge verständigen. Bis zum Sommer nächstens Jahres dürfte seine Arbeit dauern, schätzt die Ausschussvorsitzende Eva Högl (SPD).

Dabei hat sich der Innenausschuss des Bundestages bereits in vier zeitaufwendigen Sitzungen mit dem Fall beschäftigt. Allerdings ohne Ergebnis. „Wir haben vier unterschiedliche Versionen ein und derselben Geschichte gehört“, sagt Irene Mihalic, die die Grünen im Ausschuss vertreten wird. Enttäuscht sei sie vor allem vom Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke: „Er hat sich nicht proaktiv an der Aufklärung beteiligt“, sagt sie. Und die Frage, warum sie sich dann von einem Untersuchungsausschuss mehr erwarte, beantwortet sie so: „Hier haben wir eine echte Zeugenbefragung. Außerdem können wir Akten beiziehen, die bislang nicht zur Verfügung standen.“

In seiner Arbeit will der Ausschuss chronologisch vorgehen und die Affäre von ihren Anfängen her noch einmal ganz neu aufrollen. Im Zentrum stehen drei Themenkomplexe. Der erste behandelt die Rolle des BKA. Kanadische Fahnder hatten dem Bundeskriminalamt (BKA) bereits im Herbst 2011 Daten übergeben, in denen Edathy namentlich als Besteller von Kinder-Nacktfotos auftauchte. Die deutschen Ermittler begannen jedoch erst im Oktober 2013 damit, gegen ihn vorzugehen. Warum erst so spät?

Union spricht von „Verunglimpfung“ des BKA 

Eine wesentliche Rolle spielt bei der Aufarbeitung aber auch, warum überhaupt ermittelt und vor allem die Wohnungen durchsucht wurden, wenn Edathy, wie zunächst offenbar angenommen, nur im Besitz von legalem Material war.

Während Grüne und Linkspartei die Rolle des BKA kritisch hinterfragen wollen, kündigt die Union an, sie werde keine „Verunglimpfung“ des BKA zulassen. Es dürfe nicht sein, dass Linke und Grüne in dem Ausschuss ihre öffentlichen Allergien gegen Sicherheitsbehörden auslebten, sagt Unions-Obmann Armin Schuster (CDU). Das BKA dürfe nicht zu Unrecht an den Pranger gestellt werde.

Die Union will dort auch die Rolle der niedersächsischen Behörden und die Zusammenarbeit der Ermittler in Bund und Ländern in den Blick nehmen. Schuster beklagt, es habe lange gedauert, bis die Ermittler in Niedersachsen Maßnahmen gegen Edathy eingeleitet hätten.

Der zweite Komplex dreht sich um die Weitergabe von Informationen zu dem Fall – beim BKA selbst, vom BKA an die Bundesregierung, innerhalb der Bundesregierung, an andere Behörden und Dritte. „Durfte BKA-Chef Ziercke die Informationen über Edathy an einen Staatssekretär weitergeben?“, fragte die Grünen-Politikerin Mihalic.

Über den Staatssekretär gelangte die Information zum damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der während der Koalitionsverhandlungen mit der SPD wiederum SPD-Chef Sigmar Gabriel davon in Kenntnis setzte. Angeblich wollte Friedrich die gerade entstehende große Koalition vor Schaden bewahren und verhindern, dass Edathy in der neuen Bundesregierung einen wichtigen Posten bekommt. Aber warum gab Gabriel die Information kurzerhand an den damaligen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier weiter, der sie schließlich an seinen Parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann ausplauderte? Und Oppermann wiederum telefonierte dann mit BKA-Chef Ziercke darüber. Angeblich will Ziercke aber nichts gesagt haben.

Aufstieg der Edathy-Plauderer

Alle Weiterträger dieser Informationen sind inzwischen in Regierungsämter bzw, zum Fraktionschef (Oppermann) aufgestiegen. Nur der CSU-Politiker Friedrich hat die Sache politisch nicht überlebt. Er musste zurücktreten, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Geheimnisverrats ermittelt.

Gleichwohl hält er sein Vorgehen bis heute für richtig. Er sei davon überzeugt, dass er ethisch, moralisch und juristisch richtig gehandelt habe – politisch sowieso, sagt er in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Bunte“: „Ich musste Sigmar Gabriel unterrichten.“

Er hege wegen seines erzwungenen Rücktritts keine Rachegefühle. Allerdings sei es bitter, „wenn man von Leuten im Stich gelassen wird, die man früher für Freunde hielt“. Dennoch habe er sich vorgenommen, „dass Wut und Hass keinen Platz in mir haben sollen. Ein negatives Gefühl wie Hass zerstört die Seele. Und ich will mich nicht vergiften“.

Doch nicht nur vom BKA in die Bundespolitik bahnte sich die Information ihren Weg. Das Datenpaket der kanadischen Ermittler ging nämlich auch an die Landeskriminalämter. „Die Frage ist: Wer wusste wann Bescheid, wer durfte eingeweiht werden und wer nicht? „Offen ist vor allem, ob Edathy vorab gewarnt wurde“, sagt die Grünen-Politikern Mihalic. Immerhin meldete der SPD-Politiker seinen Laptop aus dem Bundestag als gestohlen, und die Polizei stellte bei ihm Reste zerstörter Festplatten sicher.

Der dritte Themenkomplex dreht sich um einen BKA-Beamten, der ebenfalls auf der Liste der kanadischen Ermittler auftauchte. Der Ausschuss soll unter anderem klären, wie das BKA damit umging.

SPD hält Ausschuss für überflüssig

Unter den Fraktionen des Bundestages könnten die Erwartungen an den Untersuchungsausschuss unterschiedlicher kaum sein. Ausschuss-Vorsitzende Högl hält ihn schlicht für überflüssig. „Ich war immer der Auffassung, dass die Geschichte erzählt ist und wir wissen, wie der Gang der Informationen war“, sagt sie. Es sei aber das gute Recht der Opposition, einen solchen Untersuchungsausschuss zu fordern.

Unmittelbar vor der konstituierenden Sitzung Högl kündigt sie an, auch den SPD-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Gabriel als Zeugen laden zu wollen. „Darum kommen wir nicht herum, das versuchen wir gar nicht erst zu vermeiden“, so Högl. „Sigmar Gabriel hat die Informationen vom damaligen Innenminister Friedrich bekommen. Deswegen gehört das zum Gang der Informationen, dass wir uns das noch einmal anschauen.“ Auch Edathy selbst müsse angehört werden.

Högl kennt sich aus mit heiklen Themen und schwieriger Aufklärungsarbeit. Im Untersuchungsausschuss zur rechten Terrorzelle NSU arbeitete sich die SPD-Politikerin mehr als anderthalb Jahre lang durch tausende Akten und zähe Zeugenvernehmungen. Högl machte sich dort als Obfrau der SPD-Fraktion einen Namen.

Ausschuss voller Polizisten

Nun übernimmt sie ausgerechnet den Vorsitz im Untersuchungsausschuss, der sich um ihren Parteikollegen und den damaligen NSU-Ausschussvorsitzenden Edathy dreht. Kein Wunder, dass die Besetzung in der Opposition auf Kritik stößt: Högl habe lange eng mit Edathy zusammengearbeitet, und sie kenne ihn noch aus der gemeinsamen Heimat Niedersachsen, beklagen die Grünen.

An Ermittlungskompetenz dürfte es dem Untersuchungsausschuss kaum mangeln, denn alle Obleute der Fraktionen haben vor dem Einzug ins Parlament als Polizisten gearbeitet. Uli Grötsch (SPD), Frank Tempel (Linke) und Irene Mihalic (Grüne) sind Polizeibeamte. Armin Schuster (CDU) war früher Polizeidirektor. Ob die Polizei-Vergangenheit bei der Aufarbeitung von möglichen Fehlern bei der Polizei von Vorteil oder eher von Nachteil ist, wird die Arbeit zeigen.

Geschrieben für: Die Welt

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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