AfD-Lucke über die Angst der CDU

Der AfD-Vorsitzende Lucke stellt CDU-Fraktionschef Kauder ein Armutszeugnis aus und erklärt, warum seine Partei ein Problem mit dem Polen Jarosław Kaczyński  hat.

Seit der AfD der Einzug ins Europaparlament geglückt ist, rätselt die CDU, wie sie mit dem neuen Konkurrenten umgehen soll, der in der Wählergunst die FDP längst hinter sich gelassen hat. Ein aktuelle Forsa-Umfrage kommt gar zu dem Ergebnis, dass jeder dritte Deutsche die AfD auch gern im Bundestag sähe. Bei der Sonntagsfrage legte die Partei gleich zwei Prozentpunkte zu und verbesserte sich auf 8 Prozent. Ihr Vorsitzender Bernd Lucke ist in dieser Woche erstmals in Brüssel. Er muss sich nicht nur um Büro und Personal kümmern, sondern auch die Frage klären, mit wem seine Partei im Europaparlament koaliert.

Herr Lucke, bei der Bundestagswahl und der Europawahl waren Sie in Regionen besonders erfolgreich, in denen auch die NPD erfolgreich ist. Bedienen Sie die Klientel der NPD?

Lucke: Nein, denn wie Sie richtig sagen, war dort die NPD ja besonders erfolgreich. Die NPD-Anhänger haben also NPD gewählt – nicht CDU, nicht SPD und nicht AfD. Aber es gibt in diesen Regionen eine große Enttäuschung über die Politik der Altparteien. Und von dieser Enttäuschung profitieren wir auch. Im Übrigen erzielten wir unser stärkstes Stimmenergebnis in Pforzheim in Baden-Württemberg. Und das ist bestimmt kein NPD-Wählergebiet.

In der Union ist wegen des guten Abschneidens der AfD in Baden-Württemberg eine heftige Debatte über den Umgang miteinander entbrannt. Deren Fraktionschef Volker Kauder sagte, er wolle sich nicht mit AfD-Politikern in eine Talkshow zu setzen…

Lucke: …Das ist doch ein Armutszeugnis für Herrn Kauder und die CDU. Offenbar ist er argumentativ so schwach, dass er die Auseinandersetzung mit uns vor großem Publikum scheut.

Wie erklären Sie sich das?

Lucke: Mit blanker Angst vor uns. Wir vertreten viele Positionen, die früher lupenreine CDU-Positionen waren. Etwa, dass der Maastricht-Vertrag es verbietet, die Schulden anderer Staaten zu übernehmen oder dass der Mindestlohn Arbeitsplätze kostet und mittelstandsfeindlich ist. Etwa, dass es nur eine Staatsbürgerschaft geben sollte und dass man Familien ideell und finanziell fördern sollte. Wenn die CDU mit uns diskutiert, muss sie ihre eigenen Argumente von früher widerlegen. Das will und kann sie natürlich nicht.

Sie haben aber nicht nur die CDU zum Gegner, auch in der eigenen Partei gibt es viele Widersacher. Gerade jetzt schieben diese ein Mitgliederbegehren für eine Zusammenarbeit mit der euro- und europakritischen britischen Partei Ukip an…

Lucke: …Den Antrag hat ein einzelner Kreisverband initiiert, und er scheint ein Rohrkrepierer zu werden, weil er kaum Zustimmung in der Partei bekommt. Ich lehne die Zusammenarbeit mit UKIP ab, weil wir eine pro-europäische Partei sind. Wir sind für die Europäische Union und wollen sie in ihrer jetzigen Form erhalten. Das will Ukip-Chef Farage nicht. Er will, dass Großbritannien aus der EU austritt. Das ist eine ganz andere Zielvorstellung als unsere.

Sie möchten gerne in die Fraktion der Konservativen, also in die ECR. Da gibt es erheblich Vorbehalte nicht nur von den britischen Torys, sondern auch vom Vorsitzenden der polnischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS), Jarosław Kaczyński. Kaczyński missfallen Ihre Positionen zur Russland- und Ukrainepolitik. Haben Sie mit ihm schon über die Aufnahme der AfD-Europa-Abgeordneten in die Fraktion der Konservativen gesprochen?

Bernd Lucke: Nein, das habe ich noch nicht.

Werden Sie das noch tun?

Lucke: Möglich, aber derzeit ist kein Gespräch vorgesehen. Ich muss zunächst korrigierend sagen, dass es nicht um die Auffassungen der AfD geht, sondern um spezielle Interviewäußerungen von Herrn Gauland. Die Linie der AfD wird durch Parteitags- und Vorstandsbeschlüsse beschrieben, und mir ist nicht bekannt, dass Herr Kaczyński daran Anstoß genommen hat. Herr Gauland trägt diese Linie völlig mit, hat aber in den Interviews einige eigene Akzente gesetzt, die offenbar bei Herrn Kaczyński Befremden ausgelöst haben.

Glauben Sie, dass Kaczyńskis Bedenken ein Hinderungsgrund für die Aufnahme der AfD in die Fraktion der Konservativen sein wird?

Lucke: Da ich mit Herrn Kaczyńskis nicht gesprochen habe, ist das derzeit schwer einzuschätzen.

Das heißt dann also, dass Sie zwei Hürden nehmen müssen: Einerseits die Verärgerung Kaczyński über die Gauland-Äußerungen, andererseits könnte es Vorbehalte der britischen Konservativen, der Torys, geben.

Lucke: Das ist richtig, wobei es letzten Endes wohl nur eine Hürde ist: Denn nach meinem Dafürhalten ist es die Bundesregierung, die bei beiden Politikern vorstellig wird und versucht, die AfD in ein schlechtes Licht zu rücken. Man bemüht sich, den Regierungsparteien unliebsame Konkurrenz im eigenen Land vom Leib zu halten.

Sie meinen, das Kanzleramt hat mit Kaczyński in dieser Angelegenheit Kontakt aufgenommen?

Lucke: Ich kann nicht bestätigen, dass das der Fall ist. Man hört aber viele Gerüchte.

Hatten Sie schon Kontakt mit den Torys?

Lucke: Ja.

Wie war das Gespräch?

Lucke: Sehr gut, wir sind in Brüssel mit offenen Armen empfangen worden und haben dort nicht nur mit den Torys, sondern auch mit den Polen, Tschechen und Niederländern gesprochen. Bei allen war eine große Offenheit und Bereitwilligkeit zu erkennen, die AfD in die ECR-Fraktion aufzunehmen.

Wie lange ist das her?

Lucke: Eine knappe Woche. In der Zwischenzeit hat sich der Druck, der auf Kaczyński und den britischen Premier David Cameron wegen der AfD ausgeübt wird, wohl deutlich verstärkt. Wie dieser Druck wirken wird, werden wir sehen. Immerhin gibt es seitens der Konservativen keinerlei inhaltliche Vorbehalte uns gegenüber. Schließlich waren wir diejenigen, die im Bundestagswahlkampf explizit auf Camerons europapolitische Vorstellungen Bezug genommen haben. Es könnte also höchsten sein, dass man aus Gründen der Staats- und Parteiräson negativ über unser Aufnahmegesuch entscheidet.

Werden Sie, sofern es dazu kommt, im Parlament für den EVP-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als neuen Präsidenten der Europäischen Kommission stimmen?

Lucke: Nein, Herr Juncker ist eine rückwärtsgewandte Persönlichkeit der alten westeuropäisch und zentralistisch geprägten EU. Er hat in den vergangenen Jahren alles dafür getan, dass das Geld der EU in den Süden Europas fließt. Osteuropa hat er ignoriert, obwohl dort wirtschaftlich und politisch große Aufgaben zu bewältigen sind. Stattdessen hat er gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel die europäischen Verträge gebrochen und die Grundlagen dafür geschaffen, dass sich die EU von einer Wachstumsunion zu einer Nord-Süd-Umverteilungsunion hin entwickelt. Das schadet Europa, weil der Streit ums Geld in den nächsten Jahren vorherrschend sein wird. Im Übrigen sind die Staats- und Regierungschefs in der Spitzenkandidaten-Frage von den großen europäischen Parteien übertölpelt worden.

Wie meinen Sie das?

Lucke: Indem die großen Parteien verabredet haben, dass einer ihrer Spitzenkandidaten Kommissionspräsident sein muss. Länder wie England oder Ungarn bleiben außen vor, weil sie in diesen Parteien nicht hinreichend oder gar nicht vertreten sind. Und selbst Frau Merkel scheint Juncker nicht zu wollen, traut sich aber nicht, einen kompetenteren Kandidaten vorzuschlagen, nur weil Juncker Spitzenkandidat war. Wollen wir nun den besten Kandidaten oder den, der die größte Hausmacht hat?

Sie erklären das Modell der Spitzenkandidaten für untauglich?

Lucke: Ja, denn ich halte es für eine Schnapsidee, den großen Parteien das Monopol einer Vorauswahl zu geben. Ich denke, dass ein Parlament frei darüber entscheiden sollte, wer Chef einer Regierungsbehörde wird. Wir setzen uns dafür ein, dass mal ein Osteuropäer zum Zuge kommt, denn in Osteuropa sind in den nächsten Jahren große wirtschaftliche und politische Herausforderungen zu bewältigen.

Wen hätten Sie denn gern?

Lucke: Wir sind für gute Vorschläge offen, aber einer wäre zum Beispiel der frühere slowakische Parlamentspräsident Richard Sulik.

Unter dem Eindruck der Europawahl wollen sich Italien, Frankreich und Spanien nun von der Sparpolitik verabschieden. Mit welchen Folgen?

Lucke: Das heißt, dass diese Staaten wieder über ihre Verhältnisse leben werden, denn die Grundlagen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung fehlen ja noch immer. Folglich kann sich die Staatsschuldenkrise wieder verschärfen, was schlecht ist für Europa. Richtig wäre es, die Wachstumsschwäche in Südeuropa endlich bei der Wurzel zu packen, also die Frage nach der gemeinsamen Währung zu stellen.

Derzeit wird darüber spekuliert, dass die EZB wegen der Wachstumsschwäche den Leitzins auf Null oder gar darunter senken könnte. Was halten Sie davon?

Lucke: Ich sehe das Deflationsrisiko. Das besorgt mich auch. Darum kann ich verstehen, wenn die EZB dem mit einer lockeren Geldpolitik entgegentreten will. Allerdings glaube ich nicht an den Erfolg negativer Zinssätze. Schon jetzt sind die Zinssätze historisch tief, ohne dass die Deflationsgefahr gebannt werden konnte. Außerdem besteht die Gefahr, dass Banken die Kosten, die ihnen durch negative Zinssätze entstehen, an ihre Kunden weiterreichen. Das würde den gegenteiligen Effekt auf die Konjunktur auslösen.

Wie würden Sie mit diesem Problem umgehen?

Lucke: Der entscheidende Schlüssel für steigende Zinsen ist die Realwirtschaft. Wir brauchen wieder Wachstum und Beschäftigung…

..das sagen die Politiker der anderen Parteien auch…

Lucke: …Aber sie sehen über die Wachstumsbremse hinweg, die gemeinsame Währung. Wir können die Krise in Südeuropa nur besiegen, wenn diese Staaten aus dem Euro ausscheiden dürfen. Zudem muss es geordnete Staatsinsolvenzen geben dürfen, um Teilentschuldungen zu ermöglichen. Nur so bekommen wir wieder Wachstum.

Das Interview wurde geführt für Die Welt.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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