Jakunin geißelt Sittenverfall in EU

Wladimir Jakunin zählt zu Putins Machtzirkel. Er beklagt einen „vulgären Ethno-Faschismus“ und erklärt, dass bärtige Frauen nichts mit Demokratie zu tun hätten.

Die Frage, wie nah oder wie fern Russland und Europa einander sind, war nie leicht zu beantworten. Aber als Thema einer Konferenz in Berlin zumal vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine und noch dazu mit einem engen Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin als prominentem Gast, gewinnt sie sichtlich an Brisanz. Und wenn dann dieser prominente Gast, der zu allem Überfluss auf der Sanktionsliste der USA steht, auch noch darüber sprechen will, dass „Russland von Europa nicht isoliert werden kann“, könnte es gar heikel werden.

Der Gast, den der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums e.V, der frühere brandenburgischen Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), zur gemeinsamen Veranstaltung mit dem World Public Forum Dialogue of Civilizations begrüßte, war Wladimir Jakunin, Gründungspräsident des World Public Forum. Der 65 Jahre alte Chef der russischen Eisenbahn gehört zum engsten Machtzirkel in Moskau. Er soll einst mit Putin beim sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet haben, berichtet die Deutsche Welle[1] und beruft sich dabei auf russische Medien. Konkrete Beweise dafür gebe es indes nicht.

Mitarbeiter der sowjetischen Mission bei den Vereinten Nationen

Erhärtet wird die Theorie jedoch durch seine Tätigkeiten zu Sowjetzeiten. Nach dem Militärdienst arbeitete Jakunin in den 1970er Jahren beim Ministerrat der UdSSR in der Aussenhandelsabteilung. Und zwischen 1985 und 1991 war er gar Mitarbeiter der sowjetischen Mission bei den Vereinten Nationen. Damit gehörte zweifellos in den Kreis der Anhänger des Reformkurses des damaligen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Jakunin Geschäftsmann. Seit dieser Zeit kenne er Putin, sagte Platzeck, als er seinen Gast nun in Berlin vorstellte. Doch bereits 1997 kehrte Jakunin wieder in den Staatsdienst zurück. Und als Putin im Jahr 2000 zum russischen Präsidenten gewählt wurde, machte er Jakunin zunächst zum stellvertretenden Verkehrsminister, 2002 dann zum stellvertretenden Eisenbahnminister und 2005 schließlich zum Präsidenten der russischen Eisenbahnen.

Als sie die Veranstaltung vor einem halben Jahr geplant hätten, habe sich niemand eine so gravierende Veränderung der politischen Lage vorstellen können, sagte Platzeck. Nicht zuletzt auch durch die Rückkehr seines SPD-Parteifreundes Frank-Walter Steinmeier ins Auswärtige Amt habe er voller Zuversicht von einer guten Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten und Russland ausgegangen. Tatsächlich erlebe Europa nun mit dem Ukraine-Konflikt und der „nach unserem Verständnis völkerrechtswidrigen Aneignung ukrainischen Territoriums“ eine Zerreißprobe.

„Ich bin Russe. Und ich bin stolz darauf.“

Die „Idee des großen gemeinsamen Europas“ sei irgendwo nach dem Ende des Kalten Krieges verlorengegangen. „Der gemeinsame Wirtschafts- und Kulturraum von Lissabon bis Wladiwostok ist über die Theorie nicht hinausgekommen“, sagte Platzeck. Und weiter: „In den 1990er Jahren haben wir Russland geliebt, weil es am Boden lag.“ Heute gebe es „Misstrauen auf beiden Seiten“.

Darum warb Platzeck für Wege raus aus der Konfrontation und mahnte eine grundlegende Umkehr aus der Sackgasse des Entweder-Oder an. „Wir sollten auf den Konflikt nicht mit einer Verflachung und Verengung des Denkens antworten“, sagte er und stellte die Frage in den Raum, ob es nicht besser sei, statt mit Sanktionen die Beziehungen zu beschneiden, gerade jetzt mit Visa-Erleichterungen für Russen zu reagieren. Allerdings müssten sich die Russen auch die Frage stellen, warum die Staaten Osteuropas unbedingt in die Nato wollten und warum die Menschen dort „Angst vor Russland“ hätten.

Bis zum letzten Satz hatte Jakunin während Platzecks Ausführungen des Öfteren zustimmend genickt. Er selbst begann seine Rede mit der Feststellung, in der gegenwärtigen Situation mit einem Handikap nach Berlin gereist zu sein: „Ich bin Russe“, sagte er, worauf das Publikum herzlich lachte und er, die Heiterkeit für einen Augenblick auskostend, hinzufügte: „Und ich bin stolz darauf.“

„Europa tanzt nach der Pfeife der USA“

Von Beginn an ließ er keinen Zweifel seiner Botschaft aufkommen, wonach Russland und nicht die USA der „natürliche Partner“ Westeuropas sei. „Wir leben gemeinsam auf dem eurasischen Kontinent “, sagte er. Darum müsse man diesen Kontinent gemeinsam gestalten.

Stattdessen unterwerfe sich Westeuropa den USA und versuche, Russland westliche Werte aufzudrücken. Der größte Fehler seit Ende des Kalten Krieges sei es gewesen, „dass wir die Illusion hatten, als normale Menschen von unseren Nachbarn angesehen zu werden“, sagte Jakunin. Die russische Jugend habe geglaubt, vom Westen mit offenen Armen empfangen zu werden. Jetzt sei der Frust riesig. Sie hätten das Gefühl, „gehasst zu werden“.

„Warum ist alles, was aus den USA kommt, gut?“, fragte er. „Warum ist alles, was aus Russland kommt, schlecht?“ Die westlichen Länder müssten sich entscheiden, ob sie über einen Dialog gegenseitiges Verständnis suchen oder lieber „nach der Pfeife der USA tanzen“ wollten. „Von dieser Entscheidung hängt das Wohl Europas ab“, sagte Jakunin.

„Vulgärer Ethno-Faschismus“

Leider sei im Westen ein „vulgärer Ethno-Faschismus“ wieder in Mode, klagte er, schimpfte dann über „Kleinlichkeit und Niedertracht“ westlicher Politiker, die einem Staatschef „eines großes Landes“ gegenüber in einer Art und Weise „ausfällig“ würden, die er nur aus Kriegszeiten kenne.

Anschließend nutzte er seinen Auftritt für einen Feldzug gegen die Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Der Sieg der österreichischen Travestiekünstlerin Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest bezeichnete er als Ausdruck fortgeschrittenen moralischen Verfalls. „Die antike Definition der Demokratie hatte nichts mit bärtigen Frauen zu tun, sondern die Demokratie ist die Herrschaft des Volkes“, sagte er. Jenen Russen, die für Wurst stimmten, bescheinigte er eine „abnormale Psychologie“.

Korruptions-Vorwürfe

Im gleichen Atemzug verteidigte Jakunin das umstrittene russische Gesetz zum Schutz Jugendlicher vor Homosexualität. Vier Prozent der russischen Kinder würden mit einer genetischen sexuellen Abweichung von der Norm geboren, ein Viertel der 14- bis 16-Jährigen sei in Gefahr, schwul oder lesbisch zu werden. Für eine Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe sei er erst: „Wenn ich einen schwangeren Mann sehe.“

Als Präsident der russischen Eisenbahn ist Jakunin Chef von mehr als einer Million Mitarbeiter. Russische Oppositionelle werfen ihm Korruption im großen Stil vor. Er soll ein Offshore-Imperium geschaffen haben und ein angeblich illegal bebautes Grundstück bei Moskau besitzen, berichtet die Deutsche Welle. unter anderIn Berlin wies er diese Vorwürfe scharf zurück. Dieselben Oppositionellen zweifeln auch an seinem Patriotismus. Sie behaupten, dass seine Söhne in Großbritannien und in der Schweiz leben. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise wurde auch bekannt, dass er Konten bei US-Banken besitzt. Diese wurden nun gesperrt. Außerdem darf er nicht mehr in die USA einreisen.

Geschrieben für Die Welt[2]

 

 

Weiterführende Hinweise:

 

[1] Deutsche Welle: http://www.dw.de/berliner-dilemma-des-putin-freunds-jakunin/a-17634401

 

[2] Die Welt, „Kreml-Vertrauter erklärt das Hassgefühl der Russen“,

http://www.welt.de/politik/deutschland/article128061591/Kreml-Vertrauter-erklaert-das-Hassgefuehl-der-Russen.html

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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