Ausgrenzung mit der Nazi-Keule

In der Ukraine-Debatte geht es nicht mehr um Argumente. Bei Günther Jauch wurde SPD-Urgestein Eppler gar in die braune Ecke gestellt. Eine unfassbare Entgleisung.

Auch 69 Jahre nach dem 2. Weltkrieg gibt es in Deutschland kein wirksameres Mittel in der politischen Auseinandersetzung, als die öffentlichen Äußerungen und Absichten von unliebsamen Personen, die unbequeme Gegenmeinungen vertreten, in den Zusammenhang mit den Untaten oder dem ideologischen Sumpf der Nationalsozialisten bzw. Adolf Hitlers zu bringen. Der Nazi-Vergleich ist offenbar einfach ein zu probates Mittel, um jemanden in die braune Ecke zu stellen und ihn damit sogleich in die Verteidigungsstellung zu bringen, in der es nicht mehr um eine argumentative und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem ursprünglich Gesagten geht, sondern nur noch darum, ob sich der so Beschuldigte vom Nazi-Vorwurf wieder reinwaschen kann.

Manchmal geht der Schuss auch nach hinten los, so dass der die Nazi-Keule schwingende Angreifer die Stellung räumen und eventuell sogar kleinlaut eine öffentliche Entschuldigung aussprechen muss. Bis jetzt hat man aber eine entsprechende Entschuldigung im fraglichen Fall des TAZ-Russlandkorrespondenten Klaus-Helge Donath, der das SPD-Urgestein Erhard Eppler in der ARD-Talkrunde bei Günther Jauch am 4. Mai 2014 mit einem Nazi-Vergleich konfrontierte, nicht vernommen. Das Thema der Talkrunde bei Günther Jauch war die aktuelle Lage in der Ukraine. „Kriegsgefahr in Europa – ist Putin noch zu stoppen?“ lautete die Frage an seine Gäste[1].

Seltene konservativ-linke Eintracht

Neben den schon Erwähnten waren die für dieses Thema bei Jauch offenbar fest gebuchte Verteidigungsministerin von der Leyen, die deutsche Politikerin mit ukrainischer Herkunft Marina Weisband sowie der ehemalige WDR-Intendant und Russlandkorrespondent der ARD, Fritz Pleitgen, aufgeboten.

In der Diskussion nahmen Eppler und Pleitgen bei aller Kritik an der russischen Politik und an Wladimir Putin im Detail eher eine Position ein, die sich auch selbstkritisch mit der Politik des Westens auseinandersetzte (Thema „westgesteuerte Milizen in der Ukraine“ z. B.). Aus dieser gemäßigten Position heraus ist man eher der Ansicht, dass man versuchen muss, die Motive und die Interessenlage Russlands herauszufinden und in eine mögliche Lösung einzubringen.

Der TAZ-Journalist Donath und die Verteidigungsministerin waren in seltener konservativ-linker Eintracht auf der Gegenseite der klaren Kritiker Russlands. Russlandkritisch war natürlich auch Marina Weisband, die Putin vorwarf, den Ukraine-Konflikt vor allem aus innenpolitischen Motiven der Machterhaltung zu schüren. Allerdings merkte man ihr eine gewisse Verzweiflung und Resignation an über die Vorgänge in der Ukraine, z. B. in der aktuellen Eskalation in Odessa. Ihre Hoffnung, dass die anstehende Wahl eines neuen Präsidenten irgendwie für die Gesamtukraine eine Lösung bringen könnte, wirkte doch ziemlich hilflos.

Friedenstauben zu Kriegsfalken

Es sollen hier aber nicht die Einzelheiten der Diskussion vorgetragen, sondern nur auf eine im Grunde skandalöse Entgleisung Donaths aufmerksam gemacht werden. Die Reaktion Donaths zeigt, dass wir innerhalb des linken Spektrums (und wer, wenn nicht Erhard Eppler, ist links) einen sich ausweitenden Bruch erleben, der immer schwerer zu beheben sein wird. Viele ehemalige Friedenstauben sind zu Kriegsfalken geworden, das ist eine interessante Entwicklung.

Klaus-Helge Donath hat in der Diskussion am Sonntag das Bild eines Wladimir Putin gezeichnet, der die EU als sehr erfolgreiches Projekt eines politischen Bündnissystems „aus den Angeln“ heben wolle, der „an einer neuen reaktionären Internationalen“ mit diversen Rechtspopulisten baue und dem gegenüber man nur Härte zeigen könne. In diesem Zusammenhang plädierte Donath dafür, die „nicht-vollzogene Rüstung der vergangenen Jahre“ nachzuholen. Auf jeden Fall müssten die Sanktionen des Westens aufrechterhalten werden, sonst werde Putin geradezu eingeladen, seine Politik weiterzuführen.

„Das klingt nach Hitler-Stalin-Pakt.“

Gegen Ende der Sendung formulierte Erhard Eppler einen Vorschlag, man solle doch direkte und vertrauliche Sondierungsgespräche zwischen der EU und Russland über das Schicksal der Ukraine starten, um überhaupt einmal zu einem gegenseitigen Verständnis der Interessenlage zu kommen. Ob diese Idee, dass EU und Russland unter Ausschluss der Kiewer Regierung und der Vereinigten Staaten Sondergespräche führen, wirklich so gut ist, sei einmal dahin gestellt. Darf man die Ukraine von solchen Gesprächen fernhalten, auch wenn dort eine „leidenschaftliche anti-russische Regierung“ am Ruder ist, mit der man „ganz schwer über solche Dinge reden kann“? Es ist aus Sicht Epplers wohl eher ein verzweifelter Versuch, eine Lösung aus einer immer verfahreneren Lage zu finden, die aktuell immer mehr Todesopfer fordert.

Auf diese Einlassung Epplers aber sah sich Klaus-Helge Donath genötigt, mit einem Nazi-Vergleich zu reagieren:[2]

„Das klingt nach Hitler-Stalin-Pakt, dass sich Russen und Deutsche an einen Tisch setzen und dann entscheiden, was wir mit den Polen machen, nur dass es jetzt die Ukraine ist … ist ein bisschen weiter nach Osten gerutscht.“

Nun sollte man kurz in Erinnerung rufen, was der Hitler-Stalin-Pakt[3] eigentlich war. Der Pakt war offiziell ein deutsch-sowjetischer Nichtangriffsvertrag, der am 24. August 1939 kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs abgeschlossen wurde. Der Vertrag sicherte dem Deutschen Reich auf zehn Jahre die Neutralität der Sowjetunion im Falle kriegerischer Konflikte in Europa zu. In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden die Interessenzonen der beiden Diktatoren definiert. Polen wurde aufgeteilt, Finnland und die baltischen Staaten (Litauen erst in einem weiteren Zusatzvertrag) wurden der russischen Einflusssphäre zugeschlagen.

Putin ist nicht Stalin

Als Folge des Vertrags marschierte nicht nur die Wehrmacht im September 1939 in Polen ein, sondern auch die Rote Armee. Russland besetzte große Teile Polens, die bis heute zu Weißrussland und der Ukraine gehören. Der Versuch, ab November 1939 Finnland vertraglich in eine russische Abhängigkeit zu bringen, scheiterte 1940 im sogenannten Winterkrieg, der allerdings zu Gebietsabtretungen Finnlands führte. Die baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen verloren 1940 ihre Unabhängigkeit und wurden in die Sowjetunion eingegliedert (diese Besetzungen haben auch die Westmächte 1945 akzeptiert). Eine weitere Folge des Vertrags war 1940 die Annexion des nach dem 1. Weltkrieg rumänisch gewordenen Bessarabiens, heute kennt man das Gebiet unter dem Namen Republik Moldau.

Man muss nicht viel Gedankenkraft aufwenden, um zu erkennen, dass jeder Vergleich der Situation und der politischen Akteure von damals mit den heutigen Gegebenheiten reichlich abstrus ist. Weder sind potentielle EU-Verhandler mit Hitler gleichzusetzen noch ist Wladimir Putin Stalin. Wer den Hitler-Stalin-Pakt für Vergleiche in der heutigen Zeit nutzt, sollte vielleicht auch auf die Absichten der Verhandlungsparteien achten.

Für Hitler ging es in dem Pakt nur um Absicherung seiner ersten Eroberungsstufe. 1941 hat er alle Haupt- und Zusatzverträge gebrochen und die Sowjetunion angegriffen. Für Stalin war wichtig, dass sich die „Kapitalisten“ erst einmal gegenseitig zerfleischen, außerdem gab es Gebietsgewinn vor allem an der Ostsee.

Diesen schändlichen Pakt zweier totalitärer Diktaturen aus dem Jahre 1939, der unmittelbar zu militärischen Aktionen führte und für ca. 50 Jahre z. B. die baltischen Staaten in die kommunistische Diktatur eingliederte, in einer Diskussion über diplomatische Lösungsmöglichkeiten einer europäischen Krise zu verwenden, um damit einen Vorschlag, bilaterale Gespräche zwischen EU und Russland (also erst einmal zwischen den Europäern) aufzunehmen, abzuservieren, ist erschreckend.

Wie Hochverrat am transatlantischen Bündnis

Wie kommt es zu einem derart beschämenden und schiefen Vergleich? Die Antwort kann nur sein, dass die Ukraine-Politik des Westens für manche Journalisten ebenso alternativlos zu sein scheint wie die sogenannte Euro-Rettung. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikfeldern herrscht hier eine distanzlos-unkritische Haltung zu den Akteuren der augenblicklichen Politik vor. Von bestimmten Journalisten (konservative, linksliberale wie linke) wird jeder Versuch, auf Russland zuzugehen und eventuell Zugeständnisse zu machen, inzwischen als Hochverrat am transatlantischen Bündnis angesehen. Alleingänge der Europäer kann und darf es nicht geben. Wer immer versucht, die eigenen Reihen zu schwächen, dem ist mit den härtesten verbalen Mitteln zu begegnen, die man zur Verfügung hat. Und das ist in Deutschland nun einmal die Ausgrenzung mittels der Nazi-Keule.

Die Entgleisung Donaths zeigt, wie aggressiv inzwischen auf Seiten der „regierungstreuen“ Journalisten auf Kritik an der aktuellen Ukraine- und Russland-Politik des Westens reagiert wird. Donath ist geradezu ein Paradebeispiel der Distanzlosigkeit zur aktuellen Ost-Politik des Westens. Interessant ist, dass der Vergleich eines Vorschlags Epplers zu Sondierungsgesprächen mit einem entsprechenden Vertrag, der zwischen zwei der übelsten Menschenschlächter des vergangenen Jahrhunderts abgeschlossen wurde, in manchen Besprechungen der Talkrunde bei Günther Jauch (z. B. im Focus,[4]) einfach unter den Tisch gekehrt wurde. Auch in den Besprechungen, in der dieser verbale Tiefschlag erwähnt wurde, war das offenbar kein Anlass zu einem kritischen Kommentar.

Ein schwerer Fehler des Moderators Günther Jauch ist aber auch, dass in der Talkrunde der Entgleisung nicht offen widersprochen wurde. Diesen Vergleich hätte man noch in der Sendung selbst thematisieren und entsprechend kritisieren müssen.

 

 

[1] Die Welt: http://www.welt.de/fernsehen/article127620010/Die-entscheidende-Frage-an-von-der-Leyen-liess-Jauch-aus.html

[2] ARD: http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/8109878_guenther-jauch/21142870_kriegsgefahr-in-europa-ist-putin-noch-zu-stoppen

[3] Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-sowjetischer_Nichtangriffspakt

[4] Focus: http://www.focus.de/kultur/kino_tv/focus-fernsehclub/tv-kolumne-guenther-jauch-ukraine-konflikt-umarmen-oder-drohen_id_3815490.html

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