Illusion und Realität der AfD

Wieder haben AfD-Landesvorstände aus Protest gegen Bernd Luckes Führungsstil die Partei verlassen. So verliert die AfD kritische Köpfe. Warum kämpfen sie nicht?

Eigentlich wollten die Nordrhein-Westfalen noch einmal den AfD-Bundesparteitag in Erfurt Revue passieren lassen. Doch schon wenige Minuten nach Beginn der Landesvorstandssitzung war klar, dass ein anderes Thema die abendliche Runde bestimmen sollte.

Vorstandssprecher Jörg Burger eröffnete die Sitzung mit einem Brief des Vorstandsmitglieds Jörg Himmelreich. Darin klagte dieser über „chaotische Alleingänge“ des Bundesvorsitzenden Bernd Lucke bei der Parteisatzung und den programmatischen Leitlinien. Offensichtlich sei der Parteichef nicht organisationsfähig. Er sei entsetzt, dass der Parteivorsitzende in Erfurt eine Parteitagsrede gehalten habe, ohne auch nur ein einziges Mal auf die historischen Ereignisse in der Ukraine abzuheben, von seinen „dünnen Ausführungen“ zur Innenpolitik ganz abgesehen.

 „Chaotische und undemokratische Programmarbeit“

Ein solcher Vorsitzender sei erkennbar nicht in der Lage, die eigene Partei in den großen politischen Kontext zu stellen und so auch Wähler außerhalb des AfD-Spektrums anzusprechen. Lucke beschwöre zwar immer wieder den basisdemokratischen Charakter der AfD, schaffe aber in Wirklichkeit eine Autokratie. Beispielhaft hierfür sei die „chaotische und undemokratische Programmarbeit“. Aus diesen und anderen Gründen sei für ihn eine Mitarbeit in der AfD nicht mehr möglich. Daher trete er von allen Parteiämtern zurück und verlasse die Partei zum 31. März.

Burger faltete das Schreiben wieder zusammen, sagte, er habe all dem nichts weiter hinzuzufügen, als dass er Himmelreichs Aussagen voll und ganz unterstütze. Mit knappen Worten erklärte auch er seinen Rücktritt von allen Ämtern und den Austritt aus der Partei. Dann stand er auf und ging. Er ließ nicht mal Fragen zu. „Dabei hatten wir ihn doch erst wenige Monate zuvor zum Vorsitzenden gewählt, auch um Ruhe in den Landesvorstand zu bringen“, sagt Hans Friedrich Rosendahl, Pressesprecher des Landesvorstandes.

Stabil in den Umfragen

Die Rück- und Austritte im mitgliederstärksten Landesverband sind nicht der einzige Schlag für die AfD-Spitze wenige Tage nach dem Bundesparteitag. In Sachsen-Anhalt stellten sechs der neun Landesvorstandsmitglieder, darunter auch der bisherige Landeschef Arndt Klapproth, ihre Posten zur Verfügung. Auch sie waren mit der Satzungspolitik des Vorsitzenden Lucke nicht einverstanden. Seit ihrer Gründung macht die Partei vor allem durch solche innerparteilichen Turbulenzen von sich reden. Obwohl ihre politische Intention dabei sichtlich in den Hintergrund rückt, hält sie sich in den Meinungsumfragen zur Europawahl am 25. Mai jedoch relativ stabil zwischen fünf und sieben Prozent.

Aus seiner Enttäuschung über Burger und Himmelreich, deren Verhalten für ihn nach wie vor „unverständlich“ sei, macht Rosendahl keinen Hehl. „Wir befinden uns in doppeltem Wahlkampf und in der äußerst wichtigen Phase der Sammlung von Unterstützungsunterschriften. Der Rücktritt und die damit einhergehende Publizität kommen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, und die Begründung ist Wasser auf die Mühlen unserer Gegner“, sagt Rosendahl. Da helfe es auch nicht, wenn die beiden betonten, in den letzten Monaten konstruktiv für den Landesverband gearbeitet zu haben. „Der jetzt angerichtete Schaden ist wohl größer“, sagt er.

„Lebendige Demokratie“

Überhaupt nicht nachvollziehbar sei für ihn die Begründung der Rücktritte mit mangelnder innerparteilicher Demokratie. Schließlich sei Lucke auf dem Bundesparteitag in Erfurt von den Mitgliedern heftig in die Schranken verwiesen worden. Sie hatten den von Lucke erst um 22 Uhr am Vorabend verschickten Satzungsentwurf, der Lucke mit erheblichen Vollmachten ausgestattet hätte, gestoppt und die Beschlussfassung auf einen Mitgliederparteitag im Herbst verschoben.

Außerdem wählte der Parteitag nicht den Favoriten der Parteispitze, sondern den NRW-Kandidaten bei der Europawahl, Marcus Pretzell, in den Bundesvorstand. „Das spricht für lebendige Demokratie, wie man sie in den großen Altparteien kaum sehen wird“, sagt Rosendahl. „Warum also ein Abgang mit solchem Eklat?“

Begrenzter Spielraum in der CDU

Rosendahl war viele Jahrzehnte Christdemokrat. Wer in die CDU gehe, sagt er, der merke ganz schnell, wie gering sein Spielraum sei. „Bei uns ist das nicht so. Da kann sich jeder zu allem äußern. Nur glauben die Leute dann auch, dass sie all das durchsetzen können. Das ist doch naiv“, sagt Rosendahl.

Vor allem droht die Partei kritische Köpfe zu verlieren, was wiederum den Meinungspluralismus in der Partei schwächt. Außerdem ist Rückzug nicht unbedingt ein Beleg politischer Stärke. Denn nach Max Weber braucht der Politiker Leidenschaft für die Sache und den Willen zur Macht.

Rücksicht auf die Familie

„Ich habe meine Entscheidung darum sorgsam abgewogen“, sagt Himmelreich. „Es hätte mindestens noch zwei bis drei Jahre mit zig Wochenstunden ehrenamtlicher Arbeit gebraucht, die AfD auf einen guten Weg zu bringen.“ Das habe er seiner Familie nicht zumuten wollen.

An seiner Demokratiekritik hält er fest. Als Beispiel nennt er das Programm zur Europawahl. Zwar hätten die Mitglieder per E-Mail immer wieder Vorschläge einreichen können, doch seien die Rückläufe von der Basis nicht aufgenommen worden. „Am Ende hat eine kleine Vorstandsgruppe oder Lucke selbst die Möglichkeit, daraus zu machen, was er will“, sagt Himmelreich. Mit innerparteilicher Demokratie habe das wenig zu tun.

Demokratie als Illusion?

„Das sind Illusionsübungen für Basisdemokratie“, sagt er. An der Basis werde lediglich die Illusion demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten aufrechterhalten. Genauso sei die Parteispitze nach dem Parteitag in Erfurt mit den politischen Leitlinien verfahren.

Lucke hatte sie nach seiner Niederlage in der Abstimmung über die Satzung selbst zurückgezogen. Er tat dies allerdings nicht, um sie auf einem späteren Parteitag noch einmal zur Diskussion und zur Abstimmung zu stellen, sondern entzog sie dem üblichen Abstimmungsprozess. Die Mitglieder bekamen die Leitlinien nach dem Parteitag per Mail zugeschickt und hatten die Möglichkeit, bis Ende März zu einzelnen Punkten eigene Vorschläge zurückzuschicken. Was allerdings aus diesen Vorschlägen wird, entscheidet letztlich Lucke.

Mangelnde Mitspracherechte

Himmelreich kam nach der Bundestagswahl im September 2013 zur AfD. Davor war er bis zum Jahr 2010 insgesamt 28 Jahre in der FDP. Wie bei so vielen, die Erfahrung in der Parteiarbeit hatten, wurde auch er bald gebeten, Parteiämter zu übernehmen. Mit welchem Aufwand sein Engagement für die junge Partei verbunden sein würde, war auch ihm vorher nicht bewusst.

Ein Vielfaches mehr als die ursprünglich geplanten zehn Stunden pro Woche habe er ehrenamtlich für die AfD gearbeitet. „Normalerweise wird Arbeit in der Partei mit Mitspracherechten honoriert. Das heißt, wenn wir schon so viel für die Partei leisten, wollen wir wenigstens bei der Satzung und der Programmatik mitreden können“, sagt Himmelreich. Aber ein solches Verständnis gebe es an der Parteispitze nicht.

Vorstand erteilt Rüge

In Nordrhein-Westfalen führt nun Hermann Behrendt anstelle von Burger den Landesverband. Behrendt war bereits stellvertretender Sprecher und zuständig für die Arbeitsgruppen „Arbeit und Soziales“ und „Demokratie“. Wie Pretzell wird auch Behrendt eher zum konservativen Flügel der Partei gezählt. Pretzell ist gerade erst von seinen Kollegen im Bundesvorstand dafür gerügt worden, dass er an einer Veranstaltung der Jungen Alternative in Köln mit dem britischen Euro-Kritiker Nigel Farage teilgenommen hatte. Lucke hatte bereits vor Monaten deutlich gemacht, dass er keine Kontakte zu Farage und dessen Partei Ukip wünsche.

Viele in der AfD sehen das anders. Und so könnte die Frage, ob öffentliche Rügen wegen des Kontaktes zu euroskeptischen Parteien zum demokratischen Repertoire der AfD zählen sollten, durchaus Anlass neuerlicher innerparteilicher Differenzen sein.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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