Die Scheinheiligkeit des Westens

 Als Jörg Haiders FPÖ in Österreich an der Regierung beteiligt wurde, strafte der Westen das Land mit Sanktionen. In der Ukraine paktiert er mit den Faschisten.

Es ist kein Geheimnis, dass an der Übergangsregierung der Ukraine, die den vollumfänglichen Rückhalt der US-Regierung und der Regierungschefs in der Europäischen Union genießt, die als rechtsextrem geltende Partei Swoboda beteiligt ist. In welchem Umfang und in welchen Ämtern, davon war in der bisherigen deutschen Kontroverse über die Krim-Krise wenig die Rede.
Die russische Regierung erkennt die Rechtmäßigkeit der Übergangsregierung nicht an und hat den Vorwurf erhoben, in Kiew wären Faschisten am Ruder.
Im Unterschied dazu haben die Regierungschefs im Westen keinen Zweifel daran zugelassen, dass nach dem Machtwechsel in Kiew die demokratischen Kräfte die Oberhand gewonnen haben. Die Bedeutung rechtsextremer Kräfte in der Übergangsregierung in Kiew wurde in der politischen Debatte in Deutschland bisher überwiegend heruntergespielt. Das wird sich wahrscheinlich zunehmend als schwerer Fehler erweisen, was im Folgenden erläutert werden soll.

Die Rechten an der Macht

Swoboda stellt in dem 20 Mitglieder umfassenden Kabinett des Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk drei Minister und einen Vizepräsidenten:[1]

  • Andrij Mochnyk, Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen,
  • Ihor Schwajka, Minister für Agrarpolitik und Lebensmittel,
  • Ihor Tenjuch, Verteidigungsminister und
  • Olexander Sytsch, Dritter Vize-Ministerpräsident

Darüber hinaus stellt die Swoboda mit

  • Oleh Machnizkyj den Generalstaatsanwalt.

Ferner ist einer der Mitbegründer der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine, später umbe­nannt in „Swoboda“,

  • Andrij Parubij, „Erster Sekretär des Nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung“. Er ist heute Mitglied der Vaterlandspartei von Julija Tymoschenko.

Die Vaterlandspartei stellt den Ministerpräsidenten (Arsenij Jazenjuk), den ersten Vize-Ministerpräsidenten (Witalij Jarema) sowie sechs Minister. Die acht weiteren Mitglieder des Kabinetts sind parteilos.
Verteidigungsminister, Chef des Nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung und Generalstaatsanwalt – das deutet im Verbund betrachtet schon auf einen maßgeblichen Einfluss der Swoboda in der Übergangsregierung hin, gerade in Anbetracht der Situation, in der sich die Ukraine gegenwärtig befindet.

Tymoschenkos Hitler-Vergleich

Gestern erntete Julija Tymoschenko (Vaterlandspartei), die sich zur Behandlung in Berlin aufhält, Kritik aus der deutschen Politik für ein Interview mit der BILD, weil sie darin Vladimir Putin mit Hitler verglich und seine Krim-Rede im Kreml als „ungefilterten Faschismus“ bezeichnete.[2] Sie zeichnet im Interview ein Schwarz-Weiß-Bild, in dem die ehemalige Opposition und jetzige Regierung aufrichtig, anständig und demokratisch erscheint, während sie für Putin Gegenteiliges reklamiert.

Ihre Anschuldigungen gegenüber Putin sind weitreichend. Stichhaltige Argumente führt sie nicht an. Wörtlich sagt sie im Interview:

… „Entscheidend ist, dass Putin versucht, das Sicherheitssystem der Welt, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, zu entwurzeln und die Weltordnung in Chaos zu verwandeln. Die Neuzeichnung von Weltkarten durch Kriege, Massenmord und Blut wird zu seinem ‚Mein Kampf‘.“

Auf die Frage der BILD, wie Putin gestoppt werden kann, sagte sie:

„Fragen Sie irgendeinen deutschen Polizisten, was er machen würde, wenn er einen betrunkenen und außer Kontrolle geratenen Autofahrer sieht, der mit Vollgas auf einen vollbesetzten Bus zufährt. Ich denke, dass es vielleicht nicht ausreichen würde, die Pfeife zu benutzen. Wir müssen unser Land verteidigen – koste es, was es wolle.“

Außerdem sagte Frau Tymoschenko in dem Interview:

„Wenn Putin behauptet, am Maidan hätten schwer bewaffnete Kommandos, Nazis und Antisemiten gekämpft, kann niemand bestreiten, dass dieser Mann psychische Probleme hat.“

Swoboda-Angriff auf Fernsehchef

In jedem Fall kontrastiert das von Tymoschenko gezeichnete Bild von der neuen Übergangsregierung mit ebenfalls gestern veröffentlichten Berichten über die Videoaufzeichnung[3] einer Attacke von Abgeordneten und Unterstützern der Swoboda auf den Chef der Nationalen Fernsehgesellschaft Alexander Pantelejmonow. Sie wollten ihn mit Gewalt dazu zwingen, seine Rücktrittserklärung zu unterschreiben, weil sein Sender Ausschnitte von Putins Auftritt im Rahmen seiner Grundsatzrede und der Unterzeichnung des Vertrages zur Aufnahme der Krim in die Russische Föderation im ukrainischen Fernsehen ausgestrahlt hatte.[4]

  • Der Ministerpräsident hat sich vom Verhalten der Swoboda-Abgeordneten distanziert und es als nicht hinnehmbar bezeichnet.
  • Der Parteichef der Swoboda, Oleh Tjahnybok, distanzierte sich gleichfalls vom Verhalten der Abgeordneten, erklärte aber zugleich, er könne deren emotionale Motivation verstehen.
  • Der Generalstaatsanwalt Oleh Machnizkyj (Swoboda) leitete wegen des Vorfalls Ermittlungen gegen die Parteimitglieder ein, will aber auch das Programm der Nationalen Fernsehgesellschaft daraufhin prüfen lassen, ob es mit seinen Sendungen Feindschaften zwischen den Nationalitäten geschürt habe.

Was aus den Ermittlungen wird, bleibt abzuwarten.

Persilschein für die neuen Machthaber

Tatsache ist, dass die neuen Machthaber in Kiew nicht allesamt über jeden Zweifel erhabene Demokraten sind. Die Äußerungen von Julija Tymoschenko und der Übergriff auf den Fernseh-Chef zeugen zudem davon, dass das Interesse an einer nüchternen Bestandsaufnahme und an einem vernünftigen Kompromiss mit Russland bei ihr und zumindest einigen Vertretern der Swoboda nicht vorhanden ist. Wie die Äußerungen eines Demokraten klingen Tymoschenkos Aussagen nicht.

Zudem werfen die Äußerungen von Frau Tymoschenko im Interview die Frage auf, ob da nicht jemand einfach eine Gelegenheit beim Schopfe gepackt hat und ob die Ausstellung eines Persilscheins für die neuen Machthaber in Kiew nicht gerade auch dazu dient, den Westen für die eigenen, als demokratisch etikettierten politischen Ziele zu gewinnen und zu instrumentalisieren. Sie ist in jedem Fall eine wohlhabende und nach dem politischen Umbruch auch wieder eine sehr einflussreiche Persönlichkeit in der Ukraine, deren Partei maßgeblich an der Übergangsregierung beteiligt ist.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwesentlich sich auch zu vergegenwärtigen, dass die Bevölkerung in der Ukraine größtenteils sehr arm ist. Dazu gibt es eine schöne Grafik.[5] Je nach Region schwankt das Durchschnittseinkommen pro Kopf zwischen etwa 215 Euro und knapp 450 Euro (5.618 Hrywnja) im Monat.

Sanktionen gegen Österreich

Hat also die neue Übergangsregierung nur einen demokratischen Anstrich, der viele dunkle Stellen übertüncht? Hat sie trotz der Beteiligung Rechtsextremer die uneingeschränkte Unterstützung des Westens verdient?

Wie auch immer man es dreht und wendet, es ist eine Frage der Maßstäbe und der Bewertung. Es macht gerade deswegen Sinn, sich einmal daran zu erinnern, wie die Europäische Union in einem anderen Fall reagierte, als ebenfalls eine Partei an einer Regierungskoalition in einem europäischen Land beteiligt wurde, die als rechts-extrem galt, nämlich Ende 1999 in Österreich.

Bei den Nationalratswahlen in Österreich im Herbst 1999 war die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ) von Jörg Haider, der diese damals selbst als „deutschnational“ charakterisierte, zweitstärkste Kraft hinter der „Sozialdemokratischen Partei Österreichs“ (SPÖ) geworden. Sie lag damit knapp vor der „Österreichischen Volkspartei“ (ÖVP). ÖVP und FPÖ bildeten anschließend eine von Wolfgang Schüssel (ÖVP) geführte Regierungskoalition.

Kein einmaliger Ausrutscher

Dies hat damals scharfe internationale Proteste ausgelöst, weil die FPÖ als „rechtsextrem“ angesehen wurde. Kritisch gesehen wurden vor allem fremdenfeindliche und antisemitische Äußerungen Haiders. Die Regierungen der anderen Mitgliedsaaten der Europäischen Union reagierten mit Sanktionen. Konkret wurden vorübergehend die diplomatischen und politischen Kontakte mit Österreich eingestellt. Anfang Februar 2000 trat Haider als Vorsitzender der FPÖ zurück. Er bestritt jedoch, dass dieser Schritt mit den internationalen Protesten zusammenhing.

 In der Swoboda gibt es keine in den westlichen Medien so präsente Persönlichkeit, wie es einst Jörg Haider war. Das ändert aber nichts daran, dass der Westen eine Regierungsbeteiligung von Kräften, die er als rechtsextrem einstuft, in einem Fall verurteilt und sanktioniert und im anderen offensichtlich rückhaltlos unterstützt und gegenüber jeglicher Kritik verteidigt.

Die Position des Westens in der Ukraine-Krise wird damit definitiv nicht glaubwürdiger. Die ukrainische Übergangsregierung könnte deswegen für den Westen bald zu einem ernsten Problem werden. Denn die jüngsten Ereignisse und Äußerungen waren wahrscheinlich keine einmaligen Ausrutscher.

 



[1] Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbergangsregierung_der_Ukraine

[2] Bild: http://www.bild.de/politik/ausland/julia-timoschenko/ukrainische-ex-regierungschefin-ueber-die-putin-rede-35126050.bild.html

[3] YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=F5GeBpZ5VHY

[4] FAZ: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/swoboda-abgeordnete-angriff-auf-fernsehchef-in-der-ukraine-12854526.html

[5] Tagesschau: http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/ukrainegrafikeinkommen100%7E_v-videowebl.jpg

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

// require user tracking consent before processing data _paq.push(['requireConsent']); // OR require user cookie consent before storing and using any cookies _paq.push(['requireCookieConsent']); _paq.push(['trackPageView']); [...]
×