Karlsruhe umgeht die Verantwortung

 Das Verfassungsgericht überlässt die Entscheidung über das OMT-Programm der EZB einer Instanz, die, so Staatsrechtler Schachtschneider, demokratisch nicht legitimiert ist.

Nachdem sie die Begründung genauer studiert haben, warum das Bundesverfassungsgericht die Klage gegen das Aufkaufprogramm von Staatsanleihen (OMT) durch die Europäische Zentralbank (EZB) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergeleitet hat, fühlen sich die Kläger bestätigt. Allerdings beinhalte der Karlsruher Beschluss Licht und Schatten, sagten übereinstimmend der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider als auch der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler oder der Berliner Wirtschaftsrechtler Marcus Kerber.

„Das ist in erster Linie eine gute Nachricht, sagte Schachtschneider. Der Beschluss, die Frage der Vereinbarkeit der monetären Staatsfinanzierung durch die EZB, vor allem das OMT-Programm, mit dem Europarecht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, gebe den Verfassungsbeschwerden gegen die Maßnahmen der EZB uneingeschränkt Recht.

Ein ausbrechender Rechtsakt

Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass die Beschwerde  „voraussichtlich erfolgreich“ wäre, gebe aber dem EuGH zugleich die Chance, das OMT-Programm vertragskonform zu interpretieren. „Das Programm muss im Wesentlichen geldpolitisch sein und darf allenfalls sekundär die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union unterstützen, aber auch nur, wenn es das Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt. Damit wird das Programm ökonomisch weitgehend wirkungslos“, sagte Schachtschneider.

Karlsruhe übertrage mit dem Vorlagebeschluss die Verantwortung für das Recht in der zentralen Frage auf den Europäischen Gerichtshof,  obwohl es mit aller Klarheit ausführe, dass es sich bei dem OMT-Programm um einen ausbrechenden Rechtsakt handle,  der mit dem demokratierechtlich tragenden Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung unvereinbar sei.

„Ein Gericht ohne Legitimation“

Ein ausbrechender Rechtsakt liegt vor, wenn die Europäische Union ihre Befugnisse überschreitet. Die Europäische Union hat nur Befugnisse im Rahmen der Verträge. Die Verträge regeln diese Befugnisse mit sehr interpretationsbedürftigen Begriffen, beispielsweise dem der „Preisstabilität“. Ob also Maßnahmen über die Befugnisse hinausgehen, den der Arbeitsvertrag der EU begründet, ist Auslegungssache. „Nun kann man diese Befugnisse weit oder eng auslegen. Der Europäische Gerichtshof legt sie bekanntlich sehr weit aus“, so Schachtschneider. Er fürchte, dass der EuGH „auch in diesem Fall zu weit gehen“ werde und die OMT-Maßnahmen zulasse.

Schachtschneider ist ein scharfer Kritiker des Europäischen Gerichtshofs. „Weil dieser die europäischen Integrationsverträge weit überzogen zu interpretieren pflegt“, sagte Schachtschneider. Der EuGH habe sich immer schon als Motor der Integration betätigt. Das werde er auch weiterhin tun. „Ich bestreite dem Europäischen Gerichtshof die demokratische Legitimation. Er wird von den Regierungen der Mitgliedstaaten besetzt, den Gegenspielern der Bürgerrechte. Er entscheidet mit einfacher Mehrheit, kann also über die Interessen der Einzelstaaten hinweggehen“, kritisierte Schachtschneider.

„Griechenland ins Unglück geführt“

Das OMT-Programm der EZB selbst bezeichnete er als „schwerwiegendem Eingriff in die Demokratie der betroffenen Länder“. Nur dann, wenn sich die Länder den Auflagen, von denen der ESM seine finanziellen Hilfen abhängig mache, unterwürfen, würden sie durch OMT-Maßnahmen gestützt.

„Die Auflagen entmündigen die Antragsstaaten und deren notleidenden Völker“, sagte Schachtschneider. „Wir wissen ja, dass derartige Maßnahmen Griechenland ins Unglück geführt haben, in Rezession und Deflation, Arbeitslosigkeit und Unruhen. Im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus wirken wir an dieser Demokratieverletzung in den anderen Ländern mit. Das schadet der europäischen Integration und dem guten Einvernehmen der Völker schwer.“

„Zentraler Zwischenerfolg“

Seiner Ansicht nach schwäche die Staatsfinanzierung mit monetären Mitteln zudem den Einfluss des Bundestages auf die Finanzpolitik. Denn anders als auf die Vergabe von ESM-Mitteln habe dieser auf das Handeln EZB keinen Einfluss. „Die EZB maßt sich die Befugnisse der Regierungen und der Parlamente zugleich an. Die Staatsfinanzierung mit monetären Mitteln hat ökonomische Wirkungen, die noch keiner richtig erfasst hat. Denn bisher hat niemand für die gegenwärtige Lage eine stringente Inflationstheorie entwickelt.“

‪Der Berliner Wirtschaftsrechtler Kerber meinte, Karlsruhe sichere die deutschen Souveränitätsrechte und mache klar, dass es nicht akzeptabel sei, wenn europäische Institutionen ihre Kompetenzen überschritten. „Es gibt eine Senatsmehrheit, dass der OMT-Beschluss weit über das Primärrecht hinausgeht. An der Qualifizierung als europarechts- und damit verfassungsrechtswidrig führt kein Weg vorbei“, sagte Kerber.

„Verfassungsgericht hat abgedankt“

Von einem „zentralen Zwischenerfolg“ im Kampf gegen die Aushöhlung der Demokratie des Grundgesetzes durch supranationale Institutionen sprach der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler. Er habe sich gegen die Bundesregierung und den Bundestag durchgesetzt, die vor dem Bundesverfassungsgericht das Handeln der EZB verteidigt hätten.

Deutliche Kritik an Karlsruhe übte einzig der renommierte Ökonom Joachim Starbatty. „Damit hat das Bundesverfassungsgericht de facto abgedankt. Niemand braucht das Verfassungsvericht mehr anzurufen, weil alle Verstöße gegen das Grundgesetz, die etwa die gemeinschaftliche Haftung, den Euro oder europäische Belange betreffen, zum EuGH weitergeleitet werden“, sagte er. Seinen Informationen zufolge habe es im 2. Senat grundlegende Meinungsunterschiede gegeben. „Die einen sagten, bei dem OMT-Progamm handele es sich um eine Staatsfinanzierung und sei somit eine Usurpierung des nationalen Budgetrechts. Die anderen haben das wohl anders gesehen.“ Das Bundesverfassungsgericht könne Bundesregierung und Bundesbank eine Unterstützung oder Beteiligung an dem OMT-Programm der EZB untersagen. Genau das wolle das Gericht aber offensichtlich nicht.

Weiterführender Hinweis:

EuGh als umstrittene letzte Instanz

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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