Zynismus der Portugiesen wächst

 Portugal wird die Sparmaßnahmen fortsetzen, die Erholung wird sich verlangsamen. Und die weitere Strenge der Troika-Maßnahmen bedeutet riesige Opfer für die Armen.

 

In Europa kann man ein gewissen Optimismus für das Jahr 2014 verspüren, nur nicht in Portugal, da ist die Stimmung pessimistischer denn je. In der europäischen Peripherie haben die Menschen genug von Krisen. Es gibt wenig Raum für positive Veränderung. Die wirtschaftliche Lage verbessert sich, aber eigentlich auch nur in den Augen der Experten, die die kleinen Signale in den Zahlen erkennen können. Die Menschen sind daran nicht interessiert und beachten den leichten Anstieg des BIP kaum. Auch die Entsehung neuer Arbeitsplätze bemerken sie kaum.

Die Zahlen sind natürlich echt, aber niemanden interessiert das. Der Zynismus über die Politik wächst, und die Öffentlichkeit will keine schlechten Nachrichten mehr hören. Und die gute Nachrichten, die so selten geworden sind in diesen Tagen, erinnern ein wenig an das Loch-Ness-Monster, denn nicht einmal mehr die Presse glaubt daran.

Opfer der Armen

Dabei wurde in  den letzten sechs Monaten tatsächlich einige wahre „Monster“ erkannt. Die Rezession ist vorbei und die Arbeitslosenquote sinkt. Das Ziel für das diesjährige Defizit liegt bei -5,5 Prozent des BIP, aber die endgültige Zahl könnte bei -5,3 Prozent liegen. Es mag vielleicht nicht nach einem großen Erfolg aussehen, aber es würde Einschnitte erleichtern, die das Land 2014 vornehmen muss.

Portugal wird die Sparmaßnahmen fortsetzen, die Erholung wird sich verlangsamen und die weitere Strenge bedeutet weitere riesige Opfer für die üblichen Verdächtigen: die Armen.

Enttäuscht von der großen Koalition

Viele Menschen in diesem Land hatten erwartet, dass eine große deutsche Koalition mit den Sozialdemokraten an Bord weniger Strenge bedeuten würde. Es war ein schöner Traum, aber nein, eine Veränderung ist nicht sonderlich wahrscheinlich: Das Sparprogramm wird in sechs Monaten abgeschlossen sein, und das heißt,  dass die Verhandlungen über ein neues Vorsorgeprogramm, das weitere 12 Monate dauern wird, mehr Strenge bedeutet. Es ist einfache Arithmetik: Die Staatsverschuldung liegt über 120 Prozent des BIP, und die Gläubiger wollen, dass sie sinkt. Das heißt, das primäre Budget muss positiv sein, so um die 2 Prozent (2013 war es bei -1 Prozent). Also müssen die Ausgaben 2014 und 2015 um weitere 4 oder 5 Milliarden Euro fallen.

Wichtige Niederlage

Letzte Woche hat die Mitte-Rechts-Regierung einen schweren Rückschlag erlitten, als das Verfassungsgericht ein Gesetz ablehnte, dass die Renten der Angestellten im öffentlichen Dienst um 10 Prozent kürzen würde. Die Details sind kompliziert, aber es wird bedeuten, dass jeder sechste Ruheständler eine Rente erhalten wird, die auf einer großzügigen Basis berechnet wurde. Das Gesetz war eine mögliche Lösung für ein Problem. Jetzt werden wir vielleicht 20 Jahre dafür brauchen. Der Gerichtshof hat ebenfalls vier große Strukturreformen blockiert, die von der Troika verlangt wurden.

In den letzten Jahrzehnten versetzten uns die besonderen Zins-Konditionen in die Lage, erhebliche Teile des portugiesischen Haushalts zu finanzieren. Zwischen 2000 und 2010 stiegen die Sozialausgaben in Portugal effektiv um ein Drittel an, während das Pro-Kopf-Einkommen flach blieb. Inzwischen wurde auch noch eine demographische Krise sichtbar. Das Land wird immer älter. Im Jahr 1980 war der Gesamtanteil der Bevölkerung im Ruhestand bei etwa 25 Prozent. Letztes Jahr waren es 40 Prozent. Die Anzahl der Arbeitnehmer nimmt aufgrund von Arbeitslosigkeit und massiver Migration ab. 1990 gab es noch zwei aktive Arbeitnehmer pro Rentner, 2012 lag das Verhältnis bei 1,5.

Man könnte meinen, dass diese Fragen oft von Politikern diskutiert werden. Doch das ist icht so. Die Sozialversicherungs-Krise war meist ein ideologisches Schlachtfeld. Renten werden brutal gekürzt. Die nächste Generation von Arbeitnehmer wird noch größere Kürzungen erfahren, aber die Gründe dafür versteht die Öffentlichkeit nur selten. Aus politischer Sicht sind die Maßnahmen für die Regierung gifti, und das Verfassungsgericht wird immer beliebter.

Wahlen im Mai

Die Menschen werden einem niemals vergeben, wenn man nicht in der Lage ist, die Entscheidungen, die getroffen wurden, zu begründen. Das ist das Hauptproblem der Mitte-Rechts-Regierung, eine Koalition von zwei Parteien, die höchstwahrscheinlich bei den nächsten Europawahlen im Mai eine Allianz bilden. Diese Wahlen sind in der Regel ein Protestvotum gegen die Regierungsseite, aber dieses Mal könnte es sehr hässlich werden.

Umfragen sagen, dass die Koalition etwa 35 Prozent der Stimmen hat. Dies wäre ein gutes Ergebnis, aber eine große Wahl-Enthaltung könnte die Zahl senken. Auf der anderen Seite könnten die Linken nur einen Pyrrhussieg verzeichnen, wenn die Wirtschaft sich in den nächsten Monaten wirklich bessert. Die marxistischen Parteien (außerhalb des Troika Memorandums) könnten eine Protestwahl anstreben und so vielleicht 20 Prozent erhalten. Aber es gibt neue Bewegungen in diesem politischen Bereich, die versuchen an Stärke zu gewinnen. Dabei könnten sie das radikale Lager spalten, statt es zu verinen.

Erstarrung und Pessimismus

Dann würden die Sozialisten die Wahl gewinnen, aber nur mit 37 Prozent oder 38 Prozent, wahrscheinlich nicht genug, um interne Probleme und Veränderung der Parteispitze zu vermeiden. Die Regierung könnte Glück haben und ein weiteres Jahr dabei sein, bis zur nächsten Niederlage 2015.

Dies ist nur ein mögliches Szenario und dabei gibt es reichlich unbekannte Variablen. Unsicherheit ist die einzige Konstante in der Gleichung. Der Zustand der Erstarrung und des Pessimismus der Portugiesen wird die Erholung nicht befördern und die geheimnisvollen Launen der Finanzherren der Welt nicht befriedigen. Unser Leben ist auf der Spitze eines Vulkans auf den Azoren: In der Tiefe weiß niemand wirklich, was vor sich geht. Das einzige, was wir wissen, ist, dass sich etwas bewegt und eines Tages wird es aufwachen, so wie der Wahnsinn der Götter der Meere.

Übersetzung: Anne Lachmann

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Über Luis Naves

Luis Naves ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt und arbeitet in Lissabon. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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