Als Politik-Star ist Gregor Gysi das Produkt einer Illusion

Gregor Gysi ist eloquent und charmant. Die Auftritte des Übervaters der Linken begeistern längst auch konservatives Publikum. Aber wie authentisch ist dieser Gregor Gysi? Und vor allem: Wie sehr hat sich dieses Land zu seinen Gunsten verändert?

Gregor Gysi tanzt auf dem Gipfel des Erfolgs. War Joschka Fischer der „letzte Rock’ n-Roller“, ist er der Pop-Star unter den Abgeordneten und berlinert so leichtfüßig durch die politischen Talk-Shows wie einst ein Harald Juhnke durch die Sketch- und Showprogramme des Boulevards.

Gysi ist clownesk und scharfzüngig, schlagfertig und selten arrogant, intelligent und weltgewandt und dabei doch so sehr Anwalt der kleinen Leute, dass er über die Heizrechnung der Sozialmieter genauso Bescheid weiß wie über die Rettungspakete für Griechenland und Portugal. Er ist ein glänzender Stratege und Taktierer. Kurz, Gregor Gysi ist ein Mann mit multiplen Fähigkeiten, die jedoch allesamt überragt werden von seinem schauspielerischen Talent, hinter dem er den Machtmenschen geschickt verbirgt.

„Ersatzmann für Markus Wolff“

Darum ist er ist so wahrhaftig wie eine Fata Morgana und doch so real wie der Fall der Mauer. Gregor Gysi ist nie immer nur der, der er gerade zu sein scheint; er ist in erster Linie eine von im selbst erschaffene Illusion, die er sorgsam hütet. Und wer sie ihm zu entreißen sucht, der bekommt eine Ahnung von dem anderen Gregor Gysi, der sich hinter dieser Illusion verbirgt und diejenigen, die dorthin vorzudringen versuchen und ihn immer wieder mit dem Spitzelsystem der Staatssicherheit in Verbindung bringen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verfolgt.

So bleibt die Frage, wer dieser aus der DDR-Nomenklatur stammende Gregor Gysi ist, der 1990 die SED in die Bundesrepublik überführte und im Untersuchungsausschuss des Bundestages auf die Fragen nach dem verschwundenen SED-Vermögen beharrlich schwieg. Wer ist dieser Mann, den kein geringerer als der Gorbatschow-Berater Valentin Falin einst als „Ersatzmann“ des dem Volk nicht vermittelbaren DDR-Spionagechefs Markus Wolff für das Amt des SED-Chefs bezeichnete?

Sekretärin bei der Stasi

Wer ist dieser Mann, dessen Fraktions-Sekretärin Ruth Kampa mehr als 20 Jahre lang für die Stasi spionierte, wie erst jetzt bekannt wurde? Sogar die „Frankfurter Rundschau“ meint: „Der Fall Kampa wirft auch ein neues Licht auf den Fall Gregor Gysi.“ Aber auch das verschluckt die von ihm selbst geschaffene viel heller strahlende Illusion.

Sie ist so mächtig, dass selbst eine Sahra Wagenknecht ehrfurchtsvoll vor ihr erblasst. Gerade erst hat er sie, deren Popularität der seinen inzwischen immer näher kommt, öffentlich gedemütigt, indem er Ikone der Marxisten den erhofften Ko-Vorsitz der Fraktion verweigerte, ohne sie vorab darüber zu informieren. Sie hat sich gegen ihn vorgewagt und ist bestraft worden, weil sie nicht will was er will, nämlich die Linke an die Regierung bringen.

Lafontaine Parteichef unter Gysi

Das ist seine Mission. Dafür hat er einst Oskar Lafontaine bekniet mit Argumenten, die bis heute niemand kennt. Doch am Ende stand mit der WASG der westdeutsche Arm der damaligen PDS, und Lafontaine durfte unter Gysi Parteichef der fusionierten Linken werden.

Ihm selbst geht es nicht um Posten, er ist getrieben von seinen sozialistischen Ideen. Und darum zählt auch jene Aussage am Abend der Bundestagswahl vor den eigenen Anhängern zu den wenigen, mit denen er einen Blick unter den Schleier der Illusion zulässt: „Wer hätte das 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste politische Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird?“.

Grundlegender Wandel

Da stand einer, der seinen ureigenen Erfolg offenbar selbst noch nicht fassen konnte. Vor allem aber musste er den verdutzten Anhängern, die sich über die mageren 8,6 Prozent gar nicht recht freuen mochten, die eigentliche Bedeutung des Wahlergebnisses erst einmal erschließen.

Denn diese Wahl war anders als alle anderen seit 1990. Erstmals ist Gysis Partei in einer herausgehobenen Position. Gemeinsam mit SPD und Grünen könnte die Linke regieren. Aber auch wenn nichts daraus wird, hat Gysi mehr gewonnen als je zuvor. Dann führt seine Linke die Opposition.

Wie sehr sich dieses Land doch in seinem Sinne verändert hat.

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

×