Die Krise der Marktwirtschaft bedroht Freiheit und Demokratie

Die Bundestagswahl wird eine krisenpolitische und marktwirtschaftliche Weichenstellung. Unsere Marktwirtschaft ist keinesfalls unveränderbar! Nun gilt es, politische Wegbereiter für die Suche nach einer neue Form des Wirtschaftens zu finden.

 

Zur europäischen Krisenpolitik, so hört man immer wieder, gibt es keine Alternative. Es ist kein Geheimnis, dass diese auf mehr Markt und weniger Staat in den Krisenländern setzt. Stellt man die Marktwirtschaft infrage, wenn man die europäische Krisenpolitik deswegen infrage stellt?

Die Bundestagswahl in Deutschland hat eine zentrale Bedeutung für die künftige europäische Krisenpolitik. Darum ist diese zugespitzt formulierte Frage tatsächlich wichtig. Denn in der Rückschau hat sie – in abgewandelter Form – eigentlich immer wieder im Zentrum historischer Entwicklungen gestanden, speziell in sozialistischen Ländern, insbesondere auch in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Die Suche nach dem dritten Weg

Ein zentraler Grund dafür war die sich immer weiter öffnende Schere bei der wirtschaftlichen Entwicklung und dem gesellschaftlichen Wohlstand. Das galt für die geteilte deutsche Nation ebenso wie es heute noch für die geteilte koreanische Nation gilt. Während die marktwirtschaftlich geordneten Länder Bundesrepublik Deutschland und Südkorea prosperierten, gerieten die planwirtschaftlich geordnete Deutsche Demokratische Republik und Nordkorea wirtschaftlich immer weiter ins Hintertreffen. Heute haben wir ganz ähnliche Probleme innerhalb der marktwirtschaftlich geordneten Industrieländer.

Allerdings war die schlechte wirtschaftliche Entwicklung immer nur ein Aspekt. Es ging dabei auch um die Kritik an Auswüchsen planwirtschaftlicher Ordnungen auf der einen und die Skepsis gegenüber marktwirtschaftlichen Ordnungen in kapitalistischen Ländern sowie deren sichtbar gewordenen und möglichen negativen Begleiterscheinungen auf der anderen Seite. Auch das gibt es heute verstärkt innerhalb westlicher Marktwirtschaften – Occupy Wall Street lässt grüßen.

Die chinesische Herausforderung

Gerade deswegen wurde in sozialistischen Ländern immer wieder nach einem „dritten Weg“ gesucht. „Demokratischer Sozialismus“ oder „marktwirtschaftlicher Sozialismus“ sind Begriffe für diesen dritten Weg. Erfolgreich waren diese Entwürfe nicht. Entweder kamen sie an die wirtschaftlichen Leistungen der westlichen Marktwirtschaften nicht heran oder die Menschen entschieden sich im Zweifel gegen ein neues Experiment und für den Erfolg bzw. das Wohlstandsversprechen der marktwirtschaftlichen Ordnung kapitalistischer Prägung. So war das auch in der DDR Ende der 80er Jahre. Welchen Weg die Menschen dort gehen wollten, lag nach dem Zusammenbruch des Regimes, der wie ein Dammbruch wirkte, außerhalb der politischen Kontrolle.

China steht mit seiner Suche nach einem eigenen marktwirtschaftlichen Weg bzw. einer Marktwirtschaft chinesischer Prägung gegenwärtig exakt vor derselben Herausforderung. Die chinesische Führung mit Staatspräsident Xi Jinping an der Spitze lehnt eine freie, nach wirtschafts- bzw. neoliberalem Bauplan konzipierte Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild für China ab. Heikel ist das erstens deswegen, weil überhaupt nicht klar ist, ob es gelingen kann, wirtschaftliches Wachstum bzw. wirtschaftliche Prosperität sicherzustellen, wenn China sich nicht an den wirtschaftsliberalen Bauplan hält. Zweitens riskiert China damit einen Dammbruch und letztlich dasselbe Schicksal, das der Sowjetunion infolge der Perestroika des ehemaligen Präsidenten Mikael Gorbatschow beschieden war, nämlich der Zusammenbruch der Macht des kommunistischen Regimes. Dieses Risiko resultiert für China sowohl aus der Umsetzung der für den Umbau des Wirtschaftssystems anvisierten Reformen als auch aus dem möglicherweise ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg des neuen Systems bzw. dritten Weges.

Wer löst das Wohlstandsversprechen ein?

Doch bei der Suche nach dem dritten Weg geht es auch in China ganz sicher vielen, die diesen befürworten, nicht um den Machterhalt der Partei. Aus Sicht vieler Bürger geht es ebenso wie in der damaligen DDR um die Suche nach einer demokratischen, nicht korrupten Form des Sozialismus. Irgendeine Form von Marktwirtschaft wird es in China geben. Nur, wie soll sie aussehen und löst sie das Versprechen wirtschaftlicher Prosperität auch ein?

Freilich, die negativen Bewertungen der Begleiterscheinungen marktwirtschaftlicher Ordnungen – von materialistischem, pekuniärem Denken über Raubbau an der Natur bis hin zu sozialer Kälte – ist ebenso wie die damit verbundene Skepsis – Hand aufs Herz – in den kapitalistischen Ländern von der überwältigenden Mehrheit der Menschen nie wirklich ernst genommen worden und zwar bis heute nicht.

Woran das liegt, lässt sich in einem Satz sagen, der das verbreitete Denken, das dazu führt, auf den Punkt bringt: Die Marktwirtschaft ist nicht vollkommen, aber wir haben nichts Besseres.

Entgleisungen der Marktwirtschaft

Nur damit kein Irrtum entsteht: Wer so spricht, bezieht sich bewusst oder unbewusst auf das wirtschaftsliberale Marktverständnis. Gleichwohl handelt es sich dabei nur um eine Halbwahrheit. Denn dieser Satz suggeriert, die Marktwirtschaft wäre etwas, das man mit allen Stärken und Schwächen hinnehmen müsste, weil man daran gar nichts zum Besseren verändern kann. Tatsächlich ist das aber nur eine Hypothese und keine unverrückbare Tatsache.

Dass auch in westlichen, marktwirtschaftlich geordneten Volkswirtschaften nicht mehr alles zum Besten steht, das haben erst mit dem Beginn der Finanzmarktkrise sukzessive immer mehr Menschen im Westen zu begreifen angefangen. Es ist kein Wunder, dass das in Europa für die Deutschen immer noch am allerwenigsten gilt, die stattdessen die Staatschulden der anderen in den Mittelpunkt rücken. Denn wirtschaftlich steht in der Europäischen Union praktisch kein anderes Land so gut da wie Deutschland.

Kritik und Skepsis

Und das ist es: So lange es wirtschaftlich gut geht, nehmen wir negative Nebenwirkungen, Schwächen und Entgleisungen der liberalen Marktwirtschaft in Kauf und Kritik und Skepsis gegenüber der liberalen Marktwirtschaft nicht wirklich ernst.

Mit fest auf die Geschichte und die Realität gerichtetem Blick kann man sogar mit Recht soweit gehen, festzustellen, dass die liberale Marktwirtschaft alternativlos ist, sofern man wirtschaftlichen Erfolg zum Maßstab erhebt.

Schacht 12 der ehemalige Zeche Zollverein in Essen / Quelle: Wikipedia/ Thomas Robbin

Schacht 12 der ehemalige Zeche Zollverein in Essen / Quelle: Wikipedia/ Thomas Robbin

Wenn man das allerdings tut, dann wird dabei völlig übersehen, dass Kritik und Skepsis gar nicht dem Ziel der individuellen Freiheit in marktwirtschaftlichen Ordnungen gelten, sondern dem Wirtschaftsliberalismus und damit einem spezifischen Konzept zur Realisierung und Sicherstellung individueller Freiheit (und Prosperität) in der Marktwirtschaft. Kritik und Skepsis daran sind jedoch prinzipiell gerechtfertigt, weil nämlich der Wirtschaftsliberalismus die Bewertung oder Messung der Ergebnisse von Marktprozessen in der Marktwirtschaft in Bezug auf individuelle Freiheit und wirtschaftliche Leistungen negiert.

… eine unwiderlegbare Hypothese

Mit anderen Worten wird aufgrund der liberalen ökonomischen Theorie von der Funktionsweise von Märkten lediglich hypothetisch unterstellt, dass die Marktwirtschaft Garant für individuelle Freiheit und individuelle ökonomische oder gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit ist, und zwar sofern eine Voraussetzung erfüllt ist: der Staat bzw. die Politik darf nicht in die Marktprozesse eingreifen, sei es durch gezielte Subventionierungen, sei es durch verzerrend wirkende Regulierungen.

Freie bzw. liberale Marktwirtschaft, Marktliberalisierung, liberale Reformen – all diese Ausdrücke meinen genau das. Es ist eine Politik zur Verwirklichung einer freien, prosperierenden Marktwirtschaft nach dem Konzept der wirtschaftsliberalen Theorie von der Marktwirtschaft, bei der es nicht auf den tatsächlichen feststellbaren oder messbaren Erfolg ankommt, sondern nur auf die Erfüllung der zentralen Voraussetzung, die sich aus dieser Theorie für eine freie, prosperierende Marktwirtschaft ableitet.

Weil jedoch die Bewertung oder Messung der Ergebnisse von Marktprozessen in Bezug auf Freiheit und wirtschaftliche Leistungen abgelehnt wird, ist es unmöglich die Hypothese zu widerlegen, auf der die liberale Wirtschaftstheorie, der Wirtschaftsliberalismus, die liberale Wirtschaftspolitik fußen: von staatlicher Einflussnahme freie Märkte sind prinzipiell selbstregulierende wettbewerbliche Märkte und sichern deswegen immerfort individuelle Freiheit und ökonomische Verbesserungen.

Selbstregulierende Märkte bedeutet, der Wettbewerb sorgt immerfort für eine Art dynamischer Machtbalance auf Märkten, wobei die Dynamik aus dem fortwährendem Bestreben der Marktteilnehmer resultiert, sich zu verbessern.

Das Ausschluss-Argument

Auf dieser Hypothese fußt ebenso die Behauptung, dass jegliche staatliche Intervention in das Marktgeschehen den Wettbewerb verzerrt und nicht nur zu schlechteren Marktergebnissen führt, sondern aufgrund der verzerrenden Wirkung letztlich immer neue, um Korrektur bemühte Interventionen nach sich zieht und so die Marktwirtschaft sukzessive in eine Planwirtschaft transformiert.

Letzteres wird heute zwar nicht mehr ernsthaft vertreten, aber bisweilen als provokative Zuspitzung eingesetzt, um Folgendes deutlich zu machen: In dieser Interpretation kann es gar keinen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus und kein „Mittelding“ zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft geben. Staatliche Interventionen in die Märkte sind im wirtschaftsliberalen Verständnis grundsätzlich nicht vereinbar mit der „freien“ Marktwirtschaft, weil „freie“ Marktwirtschaft definitionsgemäß eine „von staatlicher Intervention freie“ Marktwirtschaft ist.

Der Kern des Problems

Wenn die wirtschaftsliberale Hypothese selbstregulierender Märkte falsch ist, dann bricht das Gebäude von Annahmen, das darauf errichtet ist, in sich zusammen. Die Annahme, dass liberale bzw. vom Staat unbeeinflusste Märkte prinzipiell individuelle Freiheit und ökonomische Verbesserungen sicherstellen, ist nicht mehr haltbar. Die Annahme, dass Interventionen generell unvereinbar mit der Marktwirtschaft sind, ist nicht mehr schlüssig begründet. Die These, dass die Marktwirtschaft grundsätzlich nicht zum Besseren beeinflusst werden kann, ist nicht mehr haltbar. Die Zuspitzung, dass wir nur zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft wählen können, lenkt vom eigentlichen Kern des Problems ab, nämlich der Frage, wovon individuelle Freiheit und wirtschaftliche Prosperität tatsächlich abhängen, wenn von staatlicher Einflussnahme befreite Märkte kein Garant dafür sind. Die Frage, wie beides in Ordnungen sichergestellt werden kann, die eine Mischform darstellen, stellt sich dann gar nicht. Sie wird tabuisiert, jeder der sie stellt, wird zum Gegner der freien Marktwirtschaft abgestempelt.

Freiheit und Prosperität

Das Problem der Suche nach dem „dritten Weg“ kann in diesem Sinne interpretiert werden als die Suche nach einem besseren Konzept für die Marktwirtschaft bzw. für die Verwirklichung von individueller Freiheit und Prosperität in einer marktwirtschaftlich geordneten Volkswirtschaft. Sofern es so interpretiert wird, was folgerichtig und sinnvoll wäre, ist es für die westlichen Marktwirtschaften nicht weniger relevant als für kommunistische Staaten wie China, die die planwirtschaftlichen zugunsten mehr marktwirtschaftlicher Elemente zurückfahren wollen.

Philipp Scheidemann ruft auf dem Westbalkon des Reichstages die Weimarer Republik aus / Quelle: Wikipedia/Erich Greifer

Philipp Scheidemann ruft auf dem Westbalkon des Reichstages die Weimarer Republik aus / Quelle: Wikipedia/Erich Greifer

Denn während die kommunistischen Staaten längst erkannt haben, dass sie eine marktwirtschaftlich geprägte Ordnung des wirtschaftlichen Erfolges wegen brauchen, um die Stabilität und den Machterhalt des Regimes zu sichern, brauchen die westlichen Staaten den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Marktwirtschaften ebenso dringend, um die Stabilität ihrer Demokratien zu erhalten.

Wirtschaftliche Abwärtsspirale

Alle Industriestaaten haben dieses Problem, weil sie alle unter anhaltender Wachstumsschwäche und Krisen-anfälligkeit leiden. Die wirtschaftliche Abwärtsspirale in den europäischen Krisenstaaten bedroht nicht nur den sozialen Frieden und den Zusammenhalt in Europa. Sie bedroht die Demokratie. Wer das nicht glaubt, der möge sich anschauen, wie sich das Wahlverhalten und infolgedessen die Parteienlandschaft in Europas Mitgliedstaaten im Zuge der Krise verändert hat.

Appelle aus der Politik, bei Wahlen Vernunft walten zu lassen, werden daran in Europa nichts ändern. Daran etwas ändern kann nur eine auf Wirtschaft und Finanzmärkte gerichtete Politik, die individuelle Freiheit und Prosperität nicht nur zu erreichen verspricht, sondern in beiden Punkten auch sukzessive, erkennbare Fortschritte erzielt.

An der Realität orientieren

Die Ursache unserer Probleme ist, dass die Marktwirtschaft den Industrieländern einen jahrzehntelangen wirtschaftlichen Aufstieg bescherte und es jetzt nicht mehr tut. Insbesondere deswegen kommen z.B. auch die europäischen Krisenstaaten nicht von ihren Schuldenproblemen los. Das Wachstumsproblem wird von der europäischen Krisenpolitik bisher allenfalls am Rande adressiert.

Unser Problem ist, dass uns die liberale Wirtschaftstheorie keine geeigneten Hinweise geben kann, wie wir daran aktiv etwas ändern können, außer für – im wirtschaftsliberalen Sinne – „freie“ Märkte zu sorgen. Das macht aber nur dann Sinn, wenn die wirtschaftsliberale Marktlogik zutrifft und Märkte selbstregulierend, das heißt letztlich selbstheilend sind.

Wenn wir aktiv etwas daran ändern wollen, weil wir die Selbstregulierungshypothese verwerfen, benötigen wir eine andere Erklärung dafür, wie die Marktwirtschaft funktioniert und sich wandelt, die der Realität besser gerecht wird.

Unvollkommene Theorien

Unser Glück und zugleich Problem ist, dass die Wirtschaftswissenschaften keine Naturwissenschaft sind. Das heißt, es gibt nicht die eine, wahre Theorie, sondern es stehen oft mehr oder weniger unvollkommene, miteinander konkurrierende Theorien und Erklärungsansätze nebeneinander, aus denen wir wählen müssen. Das gilt auch für die wettbewerbliche Marktwirtschaft. Die wirtschaftsliberale Erklärung ist also nicht die einzige, die wir haben, aber dennoch gibt es keine perfekte andere Antwort.

 

Die Herausforderung bei der Suche nach einem neuen Lösungsweg jenseits der Idee der reinen Marktwirtschaft liberaler Prägung und der Planwirtschaft besteht in der Beantwortung von zwei grundsätzlichen Fragen.

Wenn Märkte nicht prinzipiell selbstregulierend sind, wie die liberale klassische und neoklassische ökonomische Theorie annehmen, und es damit zusammenhängt, dass individuelle Freiheit und wirtschaftliche Prosperität durch eine liberale Politik nicht prinzipiell sichergestellt werden können, ist zu fragen:

  1. Wovon hängt es dann ab, ob und inwieweit beides auf Märkten und in einer Marktwirtschaft realisiert ist?
  2. Wann, wo und wie könnte oder müsste dann gegebenenfalls der Staat Einfluss nehmen, um die wettbewerbliche Marktwirtschaft im Sinne von verbesserter individueller Freiheit und Prosperität zu stärken?

Wo liegt der Fehler?

Denn offensichtlich ist es doch heute in den westlichen Marktwirtschaften infolge der verbreitet fortgeschrittenen Oligopolisierung der Märkte, des ausuferndem Lobbyismus und der weit geöffneten Schere zwischen Arm und Reich so, dass einige wenige Akteure auf Märkten de facto wesentlich freier sind als alle anderen.

Eine bessere europäische Krisenpolitik wird auf der grundsätzlichen Ebene voraussetzen, dass für diese beiden Fragen Antworten geben.

Es ist etwas falsch gelaufen, mit unserer Marktwirtschaft. Es ist nicht so gelaufen, wie es eigentlich hätten laufen sollen und wir rätseln und diskutieren immer noch, warum. Wir haben Ungleichgewichte, wir haben anhaltende Wachstumsschwäche, von „Wohlstand für alle“ entfernen wir uns immer weiter.

Wie lässt sich das erklären? Es gibt, wie gesagt, unterschiedliche ökonomische Theorien zur Funktionsweise von wettbewerblichen Märkten. Sie können uns einigen Aufschluss darüber geben, warum es nicht so gelaufen ist wie erwartet und wir statt-dessen vor den exemplarisch angesprochenen fundamentalen Problemen unserer marktwirtschaftlich geordneten Volkswirtschaften stehen, deren Lösung bisher nicht gelungen ist, weil sie verdrängt, geleugnet und in die Zukunft verschoben werden und die deswegen zunehmend zu einer ernsten Bedrohung für den Zusammenhalt Europas und für die Demokratie werden.

Die Krise der Wirtschaftswissenschaften

Nur sehr wenige werden wahrscheinlich bei der Wahl zum neuen Bundestag daran denken, dass die Bewältigung der Krise in Europa maßgeblich von der neuen Bundesregierung abhängen wird und noch weniger dürften eine Vorstellung davon haben, welch fundamentale Herausforderung damit tatsächlich verbunden ist. Die führenden Parteien haben viel dafür getan, um uns dies im Wahlkampf nicht bewusst werden zu lassen. Darum habe ich darüber geschrieben.

Verstehen Sie mich richtig. Die Wirtschaftswissenschaften stecken seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise selbst in einer fundamentalen Krise, auch wenn darüber nicht mehr viel geredet wird. Bis dahin bewährte Theorien und Modelle offenbarten grundlegende Schwächen, deren Bewältigung wiederum eine eigene Herausforderung darstellt. Gerade deswegen wurde beispielsweise das Institute for New Economic Thinking (INET) von George Soros ins Leben gerufen. Es geht also zunächst bei der Bundestagswahl in erster Linie gar nicht darum, die Partei mit der richtigen Lösung zu finden. Die wird es (immer noch) nicht geben. Vielmehr gilt es, politische Wegbereiter für die Suche nach einer solchen Lösung zu finden und das heißt diejenigen Parteien und vor allem Politiker, die Schwächen und Fehler nicht mehr leugnen oder verschleiern und die anerkennen, dass wir mit dogmatischem Tunnelblick in der Sache genauso wenig weiterkommen werden wie mit Experimentieren.

Nichts tabuisieren!

Wer die europäische Krisenpolitik infrage stellt, der stellt nicht automatisch auch die Marktwirtschaft infrage, sondern vielleicht viel eher das liberale Konzept der „freien Marktwirtschaft“. Eine Diskussion über Alternativen zu diesem Konzept der Marktwirtschaft darf nicht tabuisiert werden. Wir riskieren ernstlich Europas Zukunft und gefährden unsere Demokratie, wenn wir das weiterhin einfach zulassen. Das ist eine Sackgasse und aus der müssen wir wieder herauskommen.

Schauen Sie also genau hin. Die Parteien, die sich traditionell für die Marktwirtschaft stark machen, haben den Anspruch auf marktwirtschaftliche Politik und Krisenbewältigung nicht gepachtet und ebenso wenig die richtigen Antworten, auch wenn sie immer wieder gerne diesen Eindruck erwecken.

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Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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