Die AfD will Bismarcks Russlandpolitik wiederbeleben

AfD-Sprecher Alexander Gauland legt ein außenpolitisches Papier vor. Er fordert eine enge Einbindung Russlands und stellt fest: Europa endet am Bosporos. Er will keine deutschen Soldaten auf den Kriegsschauplätzen von Erwin Rommel.

 

Bislang kritisierte die Alternative für Deutschland (AfD) zwar vehement die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung. Sie ließ jedoch völlig offen, wie sie selbst Europa- und Außenpolitik gestalten will. Nun hat sie den Schleier gelüftet. Ihr stellvertretender Bundessprecher Alexander Gauland legte in Berlin ein Positionspapier vor, das unter anderem auf Elemente der Außenpolitik des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck zurückgreift und etwa dessen Rückversicherungspolitik gegenüber Russland wiederbeleben will.

Gauland forderte ein neues Selbstbewusstsein Deutschlands in der Außenpolitik ein. Im Kern gehe es darum, ohne Scheu nationale Interessen zu formulieren und diese auf internationalem Parkett selbstbewusst zu vertreten. „Wir Deutsche neigen dazu, nach den Erfahrungen der Hitler-Jahre die Definition und Verfolgung nationaler Interessen per se für etwas Schlechtes zu halten“, sagte Gauland vor Journalisten im Hotel Westin Grand. „Diese Sichtweise teilen weder unsere Freunde und Nachbarn, noch die anderen Mitspieler auf der Weltbühne.“ Ebenso wenig werde dort übersehen, dass auch Freunde und Nachbar gleichzeitig gegenläufige Interessen haben könnten „oder auch in einem Konkurrenzverhältnis stehen“.

Loslösung des „heiligen Kiew“

In diesem Sinne erläuterte der frühere CDU-Staatssekretär die Vorstellungen der AfD von der Rolle Deutschlands zwischen der Weltmacht USA und Russland. „Wir wollen die westliche Sicherheitsarchitektur beibehalten und betrachten die USA als den entscheidenden Anker dieser Architektur“, versicherte Gauland. Das dürfe Deutschland allerdings nicht daran hindern, „Grenz- und Regelüberschreitungen der USA wie im Falle der NSA-Datensammlung diplomatisch und rechtlich entgegenzutreten“.

Mit Blick auf Moskau warb Gauland um Verständnis für die russischen Bedürfnisse im Umgang mit den Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion und die innenpolitischen Verhältnisse. Zwar gehörten die Ukraine, Weißrussland, Georgien und Moldawien „unstreitig zu Europa“. Doch habe Russland die Loslösung des „heiligen Kiew“, der Keimzelle Russlands, nie verwunden. „Das ist auch schwer vorstellbar, da diese Trennung nur vergleichbar ist mit der Abtrennung Aachens oder Kölns von Deutschland“, sagte Gauland.

„Russland stützen“

Vor diesem Hintergrund solle die EU sich nur mit „äußerster Vorsicht und unter Wahrung der Empfindlichkeiten Russlands“ betreiben. In dem außenpolitischen Papier der AfD heißt es dazu wörtlich: „Deutschland und Europa haben kein Interesse an einer weitern Schwächung Russlands und damit auch des gesamten euroasiatischen Raumes. Das Verhältnis zu Russland sollte uns immer eine sorgfältige Pflege wert sein. Wir Deutschen vergessen manchmal, dass Russland an entscheidenden Wegmarken der deutschen Geschichte positiv Pate gestanden und Preußen vor dem Untergang bewahrt hat. Das gilt für 1763, 1806/07, 1813, die Bismarcksche Reichseinigung von 1866/70 und die deutsche Wiedervereinigung von 1990/91.“

Schlusssitzung des Berliner Kongresses (Gemälde von Anton von Werner, 1881). Bismarck (vorn mittig) zwischen dem österreichischen Botschafter Andrássy (links) und dem russischen Botschafter Schuwalow (rechts) / Quelle: Wikipedia

Schlusssitzung des Berliner Kongresses (Gemälde von Anton von Werner, 1881). Bismarck (vorn mittig) zwischen dem österreichischen Botschafter Andrássy (links) und dem russischen Botschafter Schuwalow (rechts) / Quelle: Wikipedia

Russland hingegen habe sich nicht immer auf westliche Versprechen verlassen können, etwa auf die Zusage, die Nato nicht über die Oder hinaus auszudehnen. Die entsprechende Aussage Gorbatschows sei weder von Altkanzler Helmut Kohl noch durch den früheren US-Präsidenten George Bush sen. dementiert worden. Dennoch sei Polen in die Nato aufgenommen worden.

Auch die DDR entdeckte Bismarck

„Wenn Russland auf westliche Vorschläge oft aggressiv abwehrend reagiert, dann hat das auch mit diesem Erfahrungshintergrund der Russen über den Wert westlicher Zusagen zu tun“, sagte der AfD-Sprecher. Er riet dazu, sich auf Bismarck zu besinnen und künftig „Elemente seiner Rückversicherungspolitik gegenüber Russland“ zu pflegen. Der sogenannte Rückversicherungsvertrag war ein 1887 abgeschlossenes geheimes Neutralitätsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Russland. Beide Seiten einigten sich auf ein Stillhalten, falls Russland von Österreich-Ungarn angegriffen würde oder Deutschland von Frankreich. Auf diese Weise suchte Bismarck Deutschland vor einem gefährlichen Zweifrontenkrieg zu bewahren.

Übrigens entdeckte auch die DDR in ihrer Spätphase zu Beginn der 1980er Jahre ebenfalls Bismarcks Außenpolitik für sich. Im Februar 1983 stufte das unter Moskauer Kontrolle arbeitende Ost-Berliner Zentralinstitut für Geschichte den Reichsgründer als „Staatsmann von hohem Rang“ ein. In einem Aufsatz in der „Jungen Welt“ lobte Instituts-Direktor Heinz Wolter den Reichskanzler als einen Mann, der „mit den Realitäten wirtschaften“ konnte und rühmte „Bismarcks realistische Einsicht, es niemals zum Kriege mit Russland kommen zu lassen.“ Wolter kam zu dem Schluss: „Sicher wäre auch im Rahmen unseres differenzierten historischen Erbeverständnisses eine Wiederbegegnung mit Bismarck denkbar.“

Verhältnis zu Israel

Der Vorstoß der AfD für eine Wiederbelebung der Bismarckschen Außenpolitik kommt zu einem Zeitpunkt, da Russland eine bedeutende Vermittler-Rolle im Syrien-Konflikt übernimmt. Russlands Außenminister Sergej Lawrowhatte die syrische Regierung aufgefordert, ihre Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen und sie zu vernichten. Außerdem solle Syrien der internationalen Chemiewaffenkonvention beitreten. Ziel der russischen Initiative ist es, einen möglichen US-Militärschlag gegen Syrien zu verhindern. „Ein Militärschlag gegen Syrien wäre völlig falsch“, sagte auch AfD-Sprecher Alexander Gauland.

Vor dem Hintergrund des Syrien-Konflikts bezeichnete er das Verhältnis Deutschlands zu Israel als „eine der offenen Fragen“ der deutschen Außenpolitik. „Wenn es stimmt, was die Bundeskanzlerin bei mehreren Gelegenheiten betont hat, dass die Existenz Israels Teil deutscher Staatsraison ist, dann muss sie auch die Frage beantworten, was im Falle einer Existenzbedrohung Israels zu geschehen hat, wenn der Satz keine hohle Phrase bleiben soll.“ Deutschland sei heute weder rechtlich noch strategisch in der Lage, „den Satz mit Leben zu erfüllen“.

„Keine Bundeswehr auf Kriegsschauplätzen von Rommel“

Europapolitisch tritt die AfD in ihrem außenpolitischen Papier für die „geordnete Auflösung des bestehenden Euro-Währungsgebietes“ ein, wobei der gemeinsame Binnenmarkt erhalten bleibe solle. Die Partei ist gegen eine weitere Übertragung von Kompetenzen und Souveränitätsrechten auf die EU-Kommission und ist gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU. „Mach Auffassung der AfD endet Europa am Bosporus“, heißt es in dem Papier. Und weiter: „Mit der Aufnahme der Türkei verlöre Europa seine abendländische Identität.“ Alle bislang den Türken gegenüber gemachten Zusagen seien eh nichts weiter als „pure Heuchelei“ gewesen.

Auch in der Sicherheitspolitik setzt die Partei neue Akzente. Sie will alle deutschen Soldaten aus Afghanistan abziehen und ist gegen jeden weiteren Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebietes. In diesem Punkt ist sie allerdings nicht konsequent, da sie Einsätze in Nordafrika nicht ausschließt. „Deutschland wird bestimmt nicht am Hindukusch verteidigt, es kann aber durchaus die Notwendigkeit bestehen, es vor Bengasi oder Tunis zu verteidigen“, heißt in dem Papier. Gauland räumte jedoch ein, dass es nicht unproblematisch sei, wenn deutsche Soldaten auf früheren Kriegsschauplätzen von Erwin Rommel eingesetzt würden.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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