Die Regierung setzt die Renten der 50-Jährigen aufs Spiel!

Der Euro wird zerbrechen, prophezeit AfD-Sprecher Bernd Lucke im Interview. Und die Folgen würden auch für die Deutschen furchtbar sein. Erstmals räumt der AfD-Chef Probleme mit den gesetzlichen Vorgaben zur Bundestagswahl ein.

 

Herr Lucke, Sie spüren erstmals die Kehrseite des Erfolges: In die Landesverbände drängen Menschen aus den unterschiedlichsten politischen Strömungen. Das führt zu zum Teil heftigen Auseinandersetzungen in den Landesverbänden. Gleichzeitig wächst die Erwartung der Öffentlichkeit. Wie gehen Sie damit um?

Bernd Lucke: Dieser Streit in einigen Landesverbänden ist unangenehm, aber in einer neuen Partei fast normal. Man erinnere sich nur an die Gründungsjahre der Grünen.  Als Bundessprecher werde ich immer wieder als Schlichter eingeladen, das beansprucht Zeit, die ich lieber für inhaltliche Arbeit oder Wahlkampfvorbereitungen verwenden würde.

Wo gibt es derzeit die größten Probleme? Im Berliner Landesverband?

Lucke: Ich glaube, in Bayern rumpelt es ziemlich heftig.

Warum?

Lucke: Dort gibt es eine Auseinandersetzung zwischen dem gegenwärtigen Landesvorstand und einer innerparteilichen Opposition.

Worum geht es dabei?

Lucke: Es geht um die demokratischen Gepflogenheiten innerhalb der Partei und um Kandidatenaufstellungen, bei der sich eine Seite benachteiligt fühlt. Weil das wichtige Entscheidungen sind, wird auch entsprechend gestritten.

Aber es geht nicht um die inhaltliche Ausrichtung der Partei?

Lucke: Nein, überhaupt nicht. Es gibt keinen inhaltlichen Dissens.

Behindern die Querelen oder verhindern Sie gar die rechtzeitige Aufstellung von Kandidatenlisten für die Bundestagswahl?

Lucke: Nein, das funktioniert dennoch ganz gut. Große Probleme bereiten uns hingegen die Vorgaben des Gesetzgebers, weil wir zurzeit sehr viele Kandidaten haben. In Bayern etwa sind 180  Menschen an einer Bundestagskandidatur interessiert. Gerichte schreiben uns vor, dass jeder Kandidat die Möglichkeit haben muss, sich einer Landeswahlversammlung vorzustellen mit einer Redezeit von zehn Minuten. Und wenn man das bei 180 Kandidaten machen will, stößt man an Grenzen, weil keine Landeswahlversammlung das durchhalten kann. Da spüren wir den Nachteil einer jungen Partei, in der man sich noch nicht so richtig kennt und es noch keine „natürlichen“ Kandidaten geben kann.

AfD-Chef Bernd Lucke / Quelle: Wikipedia/Mathesar

AfD-Chef Bernd Lucke / Quelle: Wikipedia/Mathesar

Wie lösen Sie das Problem?

Lucke: Indem wir wirklich sehr basisdemokratisch vorgehen und allen Kandidaten die Möglichkeit geben, sich vorzustellen. Wir versuchen das auch mit Hilfe des Internets zu lösen, indem Kandidaten sich erst einmal dort präsentieren. Aber auch das ist keine grundsätzliche Lösung, weil sich niemand 180 PDF-Dateien im Netz anschaut.

Eine Teilnahme an der Landtagswahl in Bayern ist endgültig vom Tisch?

Lucke: Da hat der Parteitag eindeutig votiert.

In der Außenwirkung sind sie so etwas wie eine Ein-Mann-Partei. Immer sind Sie es, der in Talk-Shows auftritt, der Interviews gibt. Wo sind die anderen?

Lucke: Konrad Adam, Alexander Gauland und Frauke Petry tauchen auch schon auf, so ist das ja nicht.

Aber im Vergleich zu Ihnen doch sehr wenig…

Lucke: …Da ich mich durch meinen Beruf in der Eurofrage besonders gut auskenne, werde ich am stärksten von den Medien nachgefragt. Die Medien konzentrieren sich am stärksten auf dieses Thema und behaupten dann, wir seien eine Ein-Themen-Partei. Klar ist die Eurokrise das beherrschende Thema, weil dort durch das Versagen der Politik die größte Gefahr droht. Aber Sie könnten uns etwa auch zum Demokratiedefizit oder anderen Themen befragen.

Wo und worin sehen Sie denn die größten Defizite in der Demokratie?

Lucke: Auf der europäischen Ebene sehe ich sie in einer mangelnden demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments. Das EU-Parlament hat ja bestimmte Mitspracherechte bei der Besetzung der Kommission und bei der Kontrolle der exekutiven Funktion der Kommission. Aber das EU-Parlament selbst hat keine Öffentlichkeit und niemand nimmt wahr, was das Parlament eigentlich tut.

Und wo sehen Sie das Defizit in der deutschen parlamentarischen Demokratie?

Lucke: Bei uns sehe ich einen Verfall der parlamentarischen Kultur im Rahmen der Euro-Rettungspolitik. Da hat sich der Bundestag von der Regierung beinahe willenlos gängeln lassen. Er hat sich einfach dem von Merkel ausgegebenen Dogma der angeblichen Alternativlosigkeit unterworfen. Abgesehen von einigen mutigen Rebellen haben die Abgeordneten die Vorgaben der Regierung gar nicht kritisch geprüft. Sie haben nicht nach Alternativen gefragt, sondern brav das mit der angeblichen Alternativlosigkeit verordnete Denkverbot akzeptiert. Das Parlament ist gehorsam der Linie der Regierung gefolgt, statt sie zu kontrollieren. Das heißt: Die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative funktioniert nicht mehr. Über Randthemen wird gestritten, über eine Schicksalsfrage für Deutschland und Europa wird allenfalls oberflächlich diskutiert. Das ist beängstigend

AfD-Mitglieder beim Gründungsparteitag in Berlin / Screenshot aus einem Video im Text

AfD-Mitglieder beim Gründungsparteitag in Berlin / Screenshot aus einem Video im Text

Über diese Bundestagsentscheidungen kam es damals zu einer Flut von Bürgerklagen vor dem Bundesverfassungsgericht, zuletzt gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). In diesem Verfahren steht nun die abschließende Entscheidung an. Was erwarten Sie vom Gericht?

Lucke: Meine eigene Kritik an der Euro-Rettungspolitik war immer ökonomisch begründet. Insofern käme es mir natürlich gelegen, wenn das Gericht feststellte, dass die Euro-Rettungspolitik nicht nur ökonomisch falsch, sondern auch verfassungswidrig wäre. Ich habe mich damals der Klage von Mehr Demokratie e.V. angeschlossen. Die Kernfrage von Mehr Demokratie e.V. war ja, ob durch die Euro-Rettungspolitik eine neue Staatlichkeit auf der EU-Ebene entsteht, die einer Verfassungsänderung und einer direkten Beteiligung des Volkes bedürfte.

Sehen Sie eine solche Entwicklung?

Lucke: Das juristisch zu entscheiden ist jenseits meiner Kompetenz.

Warum haben Sie sich dann der Klage angeschlossen?

Lucke: Ich halte den ESM aus ökonomischen Gründen für falsch.

Die Euro-Krise ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Wo ist sie geblieben? Gibt es sie nicht mehr?

Lucke: Sie ist sehr lebendig. Es ist gerade mal vier Wochen her, da Zypern unsere Rettungsmilliarden brauchte. Seit Ausbruch der Krise im Mai 2010 war es immer so, dass die Krise durch massive Geldzahlungen für einige Wochen unter der Decke gehalten wurde, um dann an einem nicht erwarteten Ort wieder aufzuflammen. Und genau dasselbe wird auch jetzt passieren. Sie kommt todsicher wieder an irgendeiner Stelle hoch, weil keines der Probleme gelöst ist. Die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank tun alles, damit die Krise nicht vor der Bundestagswahl noch einmal aufflammt.

Was fürchten Regierung und EZB?

Lucke: Dass ihr Scheitern für jedermann offensichtlich wird. Dass die Wähler in Deutschland verstehen, dass sie mit horrenden Summen für eine Politik bezahlen müssen, die von Anfang an falsch war. Das kann konkret etwa eine akute Zahlungsschwierigkeit Griechenlands sein. Es kann sein, dass eine Bankenkrise in Slowenien offen ausbricht. Es kann sein, dass die Zyprer diese sechs Milliarden Euro, die sie aus eigener Kraft aufbringen sollen, nicht zusammenbekommen.  Es kann sein, dass der spanische Staat wegen der großen Hilfszahlungen für seine eigenen Banken in Schwierigkeiten gerät, dass er nach dem ESM verlangt. Es gibt viele Krisenherde, auf denen jederzeit etwas passieren kann.

Was tut die Regierung, um die Krise, wie Sie sagen, unter der Decke zu halten?

Lucke: Griechenland etwa hätte eigentlich keine Kredite mehr bekommen dürfen. Das Land ist eindeutig überschuldet und braucht einen Schuldenschnitt. Trotzdem wurde mit der Änderung von Griechenland II faktisch ein drittes Hilfspaket für Griechenland aufgelegt. Es widerspricht dem Haushaltsrecht, dass man einem Land, das eindeutig insolvent ist, Bürgschaftszusagen gibt und so vorsätzlich Steuergelder verschwendet.

Warum haben Regierung und Bundestag das getan?

Lucke: Um sich mit dem Geld der Steuerzahler Zeit zu kaufen und sich über die Bundestagswahl zu retten. Hinter vorgehaltener Hand wird ja bereits eingeräumt, dass nach der Wahl die Umschuldung für Griechenland kommen wird. Den Spaniern wurde bedeutet, sie müssten noch bis nach der Bundestagswahl durchhalten. Danach müssen wir damit rechnen, dass wir ein ESM-Programm nicht nur für die spanischen Banken, sondern auch für den spanischen Staat auflegen werden. Die Rechnung für die völlig verfehlte Euro-Rettungspolitik werden Merkel und Schäuble nach der Bundestagswahl präsentieren.

Was kommt mit alledem auf die Bundesbürger zu?

Lucke: Die Bundesbürger werden 25 bis 30 Milliarden Euro für den unausweichlichen Schuldenschnitt in Griechenland zahlen. Die Regierung, CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne haben das zu verantworten. Sie können sich nicht mit Unwissenheit herausreden. Sie werden versuchen, diesen horrenden Verlust vor allem durch neue Schulden zu finanzieren. Schulden spüren die Bürger zunächst nicht. Aber wenn die neuen Schulden offen ausgewiesen werden, verstößt der Bund gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz. Deshalb rechne ich damit, dass getrickst und getäuscht wird und die Regierung versucht, eine Art Sonderfonds auszulegen, den man dem Bundeshaushalt entzieht, um mit Buchungstricks die Schuldenbremse zu umgehen. Trotzdem werden die Bürger auch mit höheren Steuern für die Verluste in Griechenland bezahlen.

Das AfD-Führungs-Team (v.l.): Konrad Adam, Frauke Petry und Bernd Lucke / Screenshot aus einem Video im Text

Das AfD-Führungs-Team (v.l.): Konrad Adam, Frauke Petry und Bernd Lucke / Screenshot aus einem Video im Text

Steuererhöhungen in welcher Größenordnung?

Lucke: Es wird ein schmerzhafter Betrag sein. Die Deutschen werden auf Wohlstand verzichten müssen.

Was geschieht, wenn, wie Sie sagen, sogar Deutschland in die Schuldenspirale gerät, in der andere europäische Länder wie Griechenland, Spanien, inzwischen sogar auch Frankreich gefangen sind?

Lucke: Das wird dazu führen, dass Staaten in die Insolvenz gehen. Griechenland wird der erste Staat sein. Deutschland wird seine enorme Verschuldung noch einige Zeit zu erträglichen Konditionen finanzieren können. Das dürfte dazu verführen, besonders viele neue Schulden zu machen, weil es ja so billig ist. Aber das ist gefährlich. Ein hoher Schuldenstand macht besonders verwundbar, wenn die Zinsen wieder steigen.

Wann kommt die Zinswende?

Lucke: Schwer zu sagen, aber ich hoffe sehr, dass sie kommt, weil derzeit die Sparer geradezu um ihr Geld betrogen werden. Und das ist gefährlich für die Alterssicherung der Bevölkerung. Gerade die Generation der Mitfünfziger, die innerhalb der nächsten zehn Jahre mit der Hoffnung in Rente geht, durch Ersparnisse für einen halbwegs sorgenfreien Ruhestand vorgesorgt zu haben, wird sich sehr erschrecken. Sie werden viel weniger Geld bekommen als man ihnen versprochen hat und als sie geplant haben. Auch das ist ein Teil des Preises für die Euro-Retterei.

Hält der Euro all das aus?

Lucke: Der Euro wird zerbrechen. Die Frage ist nur, wie lange es noch dauert und wie teuer uns das kommt. Wir können die augenblickliche Politik noch einige Jahre fortsetzen und weiter Unsummen in den vermeintlichen Erhalt des Euros stecken. Doch damit zögern wir den Zusammenbruch nur hinaus und erhöhen den Preis, den wir dafür bezahlen. Und es ist zu befürchten, dass der Zusammenbruch, weil er dann völlig unkontrolliert erfolgt, zu großen Verwerfungen führt. Das kann dazu führen, dass Sozialleistungen und Renten nicht mehr gezahlt werden können.

Geschrieben für „Die Welt

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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