Die Krise ist der beste Wahlhelfer der AfD

Die Krise gewinnt eine neue Dimension: Die Rezession hält an, und noch nie waren so viele Menschen ohne Arbeit in Europa. Das hat auch politisch gravierende Folgen – für die etablierten Pareiten. Profiteur ist allein die AfD...

 

Es ist nur ein Satz. Aber dieser eine Satz drückt die ganze Gefahr aus, die mit der Alternative für Deutschland für die etablierten Parteien heraufzieht. „Verschärft sich die Euro-Krise, verschärft sich innenpolitisch automatisch das AfD-Problem“, schreibt Frank Wilhelmy in einem Vermerk für das Willy-Brandt-Haus, in dem er für die Beobachtung des politischen Gegners zuständig ist. Und gemessen daran, welches Krisenszenario sich gerade in Europa abspielt, könnte die Gefahr größer nicht sein.

Denn jenes Europa, das seinen Bürgern am 1. Januar mit der Einführung des Euros Wachstum und Wohlstand für alle versprach, ist in allergrößte Not geraten. In den 17 Euro-Ländern sind mehr als 19,2 Millionen Männer und Frauen ohne Arbeit, das sind 1,7 Millionen mehr als noch vor einem Jahr und so viele wie nie zuvor. In der gesamten Europäischen Union gibt es sogar 26,5 Millionen Arbeitslose.

Jugend ohne Zukunft

Besonders hart aber trifft es Griechenland und Spanien, wo die Arbeitslosenquote auf 27 Prozent angestiegen ist. Fast 60 Prozent der unter 25-Jährigen Griechen sind ohne Job, in Spanien sind es über 50 Prozent. In Portugal und Italien liegt die Quote bei mehr als 38 Prozent. Das sind Werte, die Gesellschaften ins Wanken bringen. Wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Rezession warnen die UN bereits vor sozialen Unruhen in Europa.

Und das ist nur die eine Seite der Krise. Es gibt noch eine zweite, nämlich die der Belastungen für die Bürger in den nördlichen Euro-Staaten.  Allein der deutsche Steuerzahler haftet mit dreistelligen Milliarden-Beträgen für die Schulden der Südländler. Zuletzt beschloss der Bundestag mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen das Zehn-Milliarden-Hilfspaket für Zypern.

Es ist diese Politik der immer wiederkehrenden Hilfspakete, die die Alternative für Deutschland hervorgebracht hat. Folglich ist die Entwicklung der neuen Partei unabdingbar mit dem Verlauf der Krise verbunden. Und der zunehmende Vertrauensverlust der etablierten Parteien treibt ihr scharenweise Neumitglieder in die Arme. In nur sieben Wochen waren es über 10.000.

„Kompetent argumentierende Führung“

Wen wundert’s also, dass die politischen Analysten und Wahlkampfstrategen in den Zentralen der großen Parteien sich die Köpfe über die AfD zerbrechen. Heraus kamen zunächst zwei Papiere der unionsnahmen Adenauer-Stiftung und des Thomas-Dehler-Hauses, aus denen vor allem Ratslosigkeit sprach. Und als der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl im Fernsehen auf die AfD angesprochen wurde, geriet seine Antwort denn auch glatt zur Steilvorlage für den AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke. Strobl, sagte, die Politik der AfD führe zur „Schrumpfung der Volkswirtschaften“, zu „Massenarbeitslosigkeit“, zu „Verelendung über weite Strecken in Europa“ und zur „Verarmung in Deutschland“. Lucke entgegnete knapp, Strobl beschreibe exakt die aktuelle Lage in der Euro-Zone.

Arbeiotslose Europa März 2013

In der Sache sei der neuen Partei schwer beizukommen, analysiert nun das Willy-Brandt-Haus. Außerdem habe die AfD ganz offensichtlich aus dem Schicksal einiger populistischer Parteienprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik gelernt. Sie scheine über ein „einigermaßen durchdachtes Kommunikationskonzept und eine ebensolche Politikstrategie zu verfügen“. Dazu zähle an erster Stelle eine „betont sachkompetent argumentierende Führung“.

Disziplin und Motivation

Anders als seine Kollegen in der Adenauer-Stiftung oder bei den Liberalen taucht der SPD-Referent Wilhelmy tief in die Materie ein und mahnt die Genossen: „Die AfD ist sehr ernst zu nehmen.“ Sie reduziere die „Gefahr chaotischer Meinungsvielfalt oder extremistischer Aufweichungen“, weil sie von einem kleinen Machtzirkel um Bernd Lucke straff geführt werde. Ihr Programm sei zwar bescheiden, die AfD sei „jedoch keineswegs eine Ein-Punkte-Veranstaltung“: „Neben der Eurofrage thematisiert die AfD die Demokratiefrage (Volksabstimmungen usw.), die spätestens nach Stuttgart 21 eine eigenständig mobilisierende Positionierung ist, die Steuerpolitik (Kirchhof-Vorschlag) die Energiepreisfrage, die Einwanderungspolitik und die Stabilität der Rente, um einen neu hinzugekommenen Aspekt zu nennen.“

Wilhelmy staunt in seinem Papier über die „erhebliche Disziplin und Motivation“ der Mitglieder auf dem Gründungsparteitag in Berlin, die in „beengter Situation etwa 12 Stunden auf ihren Sitzplätzen“ ausgeharrt hätten. „Es herrschte eine Atmosphäre des Gründungseifers“, schreibt der Sozialdemokrat, der zugleich präzise die Strategie der neuen Partei sowie ihre demokratisch-legitimatorischen Defizite aufzeigt.

So habe sich die Partei auf dem Gründungskongress alles andere als demokratisch präsentiert. Außer Alexander Gauland habe kein Kandidat bei der Wahl der stellvertretenden Sprecher und Beisitzer die einfache Stimmenmehrheit der Delegierten erzielt. Dies sei juristisch angreifbar, weil nach dem einfachem Listenwahlverfahren abgestimmt worden sei. Auch die Prozedur der Kandidatenvorstellung sei anfechtbar. Unter anderem seien die konkreten Stimmenergebnisse der Unterlegenen nicht erwähnt worden.

„Partei neuen Typs“

Zur Strategie zählt Wilhelmy den Anspruch der AfD, eine „eine Partei neuen Typs“ ohne ideologische Verwurzelung zu sein. Dabei bediene sie sich sprachlich eines neuen „Codes, der sich zwar rhetorisch gegen Political Correctness als Instrument der Tabuisierung und Unterdrückung freier Meinungsäußerung wendet, gleichzeitig aber fein darauf achtet, keine verfänglichen Begriffe zu verwenden“.

Sie praktiziere zudem einen politischen Eklektizismus, weil sie sich gleichzeitig gegen den Euro stelle und zur Tradition der großen Staatsmänner Adenauer, Schmidt, Genscher und Kohl, „dem Euro-Gründer schlechthin“ bekenne. Den Populismusvorwurf drehe sie demonstrativ um. Einerseits sage sie, die Wahrheit könne nie populistisch sein. Andererseits appelliere sie an ihre Mitglieder, den Vorwurf des Populismus „als Auszeichnung“ zu betrachten.

Zwar schreibt Wilhelmy dem bürgerlichen Lager und der Linkspartei die größte Herausforderung durch die AfD zu, doch er warnt auch seine Mitstreiter im Willy-Brandt-Haus: „Aber auch die SPD hat reaktiv die Aufgabe, in der Europa- und Euro-Krisenpolitikeine Verdeutlichung und Popularisierung ihrer Position vorzunehmen bzw. diese zu vermitteln.“

Wagenknecht entdeckt Gemeinsamkeiten

Für die Linkspartei ergibt sich wohl vor allem ein Problem der Abgrenzung. „Wie wir kritisieren sie die Europapolitik der Kanzlerin“, sagt Sahra Wagenknecht. „Da gibt es viele Überschneidungen.“ Wer die Gründer der AfD als Populisten abstempele, mache es sich zu leicht. Schließlich hätten sie in vielen Punkten recht. Der Erfolg der AfD sei eine Reaktion der Wähler auf ihre Unzufriedenheit mit dem „etablierten Politikbetrieb“. „Zwischen Union, FDP, SPD und Grünen gibt es ja kaum noch Unterschiede. Es ist nicht erstaunlich, dass sich viele von diesem Parteienkartell nicht mehr vertreten fühlen“, sagt Wagenknecht.

Arbeitslose europa März 2013

Sorge um die Linke mache sie sich wegen der AfD nicht. „Für potenziell linke Wähler ist eine Partei, für die Niedriglöhne und Altersarmut kein Thema sind und in deren Vorstand Leute arbeiten, die öffentlich darüber nachdenken, Arbeitslosen das Wahlrecht zu entziehen, bei näherem Hinsehen ganz sicher nicht wählbar.“

Wie groß das Potenzial der AfD am Ende sein wird, ist heute reine Spekulation. In Brandenburg und Berlin haben sich weitere Landesverbände gegründet. Am Wochenende will dann der hessische Landesverband die Teilnahme an der Landtagswahl beschließen. Die AfD wächst weiter. Sie braucht vorerst keine Werbekampagne, sie hat ja die Krise.

Geschrieben für „Die Welt

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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