Nazi-Vergleiche bringen Europa weder Recht noch Ordnung

Kritik an dem politischen Geschehen im Europa der Rettungsschirme ist richtig. GUNNAR BECK aber hat sie in seinem GEOLITICO-Beitrag "In Europa weicht das Recht der politischen Willkür" durch  Polemik mit Wortspielchen, Andeutungen und missglückten Vergleichen entwertet. Besonders der Nazi-Vergleich ist unnötig, entgegnet GRINARIO...

Mitte April konnte man auf GEOLITICO einen Beitrag von Gunnar Beck lesen, in dem er die finanzpolitischen Vorgänge in der Euro-Zone und vor allem die zweifelhafte Rolle, die das Bundesverfassungsgericht und die EZB dabei spielen, aus der Sicht eines Juristen bewertete und den Vergleich mit dem Wilden Westen nicht scheute: Die Euro-Zone ist wie Wilder Westen für die EZB.

Unter dem Wilden Westen verstehen wir eine Zeit in der Geschichte der USA, in der in bestimmten Teilen des Landes Recht und Gesetz nicht so genau genommen wurden und das Faustrecht legitim war. Ein ganzer Zweig der Filmindustrie zieht bis heute seine Vorteile daraus. Dieser Vergleich ist als Beschreibung des Zustands im Rettungsschirm-Europa absolut zutreffend, aber im Artikel ist noch einiges Weitere enthalten, was hier kurz beleuchtet werden soll.

Gunnar Beck, so erfährt man im Abspann des Artikels, „lehrt EU-Recht an der Universität London“, in der englischsprachigen Wikipedia kann man noch nachlesen, dass er in Düsseldorf geboren wurde, bis 1985 in Neuss zur Schule ging, in Deutschland und UK studierte, dann wohl in England hängen blieb, wo er jetzt als „German EU lawyer and legal philosopher“ an der Londoner Universität arbeitet.

Bevor die Polemik Becks gegen das Bundesverfassungsgericht und den Ntenbankpräsidenten Mario Draghi näher behandelt wird, möchte ich den fachlichen Inhalt des Beitrags noch einmal zusammenfassen.

EU bricht nationales Recht

Darin gibt Gunnar Beck wieder, was auch den kritischen Internet-Bloggern ziemlich klar, den durchschnittlichen Handelsblattlesern wohl immer noch nicht so recht bewusst ist: „Das Handeln der EZB in der Eurokrise steht in immer eklatanterem Widerspruch zu den gültigen EU-Verträgen. Eine herausragende rechtsbeugende Rolle nimmt dabei das deutsche Bundesverfassungsgericht ein“.

In einem Rechtsstaat binde das Recht nicht nur die Regierten, sondern auch die Regierenden – nicht nur den Bürger, sondern auch die Regierung. Seit 2010 breche die EU nun offen Unions- und nationales Recht.

Bei Gründung der Währungsunion mogelten sich sowohl Italien und Griechenland nur mit verdeckter Hand in den Euro, wobei die Gerüchte um die Rolle des gegenwärtigen EZB-Präsidenten und damaligen italienischen Staatssekretärs und Goldman-Sachs-Vizepräsidenten Mario Draghi beim Entwurf der Taschenspielertricks beider Länder nicht abreißen wollen. (…). Die Euro-Zone hat den Rechtsbruch durch die Politik hoffähig und zu einer schlechten politischen Angewohnheit werden lassen.“

Protest in Zypern / Screenshot aus einem Video im Text

Die „herausragende rechtsbeugende Rolle“ des deutschen Bundesverfassungsgerichts macht Gunnar Beck z. B. daran fest, dass das Verfassungsgericht in einem neueren Urteil von 2011 zur Ansicht kommt, die Ausgabe von Krediten und Garantien in Höhe von 170 Milliarden Euro an andere Euro-Staaten gefährde nicht die Budgetautonomie des Bundestages, auch wenn sie 60 Prozent des Bundeshaushalts von 2011 ausmachen würden. Beck begründet seine Auffassung mit dem Hinweis auf den Maastricht-Vertrag, in dem es ein vertraglich klar festgelegtes Verbot einer Haftung für fremde Schulden gebe.

Lasten der kommenden Generation

Im ESM-Urteil von 2012 fand Karlsruhe indes nichts rechtlich Bedenkliches daran, dass die Bundesrepublik „mit Zahlungsverpflichtungen und –garantieren von 194 Milliarden Euro, akkumulierten Target2-Krediten von 700 Milliarden Euro und möglichen Verlusten aus EZB-Anleihekäufen von Dutzenden, vielleicht weiteren Hunderten von Milliarden Euro“ sich Verpflichtungen auferlegt, die auch kommende Generationen in unglaublichem Ausmaß in die Pflicht nimmt. Denn:

„Im Grundsatz, so das Gericht, sei die Budgethoheit selbst bei unbegrenzten Zahlungsverpflichtungen nicht verwirkt, sofern das Parlament nur selbst einer Ausweitung des ESM zustimmte. Jeder, so hätte das Gericht auch im Klartext sagen können, darf sich selbst in Sklaverei begeben, ob freiwillig oder unter dem Zwang der Umstände, doch zum Glück sei damit ein Sklaverei-Verbot wie in der Europäischen Konvention nicht im mindesten in Frage gestellt.“

Das Bundesverfassungsgericht, so Beck, stehe aber nicht allein in seiner kreativen Art bei Abweisungsbegründungen der bisherigen Klagen gegen die europäische Rettungsschirmpolitik. So werde die Klage des irischen EU-Abgeordneten Pringle gegen den ESM-Rettungsschirm vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit der Begründung abgewiesen, die Nichtbeistandsklausel im Artikel 125 EUV (Vertrag über die EU) schließe keinesfalls finanzielle Unterstützung aus, sofern der unterstützte Staat nur weiterhin nominal für seine Verbindlichkeiten haftbar bleibe.

Abstruse Logik

Dabei heißt es in der Klausel wörtlich, dass „ein Mitgliedstaat nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats haftet und nicht für derartige Verbindlichkeiten eintritt“. Beck greift zu Recht diese abstruse Logik des Gerichts an, das Zahlungen an einen Pleitestaat und die Bürgschaft für diese Kredite künstlich trennt, um eine den Verträgen zuwider laufende Rettungspolitik durchzuwinken:

„Nur ein rechtliches Eintreten der Helfenden in die bestehenden Zahlungsverbindlichkeiten des Hilfesuchenden sei ausgeschlossen, nicht jedoch zwei formal getrennte Transaktionen, mit denen Helfer zum Teil Zahlungen aus einem Fonds finanzieren und zum Teil dafür rechtsverbindlich bürgen, die dann den Krisenstaaten erlauben, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Spitzfindiger und weniger glaubhaft kann juristische Argumentation nicht sein. Das Pringle-Urteil steht im flagranten Widerspruch zum natürlichen Sinn und Verständnis von Art. 125 EUV und zu jedem raisonablen Verständnis von Sinn und Zweck der Vorschrift.“

Fazit von Beck ist, dass die Probleme der Währungsunion und die in einigen Euro-Staaten offen zu Tage tretende Schuldenkrise dazu führe, dass das Recht der politischen Willkür weiche und es dementsprechend  zu politisch willfährigen richterlichen Entscheiden wider Text und Wortlaut der Gesetze komme. Im Grunde sagt uns Beck, dass in der EU die für einen Rechtsstaat fundamentale Trennung zwischen Exekutive und Judikative teilweise nicht mehr besteht. Beck spricht hier von einem effektiven „Zusammenbruch des Rechtsstaates in der Europäischen Union“.

EZB nicht mehr unahbhängig

Das spiele sich vor dem Hintergrund eines umfassenden Verfalls der politischen Kultur ab, denn die Krise des Rechtsstaats sei eben auch eine Krise der politischen Kultur und unserer politischen Institutionen. Das lässt sich bestens darstellen an der Machtfülle einer demokratisch nicht legitimierten Europäische Zentralbank, die sie unter ihrem Präsidenten Mario Draghi erreicht hat. Die Politik und die Gerichte lassen zu, dass sie inzwischen innerhalb der Euro-Zone entgegen den ihr vertraglich zugewiesenen Aufgaben Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibe:

„Die EU-Verträge machen der EZB zum Auftrag, den Wert des Geldes zu sichern – indessen enteignet sie Sparer durch künstlich niedrige Leitzinsen, die monetäre Druckerpresse und, wenn notwendig, durch zwangsweise Konfiszierung auch von Spareinlagen liquider Banken.“

Die Zeitung Il Messagero nach den Wahlen in Ialien zu Beginn des Jahres: Die Unregierbarkeit hat gewonnen

Beck nennt z. B. die Ankündigung, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Pleitestaaten der Euro-Zone zu kaufen; das sei ein offener Bruch gültiger EU-Verträge (z. B. des Vertrags über die Arbeitsweise der EU), denn der Artikel 123 VAEU untersage der EZB ausdrücklich den „unmittelbaren Erwerb“ von Staatsanleihen der Euro-Mitgliedsstaaten:

„Die EU-Ratsverordnung 3603/93 vom 13. Dezember 1993 verbietet zudem sämtliche Staatsanleihekäufe an den Sekundärkapitalmärkten mit dem Ziel oder möglichen Ergebnis einer von den Kapitalmarktbedingungen unabhängigen Staatsfinanzierung. Staatsanleihekäufe durch die EZB sind damit rechtlich kategorisch ausgeschlossen, sofern sie dem Zweck der Staatsfinanzierungen dienen oder auch nur dienen könnten; zulässig sind sie gemäß EU-Recht nur zu geldpolitischen Zwecken.“

Es handelt sich um keine Aktion zur Stützung der Geldwertstabilität, sondern es geht eindeutig um Fiskalpolitik, um einen Aufkauf von Schuldverschreibungen, der nur in Abhängigkeit von zu erfüllenden Bedingungen, z. B. von der Troika verordnete Sparprogramme, für die davon profitierenden Staaten durchgeführt wird. Würde es um die Stabilität des Geldwertes gehen, müsste die EZB bedingungslos eingreifen. Auch die Unabhängigkeit der EZB, die nicht etwa geldpolitisch verantwortungslos, sondern gemäß ihrer Statuten arbeiten soll, existiert nicht mehr:

„Auch in Zukunft will Draghi nur Anleihen der Staaten kaufen, denen der Kapitalmarkt zu hohe Zinsen abverlangt. Genau das aber ist die Definition monetärer Staatsfinanzierung, die laut Vertrag eindeutig verboten ist.“

Beck geht es vor allem um das Versagen von Gerichten und EZB. Hinzufügen kann man aber, dass die Politiker der Euro-Zone diese Vorgänge nicht angreifen, ist es doch genau das, was man zumindest im Süden der Euro-Zone von einer Zentralbank erwartet. Dass die Abgeordneten im Europäischen Parlament aufgrund ihrer eigenen Interessenlage die EZB hochleben lassen, ist auch noch verständlich, aber auch die Abgeordneten des Bundestages sehen keinen Grund, die EZB in ihrem Lauf, den Euro endgültig zur Euro-Lire umzugestalten, zu stoppen.

Missglückter Vergleich

Soweit die nachvollziehbare Kritik Becks an den Vorgängen in der Euro-Zone. Und so weit, so schlecht für die nord- und mitteleuropäischen Steuerzahler, möchte man sagen. Garniert sind seine Aussagen aber mit einigen Formulierungen und einem missglückten Vergleich, die kritisierbar sind. Neben der Ebene der Argumente und Begründungen in Becks Text gibt es eine Ebene der Polemik, die nicht immer glücklich ausformuliert ist. Bezeichnungen wie „Winkeladvokatur“ im Zusammenhang mit Mario Draghis Handlungen oder die Benennung Andreas Voßkuhles, des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, als „Kronjuristen“ sind dabei noch im Rahmen eines engagierten Textes, der Missstände anprangert.

Im Zusammenhang mit den Verfassungsgerichts-Urteilen zu den Klagen gegen die Euro-Rettungsschirme aber schreibt Beck:

„Verfassungsrecht in Deutschland verkommt, so lässt sich nur schließen, zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, denn im 2. Senat unter Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle hat die euro- und integrationstrunkene Bundesregierung ihren juristischen Handlungsgehilfen gefunden. Voßkuhle, so hätte auch Carl Schmitt schreiben können, ‚schützt‘ das Recht.“

Die Anspielung auf Clausewitz‘ Werk „Vom Kriege“ ist noch hinzunehmen, aber Voßkuhle in Bezug zur Hitler-Diktatur zu setzen, die rechtliche Begründung von Nazi-Terror ins Spiel zu bringen, ist  – bei aller Wut und Verbitterung über eine angreifbare zu lasche Kontrolle der Exekutive durch die Gerichte – doch einigermaßen hart.

Griechische Demonstranten verbrennen einen Hakenkreuz-Fahne neben einer Karikatur, die Kanzlerin Angela Merkel in Nazi-Uniform zeigt / Foto: GEOLITICO

Um das zu bewerten, muss man die geschichtlichen Vorgänge, die hier im Grunde  zitiert werden, kurz aufzeigen. Ende Juni/Anfang Juli 1934 entmachtete Hitler durch eine gnadenlose Säuberungsaktion innerhalb der NSDAP die SA, also den sozialistischen Flügel der NSDAP. Im sogenannten „Röhm-Putsch“ wurden ca. 200 Menschen ermordet, allen voran Ernst Röhm, der Stabschef der SA, die engere SA-Führung, aber auch NSDAP-Mitglieder wie Gregor Strasser, der eine andere Ausrichtung der NSDAP vertreten hatte.

„Der Führer schützt das Recht“

Die Mordaktionen beschränkten sich aber nicht auf Parteigenossen, erschossen wurden auch der frühere Reichskanzler Kurt von Schleicher mit seiner Frau und enge Mitarbeiter des amtierenden konservativen Vizekanzlers von Papen. Die NSDAP zeigte deutlich, wer in Deutschland künftig das Sagen hatte, ab jetzt war die Diktatur der NSDAP gefestigt.

Das Regime stellte diese Aktion als präventive Maßnahme gegen eine kurz bevorstehende Machtübernahme durch die radikalen Kräfte innerhalb der NSDAP dar. Genau diesen eigentlich offenkundigen Propaganda-Unsinn hat der führende Staatsrechtler der damaligen Zeit Carl Schmitt aufgegriffen und in einem verheerenden Artikel mit dem Titel „Der Führer schützt das Recht“ rechtlich legitimiert:

„Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.“

Am Schluss des Artikels schreibt Schmitt:

„Wer den gewaltigen Hintergrund unserer politischen Gesamtlage sieht, wird die Mahnungen und Warnungen des Führers verstehen und sich zu dem großen geistigen Kampfe rüsten, in dem wir unser gutes Recht zu wahren haben.“

So wie Schmitt die Juni-Morde von 1934 legitimierte, indem er jegliche Gewaltenteilung im „Führertum“ aufgehoben sieht, hat Schmitt allen weiteren Taten der Nazis seinen rechtlichen Segen gegeben. Aber sind diese Vorgänge in einer Diktatur wirklich vergleichbar mit der perforierten Gewaltenteilung, die wir heute bezüglich der Politik der Rettungsschirme im Euro-Zonen-Europa haben?

Verfall der Rechts- und Politikkultur

Den Verfall unserer Rechts- und Politikkultur zu konstatieren und Voßkuhle als „Handlungsgehilfen“ der Politik zu bezeichnen, der damit selbst Politik macht, statt sie zu kontrollieren, ist polemisch, aber diskutierbar. Voßkuhle in einen Bezug zum Dritten Reich zu bringen ist hingegen fragwürdig.

Gunnar Beck, soweit war ihm die Brisanz schon klar, macht hier allerdings einen sehr komplizierten Vergleich. Er setzt nicht Voßkuhle und den 2. Senat des Verfassungsgerichts, die die Rechtsbeugungen der Regierung und der EU-Kommission nicht stoppen, sondern sie als legal einstufen, mit dem Staatsrechtler des Dritten Reichs Carl Schmitt gleich, der in einer grenzenlosen Verirrung politische Morde juristisch abgesegnet hat. Denn dann wäre daraus sogar ein indirekter Vergleich der deutschen Regierung mit dem Hitler-Regime geworden.

Beck formuliert es so, dass Carl Schmitt über Voßkuhle hätte urteilen können, dass dieser über seine (und des 2. Senats) Rechtsprechung das Recht schütze. Er setzt damit Voßkuhle eher mit Hitler gleich, denn dessen Handlung wurde 1934 legitimiert, der hat ja in Schmitts Lesart mit seinen Aktionen das Recht angeblich geschützt. Abgesehen davon, dass auch eine Gleichsetzung eines Richters mit einem Diktator eher die unterste Schublade der Argumentation ist, ist es doch so, dass solche Feinheiten im alltäglichen Meinungskampf letztlich untergehen.

Mit der Bezugnahme auf die Hitler-Diktatur ist meines Erachtens ein Topf aufgemacht worden, den man lieber geschlossen halten sollte. Es zeigt sich immer wieder, dass die Versuchung, mit Vergleichen aus der Nazi-Zeit einen politischen Gegner endgültig matt zu setzen, manchmal zu groß ist und dann gegen jede Vernunft ein solcher Vergleich gezogen wird. Wäre Beck in Deutschland an einer Universität, hätte er mit so einem Vergleich wohl einen Riesenärger am Hals, um es noch milde auszudrücken. Ein Glück, dass man in England wohl noch eine andere Ansicht von der Meinungsfreiheit hat.

Ein Knecht der Regierung?

Einen weiteren Angriff gegen Voßkuhle fährt Beck über Äußerungen, die Voßkuhle im „angetrunkenen“ Zustand in England (mit Beck als Zeugen?) gemacht haben soll. Auch das ist grenzwertig, sollte es wahr sein, wäre es allerdings ein Armutszeugnis für den höchsten Richter des Staates, denn Beck unterstellt Voßkuhle quasi Sabotage durch Aussitzen bei den Klagen gegen die Rettungsschirmpolitik:

„Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle erklärte bereits im Oktober im Handelsblatt offen, aus ‚Zeitgründen‘ werde sich das Gericht noch monatelang nicht zu den EZB-Anleihen im noch ausstehenden Haupturteil zum ESM äußern können. Bei einem Studentenempfang an der Universität Oxford – womöglich einer der Gründe für den Zeitmangel des Gerichts – gab er sich in etwas angetrunken Zustande deutschen Studenten gegenüber entschieden indiskreter: er werde das Urteil solange hinauszögern, bis die EZB Fakten geschaffen habe oder aber, wenn sich das Urteil nach Ablauf von in etwas einem Jahre einfach nicht mehr länger hinauszögern lässt, werde er mit irgendeinem der vielen juristischen Scheinargumente, auf die das Gericht immer zurückgreifen könne, ein Verbot von Draghis Anleihenkäufen als offensichtliche Mandatsverletzung durch die EZB elegant umgehen.“

Wenn sich Voßkuhle wirklich so in England als richterlicher Knecht der Regierungspolitik geoutet hat, wäre das skandalös. Deshalb wäre es natürlich interessant, Genaueres über diese Äußerung zu erfahren. Ohne weitere Hintergrundinformation bleibt das Ganze aber pure Polemik und zusammen mit dem Carl-Schmitt-Vergleich macht es den eigentlich guten und profunden Artikel von Gunnar Beck für Anhänger der bisherigen Euro-Politik angreifbar. Viel zu leicht kann man nun auf den Nebenkriegsschauplatz der politischen Korrektheit ausweichen, um vom eigentlichen Problem abzulenken.

Seltsames Rechtsverständnis

Aggressiv, aber eigentlich eher etwas hilflos, wirkt z. B. auch die Sache mit Draghis Namen. In seinem Artikel verballhornt Gunnar Beck streckenweise Mario Draghis Namen zu „Draghi-avelli“. „Draghi-avelli“ wird in Anlehnung an den Namen des florentinischen Staatsphilosophen Machiavelli gebildet, dessen Name (etwas zu Unrecht) mit einer Politik der rücksichtlosen Machtausübung unter Nutzung jeglicher Mittel und losgelöst von jeder Ethik und Moral in Verbindung gebracht wird. Es soll hier nicht die Meinung vertreten werden, Mario Draghi habe ein Gewissen und würde von hehren Idealen geleitet, aber Gunnar Beck hätte es anders darbieten sollen als über die Verhunzung des Namens.

Das wenig segensreiche Wirken dieses ehemaligen Goldmann-Sachs-Mitarbeiters ist unübersehbar und wird geldpolitisch üble Auswirkungen haben. Das seltsame Rechtsverständnis von Richtern, die sich eher als Unterstützer, denn als Kontrolleure der Politiker sehen, ist ebenso offensichtlich. Den inhaltlichen Aussagen dieses Artikels von Gunnar Beck ist also in vollem Umfang zuzustimmen.

Polemik mit Wortspielchen, Andeutungen und missglückten Vergleichen entwertet aber gut begründete und kaum mehr zu entkräftende Kritik an dem politischen Geschehen im Europa der Rettungsschirme. Besonders der Nazi-Vergleich wäre nicht nötig gewesen, um die Gefahren für unsere Rechtsordnung durch die derzeitige Euro-Politik aufzuzeigen.

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