Lucke geißelt „Wortbruch bis hin zum politischen Betrug“

Die Alternative für Deutschland will die Demokratie neu erfinden. Und wenn die anderen ihr  Populismus vorwerfen, will sie dies als "Auszeichnung betrachten". Die Geburtsstunde einer neuen Partei.

 

Seit der Nationalversammlung 1848 in Frankfurter Paulskirche ist Politik in Deutschland entweder links oder rechts. Die Alternative für Deutschland, die sie sich zwar selbst in einer vergleichbar revolutionären Situation wähnt „wie eins im Vormärz“, will sich diesen gelernten Kategorien jedoch entziehen. Sie brauche keinen ideologischen Wegweiser, meint sei. Sie wolle die Partei der Vernunft sein, die „aus der Mitte der Gesellschaft“ komme. Oder um es mit den Worten ihres Vorsitzenden Bernd Lucke zu sagen: „Wir brauchen nur unseren gesunden Menschenverstand.“ Kaum ist dieser Satz ausgesprochen, erheben sich die 1500 zum Gründungskongress nach Berlin gereisten Mitglieder applaudierend von ihren Sitzen.

Die Alternative für Deutschland will alles neu, alles anders machen. Wer ihre Protagonisten reden hört, gewinnt den Eindruck, sie seien gar dabei, die Demokratie neu zu erfinden. So hoch sind die Ansprüche an sich selbst, an ihre Politik und die mit ihr verbundenen Ziele. Und dann müssen sie sich bereits bei der Wahl eines Tagespräsidiums und einer Wahlkommission eingestehen, dass auch das „Einmaleins“ eines Parteitages gelernt sein will. Mangelnde Erfahrung und Kenntnis sowie technische Probleme ziehen die Tagesordnungspunkte unnötig in die Länge.

Die Angst der CDU

Mittags ist dann Lucke endlich an der Reihe. Er ist in den vergangenen Monaten zum Star der AfD avanciert, er ist ihr Gesicht. Kaum jemand erinnert sich noch daran, dass der Hamburger Volkswirt als einer der Spitzenkandidaten zusammen mit den Freien Wählern bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar gerade mal 1,1 Prozent der Stimmen erhielt. Seit er jedoch von Talkshow zu Talkshow gereicht wird, können sich angeblich 24 Prozent der Wahlberechtigten vorstellen, für die neue Partei zu stimmen.

Vor allem in der CDU wächst seither die Furcht vor der Wahlalternative, da beide Parteien dasselbe Publikum ansprechen. Die Mehrzahl AfD-Mitglieder, die aus einer anderen Partei zu ihr wechselten, kommen aus der CDU. Bis heute sind es 627. Sie folgten Lucke, der 33 Jahre in der Union war, und dem CDU-Urgestein Alexander Gauland, heute stellvertretender AfD-Sprecher. Von der FDP kamen 386 Mitglieder zur AfD, 357 von der SPD, 136 von der CSU, 92 von den Piraten und 69 von den Grünen.

Unmittelbar vor dem AfD-Parteitag rief Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seine Partei dazu auf, die neue politische Kraft ernst zu nehmen. „Wir müssen uns das sorgfältig ansehen“, so Bouffier im „Spiegel“. „Ich kann nur jedem Wähler empfehlen, sich nicht aus Verärgerung über einiges, was ihm in Europa nicht passt, dem wievielten Versuch anzuschließen, eine neue Ein-Themen-Partei zu gründen.“

FDP und Grüne greifen an

Aber auch die Liberalen besorgt die Entwicklung. Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) nahm die Parteigründung zum Anlass für einen Appell zur Bewahrung des Euro. „Europa steht am Scheideweg“, so Genscher im „Focus“. „Diejenigen, die offen oder versteckt in Deutschland das Ende der Währungsunion betreiben, setzen das große Einigungswerk als Ganzes aufs Spiel.“ Zu Europa gebe es „keine verantwortbare Alternative“. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kündigte der AfD den Kampf an, und Grünen-Geschäftsführer Volker Beck forderte die neue Partei auf, ihr Verhältnis zum Rechtspopulismus zu klären. „Wer keine klare Grenze zieht, ist verantwortlich für das, was er anzieht“, sagte er.

Das Parteitagsplenum. Foto: Lachmann

Das Parteitagsplenum. Foto: Lachmann

Lucke hingegen wirft den etablierten Parteien unter dem donnernden Applaus der 1500 Mitglieder auf dem Gründungskongress im Berliner Hotel Interconti eine „erschreckende Degeneration des deutschen Parlamentarismus“ vor und beklagt, dass „fast alle Bundestagsabgeordneten zu meinungslosen und überforderten Erfüllungsgehilfen der Regierung verkommen sind“. Er fordert ein Einwanderungskonzept, das nur jene ins Land lasse, die „integrationsfähig und integrationswillig“ seien.

„Demokratie geht anders“

Schwerpunkt seiner Rede aber ist die Euro-Politik. Den ESM bezeichnet er als „institutionalisierten Rechtsbruch“. „Er soll genau das tun, was der Maastricht-Vertrag verbietet: Bankrotte Länder mit dem Geld deutscher und anderer europäischer Steuerzahler heraushauen.“ Die Bundesregierung habe der Enteignung zyprischer Kleinsparer zugestimmt, „obwohl europäisches und zyprisches Recht dies eindeutig verbieten“, und der Bundestag habe „jede noch so absurde Wendung der Europolitik stets gehorsam abgenickt“. „Wir reden hier über Wortbruch bis hin zum politischen Betrug“, sagt Lucke. Und: „Demokratie geht anders.“

Als Beispiel nennt er den früheren Kanzler und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt. Der sei einst ausgezogen, mehr Demokratie zu wagen. Seinem Beispiel solle die AfD folgen. Demokratie im Sinne Brandts sei auch die Solidarität mit dem griechischen Volk, bei dem kein Cent der Rettungsmilliarden aus Nordeuropa ankäme. Gerettet würden vielmehr amerikanische Hedgefonds, französische und deutsche Banken sowie britische Versicherungsgesellschaften. „Kämpfen wir mit den Griechen gegen diese Politik“, fordert Lucke. Donnernder Applaus.

„Dann scheitert Merkel“

Die da in zwei Sälen des Hotels Interconti sitzen, tragen mehrheitlich Anzug und Krawatte. Akribisch arbeiten sie mit spitzem Bleistift ihre Parteitagsunterlagen durch. Viele von ihnen haben bereits eine Stunde vor Beginn des Parteitags ihre Sitzplätze eingenommen. Was immer sie erwartet haben mögen, Bernd Lucke spricht ihnen ganz offensichtlich aus der Seele.

Der Euro sei ein politischer Fehler, ein Fehler, der aber noch korrigiert werde könne, sagt Lucke. Mit dem Euro zerfalle Europa in einen verarmenden Süden und einen wohlhabenden Norden. Diese Entwicklung schüre „alte antideutsche Ressentiments“. Deshalb müsse sich Europa vom Euro verabschieden. „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert nicht Europa, dann scheitert Angela Merkel“, konstatiert Lucke in Anlehnung an einen Satz der Kanzlerin.

Zu Beginn des Parteitages hatte Vorstandssprecher Konrad Adam ebenfalls eine düstere Bilanz der Europa-Politik der vergangenen Jahre gezogen. Europa stehe heute für „Enttäuschung, Empörung, und Entfremdung“, sagte er unter dem Applaus der Mitglieder. Die von der schwarz-gelben Bunderegierung maßgeblich mitbestimmte angebliche Rettungspolitik habe Europa diskreditiert. Mit dieser Politik seien die Werte der französischen Revolution, Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit „verkauft“ worden.

Dann kommt die Sprachpolizei

„In Griechenland herrscht bis auf weiteres nicht das Volk, sondern die Troika“, sagte er. „Also lauter Herren, die ihr Mandat gewiss nicht vom griechischen Volk bekommen haben.“ Er erinnerte an die Aussage des großen Liberalen Ralf Dahrendorf, dass es noch nie eine funktionierende Demokratie jenseits des Nationalstaates gegeben habe. „Aber darf man so etwas heute überhaupt noch sagen, oder kommt dann die Sprachpolizei“, so Adam.
Diese Sprachpolizei mute den Deutschen die Rente mit 67 zu, „damit andere drei Jahre früher in Renten gehen können“. Wer das kritisiere, werde sofort als „unsolidarisch“ gescholten.

Podium des Gründungsparteitags der Alternative für Deutschland. Foto: Lachmann

Podium des Gründungsparteitags der Alternative für Deutschland. Foto: Lachmann

„Wenn die Volksvertreter das Volk entmündigen, sollten wir nur selbstbewusst genug sein, den Vorwurf des Populismus als Auszeichnung zu betrachten“, rief er den begeisterten Mitgliedern zu. Und: „Wir haben mehr im Blick als nur eine Legislaturperiode, und deshalb haben die anderen Angst vor uns.“

Aber Adam sagt auch, die AfD müsse beweisen, dass sie das Vertrauen, um das sie bitte, auch verdiene. „Wir wollen den Wählern jene Alternative bieten, die ihnen die etablierten Parteien hartnäckig vorenthalten“, so Adam.

Nach den Reden beschließt der Parteitag das vom bisherigen Vorstand geschriebene Wahlprogramm. Die Abstimmung erfolgt ohne Aussprache. Kern des Programms ist die Forderung nach einer geordneten Auflösung des Euro-Währungsgebietes. „Deutschland braucht den Euro nicht“, heißt es. Die Wiedereinführung der D-Mark dürfe kein Tabu sein. „Jedes Volk muss demokratisch über seine Währung entscheiden dürfen.“ Den Beschluss zur Teilnahme an der Bundestagswahl begleiten die Mitglieder erneut mit minutenlangem Beifall. Zu den Wahlen zum Vorstand bewarben sich mehr als 100 Interessenten. Gewählt werden Bernd Lucke (953 Stimmen von 989 gültigen), Frauke Petry (799 Stimmen) und Konrad Adam (787 Stimmen).

Geschrieben für „Die Welt

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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