Europa bleibt der Brandherd ohne Feuerwehr

Italien, Spanien und Zypern sind politisch gelämt. Wirtschaftlich drohen sie in einem  Abwärtsstrudel zu versinken. Und der Kontrakt zwischen armen und reichen Ländern scheint endgültig zu brechen.

 

Die US-Notenbank beschäftigt in ihren Zweigstellen und in der Zentrale in Washington Tausende gut ausgebildeter Ökonomen und Analysten. Manches Mal erstaunen diese aber nach Wochen forensischer Recherche und intellektueller Pein durch enttäuschend profane Erkenntnisse, wie wir sie bereits im Physik-Unterricht der 9. Klasse erworben haben.

Beispiel: Die Fed in St. Louis hat auf ihrer Webseite jetzt ein Papier veröffentlicht, in dem die jüngsten Rezessionen in der westlichen Welt untersucht werden. Resultat: Je schneller das BIP-Wachstum vor der Krise, desto größer der Absturz danach. Wahrhaft wegweisend !

Vor diesem Hintergrund gibt uns die Warnung von Harvard-Ökonom Martin Feldstein zu Wochenbeginn sehr zu denken: Steigende Zinsen könnten die Finanzmärkte zum Einsturz bringen, sagt der einstmals führende Wirtschaftsberater von Ronald Reagan. Die super-niedrigen Renditen auf US-Staatsanleihen verfälschten die Preise vieler Finanzprodukte, so Feldstein.

Die realen Zinsen (nach Abzug der Inflation), die historisch bei über zwei Prozent gelegen hätten, seien jetzt negativ. Immerhin, gestern machte uns der Präsident der Atlanta-Fed, Dennis Lockhart, etwas Mut, dass die Notenbank vielleicht doch am Ende dieses Jahres beginnen könnte, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.

Derartige Beobachtungen lenken jedoch vom akutesten Brandherd ab. Und der bleibt Europa. Wir haben jetzt immer mehr Fälle, in denen die Schuldenkrise eine Regierungskrise auslöst.

Das jüngste Beispiel ist Zypern: Dort ist nach Insider-Vorwürfen gegen Präsident Anastasiades am Montag Finanzminister Michalis Sarris zurückgetreten. Der Schritt steht in Zusammenhang mit Untersuchungen zur Bankenkrise. Sarris hatte eine Führungsposition in der Laiki-Bank, die im Zuge der Restrukturierung des zyprischen Bankensektors abgewickelt wird. Der Erzbischof hatte Sarris den Rücktritt nahegelegt.

In Zypern scheint die Kirche als Gewissen für die Finanzwirtschaft noch Einfluss zu haben. In Rom wird der Vatikan von seiner eigenen Skandalbank so in Atem gehalten, dass man sich dort keine gewichtigen Kommentare zu den Finanz-Exzessen auf der Welt abringen kann.

Beispiel zwei, Italien: Dort nähert sich das Ende der Amtszeit von Präsident Napolitano. Im Parlament kann keine der drei großen Parteien/Bewegungen eine Koalition schmieden. Der von Napolitano ins Spiel gebrachte Rat der zehn Weisen ist schon vor der ersten Sitzung gescheitert. Denn Silvio Berlusconi und Beppe Grillo wollen ihn nicht.

Fazit: Parlament blockiert, Technokraten abgeschmettert, Präsident sprichwörtlich am Ende. Genau das, was wir jetzt brauchen.

Die wirtschaftliche Krise nimmt weiter ihren Lauf. Keiner tritt ihr entgegen. Es ist, als würde das Space Shuttle beim Wiedereintritt in die Atmosphäre trudeln, während Houston in den Bummelstreik eintritt. Leider haben wir im Italien-Szenario viel mehr Passagiere an Bord.

Und dann noch Spanien, wo Premier Rajoy wegen eines Bestechungs-Skandals taumelt und wegen der Schuldenkrise zunehmend unter Druck gerät. Rajoy verhandelt derzeit mit der EU über ein weniger striktes Defizit-Ziel für den Staatshaushalt. Außerdem soll er in den nächsten Tagen eine reduzierte BIP-Prognose für 2013 vorlegen.

Auch hier sieht das Szenario im Grunde so aus: Ökonomischer Abwärtsstrudel, politische Lähmung, deprimierte Wähler und eine Krise, die sich immer tiefer ins Gewebe der Gesellschaft frisst und diese schwächt, weit über ökonomische Aspekte hinaus.

Diese Stagflation der anderen Art – ökonomische Schwindsucht und politischer Stillstand – verstärkt ein großes Problem, das die Eurozone bereits am Hals hat, und auf das vor wenigen Tagen in einem Beitrag für das Project Syndicate der New Yorker Doom-Professor Nouriel Roubini aufmerksam machte: Es ist der Deal innerhalb Europas, bei dem die „reicheren“ Länder der Zone den Peripherieländern gegen schmerzhafte Sparpolitik weitere Kredite zur Verfügung stellen. Dieser Kontrakt droht nun völlig zu zerbrechen.

Zu dumm, dass dies zeitlich mit zwei weiteren brisanten Entwicklungen in führenden Wirtschaftszentren zusammen trifft: In China bleibt der Widerstand großer staatlicher Firmen und Teilen der KP gegen weitere Reformen enorm groß, während die Wachstumsraten sinken.

Und in den USA verhindert eine Ideologisierung der Parteien politische Kompromisse, die das Land vom Würgegriff eines fatalen Drei-Gestirns befreien könnten: Klaffende Einkommens- und Vermögensunterschiede, rapide Zunahme der Schulden und eine Machtergreifung großer Firmen. Bis letztere abgeschlossen ist, regieren entfesselte Geldhüter.

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Über Markus Gaertner

Markus Gaertner war über viele Jahre freier Wirtschafts-Korrespondent mit Sitz in Vancouver. Heute arbeitet er für den Kopp-Verlag. Weitere Artikel

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