Die Demokratie und ihre Werte stehen in Brüssel auf dem Spiel

Kaum sendet Arte einen erhellenden Beitrag über den Lobbyismus in Brüssel, erheben die Claqueure ihrer Drahtzieher Einspruch: Ausgerechnet Journalisten rechtfertigen den Angriff auf die Demokratie.

War es nicht schon zu erwarten, dass ‚die Gegenseite‘ gerade bei dem emotional besetzten Reiz-Thema ‚Lobbyismus in Brüssel‘ mit der journalistischen Keule versucht, die geschilderten Vorgänge in ‚Brussels Business‘ zu relativieren?

Hendrik Kafsack, FAZ-Korrespondent in Brüssel (Jahrgang 1972) präsentiert sich als Lobbyismus-Versteher und kritisiert:

„Die Arte-Doku „The Brussels Business“ macht es sich zu einfach. Sie beschränkt sich auf die Industrie-Lobby. Zudem sind die Regisseure eher auf der Suche nach Schuldigen als nach Wahrheiten.“

Drängt sich an der Stelle nicht die Frage auf, ob der Journalist bei seinem Studium der Wirtschaftspolitik die Lernkurve „demokratische Prozesse“ missverstanden und „one man – one vote“ mit „one Euro – one vote“ verwechselt hat?

Oder ging es ihm schlichtweg darum, sein persönliches Kuschel-Rittertum vor sich selbst zu rechtfertigen und deshalb als Claqueur der ‚Drahtzieher‘ die unfreiwilligen Tribut-Zahler, nämlich uns alle, mit seinem Kommentar zu düpieren?

Betrachtet man einzelne Lesermeinungen zu Kafsack’s Bewertungen, wird deutlich, dass es neben den Posaunenchören der ‚Clubs betreuter Denker‘ noch aufrechte Demokraten gibt, welche noch nicht vom Virus politischer Imbezillität befallen sind:

Zitat, Andreas Gehrmann – 12.02.2013, 19:11 Uhr:

„Nö! Das sehe ich ganz anders! Sie haben in Ihrem Beitrag vergessen zu erwähnen, dass es dem ERT um eine möglichst umfassende Deregulierung geht, sowohl des Arbeitsmarktes als auch der Einflussnahme GEWÄHLTER Politiker in den nationalen Parlamenten. Nur, diese Leute hat keiner gewählt, sie sitzen aber regelmäßig am Tisch der EU-Kommission. Die Privatisierung der Wasserwirtschaft ist der neueste Coup des ERT. Dass hier nicht die Interessen der Allgemeinheit im Vordergrund stehen, sondern die Interessen eines Wirtschaftskartells, dürfte jedem klar werden. Denn natürlich sind die Offiziellen dieses ,Clubs’ auch Vertreter der gesamten Industrie. Leider wurde nicht über die Bankenlobby berichtet, dafür aber über das – nicht so gewollte – verabschiedete Transparenzgesetz. Den Autoren jetzt zu bescheinigen, sie seien auf Verschwörung etc. aus, halte ich für oberflächlich. Zumal der Anlass ja war, dass sich Projekte des ERT 1:1 in den Planungen der Kommission wieder fanden! Siehe LobbyPlag!!!

Die Arte-Einleitung zur Doku „The Brussels Business“:

„In Brüssel sind rund 2.500 Lobby-Organisationen angesiedelt und bilden die zweitgrößte Lobby-Industrie der Welt; nur die in Washington DC ist größer. Rund 15.000 Lobbyisten scheuen weder Kosten noch Mühen, um die Kommission und die Parlamentarier intensiv über die Bedürfnisse der Interessenverbände zu informieren. Rund 80 Prozent der gesamten Gesetzgebung, die direkten Einfluss auf den Alltag der Europäischen Bürger hat, wird hier initiiert.“

„Die EU-Gesetzgebung ist kompliziert, sie durchläuft viele Stufen“, erklärt Olivier Hoedeman, Gründer von Corporate Europe Observatory. „Alles beginnt mit der Europäischen Kommission. Dort werden neue Anträge für Gesetze und Richtlinien entworfen, welche dann die Institutionen durchlaufen – das Parlament und den EU-Ministerrat. Vom Moment an, in dem die Europäische Kommission erste Schritte zu neuen Gesetzen und Richtlinien unternimmt, ist die Industrie vor Ort um sie zu beeinflussen.“

Die Bemühungen, den Lobbyismus in der EU zu regulieren, stießen zunächst auf wenig Resonanz. Dann geschah im Winter 2004/2005 etwas Unerwartetes: Siim Kallas, EU-Kommissar aus Estland, zuständig für Verwaltung, griff das Thema auf. Im Zuge der Europäischen Transparenzinitiative sollte der Lobbyismus in Brüssel streng reguliert werden – ein Pflichtregister, Auskunftspflicht, Offenlegung der Geldflüsse. Nach drei Jahren politischer Streitereien und Bemühungen stellte Siim Kallas schließlich im Sommer 2008 das Lobby-Register vor. Doch die Enttäuschung war groß: Das Lobby-Register war freiwillig – und damit zahnlos.

Im Oktober 2008, einen Monat nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise, ernannte Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine unabhängige hochrangige Gruppe zur Aufsicht der Finanzmärkte. Ihre Aufgabe ist die Regulierung dieser Märkte, um einen Weg aus der Krise zu finden. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Gruppe von acht „EU-Weisen“ als gar nicht so unabhängig: drei der acht Weisen sind direkt mit jenen US-Banken verbandelt, die die Krise ausgelöst haben. Der Kopf der Gruppe ist Vorsitzender einer großen Finanzlobby. Steht nach 20 Jahren Deregulierung und Liberalisierung die Europäische Union selbst plötzlich am Rande des Zusammenbruchs? Und steht nicht vielmehr die Demokratie selbst auf dem Spiel, und mit ihr jene Werte, die uns teuer sind?

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(Belgien, Österreich, 2011, 74mn) ZDF

Erstausstrahlungstermin:
Gestern, 20:17

weitere Ausstrahlungstermine:
Sonntag, 24. Februar 2013, 01:35
Dienstag, 5. März 2013, 09:45

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