EZB darf brisantes Dossier über Goldman Sachs verheimlichen

Wie verhalf Goldman Sachs den Griechen zum Euro? Die EZB darf alle Dokumente dazu unter Verschluss halten, urteilt das Gericht der Europäischen Union. Politiker stützen das Vorgehen, aber nicht alle.

Die Europäische Zentralbank (EZB) darf der Öffentlichkeit aufschlussreiche Papiere über die Entstehung und die Systematik der Finanz- und Schuldenkrise vorenthalten. Das besagt ein aktuelles Urteil des Gerichtes der Europäischen Union.

Unter anderem geht es um ein von Experten der EZB angefertigtes Dossier, das jenes Währungsgeschäft untersucht, mit dem die US-Bank Goldman Sachs dem griechischen Staat in den Jahren von 1998 bis 2001 den Eintritt in die Eurozone ermöglichte. Das Dossier könnte mögliche Manipulationen aufdecken. Ein zweites Dokument korrespondiert eng mit dieser Analyse.

Gut zwei Jahre lang klagte der Wirtschaftsdienst „Bloomberg Finance LP“ vor dem Gericht der Europäischen Union auf die Herausgabe der Papiere, weil deren Inhalt von großem öffentlichen Interesse sei. Obwohl grundsätzlich jedem Bürger der Europäischen Union das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank zusteht, unterlag Bloomberg. Mit dem Urteil vom 29. November 2012 wies das Gericht der Europäischen Union die Bloomberg-Klage ab. Die Zentralbank dürfe die Unterlagen auch weiterhin geheim halten, urteilten die Richter.

„Rückhaltlose Aufklärung“

Die Politik nahm von dem Urteil zunächst keine Notiz. Nachdem sie von uns darauf aufmerksam gemacht wurden, kritisieren Vertreter der Opposition und der CDU-Haushälter Klaus-Peter Willsch das Urteil des EU-Gerichts scharf. Willsch will das Thema gleich in der nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses ansprechen und einen Bericht der Bundesregierung einfordern. Die Regierung müsse sich „rückhaltlos“ für die Offenlegung der Dokumente einsetzen. „Interessant ist dabei auch die Frage, ob der heutige EZB-Präsident Draghi in seiner damaligen Funktion bei Goldmann Sachs an den Machenschaften beteiligt war“, sagt Willsch. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf zu erfahren, mit „welchen Tricks“ sich Griechenland den Zugang zum Euro-Währungsraum „erschlichen“ habe. „Gerade Deutschland als Hauptgläubiger der milliardenschweren Kredite und Bürgschaften an Griechenland muss auf vollständiger Aufklärung bestehen“, so der CDU-Politiker.

Mit dieser Ansicht liegt er allerdings quer zum stellvertretenden Unions-Fraktionschef und Finanzpolitiker Michael Meister und zum FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke. Beide befürworten indirekt die Geheimhaltung der möglicherweisen brisanten Dokumente. Meister sagt: „Ich respektiere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und die des Europäischen Gerichtshofs. Die EZB stellt im Rahmen ihres Mandats bereits weitreichende Transparenz her. Die Grenze liegt dort, wo ihr Auftrag gefährdet wird.“ Fricke mag sich öffentlich gar nicht dazu äußern.

Die Opposition tut dies dafür umso deutlicher. Da die EZB durch die Staatsfinanzierung und bei der Liquiditätssteuerung für die Banken längst ein zentraler Akteur in der Finanzkrise sei, müsse sie sich „erhöhten Anforderungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen unterwerfen“, fordert der SPD-Haushatspolitiker Carsten Schneider. „Dies gilt auch für alle Unterlagen im Zusammenhang mit Griechenland-Transaktionen, die zumindest den Parlamenten zugänglich sein müssen.“

„Täuschungsmanöver“

Aus den Reihen der Grünen spricht sich deren Finanzexperte Gerhard Schick für die Offenlegung der Dokumente aus. „Ich sehe ein großes öffentliches Interesse an Aufklärung der Vorwürfe“, sagt er. Das sieht auch Sarah Wagenknecht von der Linken: „Dieses Urteil ist ein schlechter Witz. Man kann doch keine Informationen von öffentlichem Interesse zurückhalten, nur weil man sich vor den Reaktionen der Finanzmärkte fürchtet“, sagt sie. „Mit einer solchen Begründung lässt sich die Herausgabe aller möglichen Informationen verweigern. Schlimmer noch: Mit derselben Logik lassen sich genau jene Täuschungsmanöver rechtfertigen, mit denen Goldman Sachs seinerzeit die Öffentlichkeit über das Ausmaß der griechischen Schuldenprobleme an der Nase herumgeführt hat.“

Auch sie fordert die Bundesregierung auf, sich „für eine Offenlegung sämtlicher Informationen über die „Titlos“-Transaktion zwischen Griechenland und Goldman Sachs einzusetzen“. Die Informationsfreiheit sei für die demokratische Meinungs- und Willensbildung unerlässlich.

Von den zwei Dokumenten, die Bloomberg einsehen wollte, trägt das erste den Titel „Die Auswirkungen von außerbörslichen Swaps auf das öffentliche Defizit und den öffentlichen Schuldenstand. Der Fall Griechenland“. Das zweite ist mit „Die Titlos- Transaktion und das etwaige Bestehen ähnlicher Transaktionen, die sich auf den Defizit- oder Schuldenstand der Länder der Eurozone auswirken“ überschrieben. Beide Papiere gehören zusammen und zeichnen nach, wie mit Geld neues Geld verdient wird und wie Finanzrisiken plötzlich zu „Sicherheiten“ werden, für welche die EZB Milliarden Euros ausgibt.

Dossier der EZB

Die Geschichte, die selbst hochrangigen EZB-Experten offenbar so fragwürdig erschien, dass sie eigens ein Dossier anfertigen ließen, beginnt im Jahr 1998. Damals wollte Griechenland  trotz drückender Schuldenprobleme in die Eurozone. In dieser Not sprang Goldman Sachs den Griechen bei. Im Februar 2010 rechtfertige die Bank ihre Intervention rückblickend so: „Die Stärke des US-Dollars und des Yen gegenüber dem Euro führte zu einer Verschlechterung der griechischen Verschuldungslage.“ Daraufhin habe Goldman mit Griechenland eine Reihe von Währungsgeschäften (Währungsswaps) abgeschlossen, um die griechischen Auslandsschulden in Euro umzuwandeln. Dem Vernehmen nach ging es um eine Summe von rund zehn Milliarden. Im Dezember 2000 und im Juni 2001 habe Griechenland die Swaps dann „zu einem historischen Wechselkurs restrukturiert“.

Ins Deutsche übersetzt heißt das: „Der von Goldman zugrunde gelegte Wechselkurs lag unter dem Marktpreis“, schrieb das „Handelsblatt“. „Anders als eine ganze Serie solcher Geschäfte von 1998 bis 2000 war dieser Swap so konstruiert, dass er einen versteckten Kredit enthielt, der Griechenland half, die Kriterien der Währungsunion einzuhalten.“ Auf diese Weise sei Athen in den Genuss einer Einmalzahlung gekommen, die einem Kredit von Goldman Sachs entsprochen habe. Später bezifferte die US-Bank den finanziellen Vorteil der Griechen auf 2,4 Milliarden Euro. Das Staatsdefizit sei um 0,14 Prozent gesenkt worden.

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. 2005 verkaufte Goldman den Griechen-Swap an die National Bank of Greece. Das ist eine Privatbank, auch wenn der Name etwas anderes suggeriert. Als dann im Jahr 2008 die Welt-Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte und die Banken sich untereinander kaum noch Geld liehen, kam Goldman Sachs wieder ins Spiel. Gemeinsam mit der National Bank of Greece fanden sie einen Weg, die Swap-Papiere in einen Vermögenswert umzuwandeln, den die EZB als Sicherheit für Kredite akzeptierte.

Fragwürdige Sicherheiten

Zu diesem Zweck gründete die Nationale Bank of Greece in London am 4. Februar 2009 die Briefkastenfirma „Titlos PLC“ und übertrug den Goldman-Swap auf „Titlos“. Damit war die Briefkastenfirma jetzt offizieller Geschäftspartner des griechischen Staates. „So konnten Zahlungsströme von Griechenland über Titlos fließen, und die Zweckgesellschaft war in der Lage, Verbriefungen zu emittieren, die dann bei der EZB als Sicherheit eingereicht werden sollten“, schrieb das „Wall Street Journal“. Nur 22 Tage nach der Gründung habe „Titlos“ bereits die bis zum Jahr 2039 laufenden Kreditverbriefungen im Rahmen einer Privatplatzierung auf den Markt gebracht. Gekauft hat sie keine andere Bank als wiederum die National Bank of Greece. Nun konnte sie die Verbriefungen bei der EZB als „Sicherheiten“ für harte Euros tauschen.

Titlos-Dokument vom Februar 2009

Titlos-Dokument vom Februar 2009

Soviel immerhin von der Geschichte ist bekannt. Was aber die EZB-Experten darüber hinaus zu diesen Transaktionen wissen und zu Papier brachten, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Denn das EU-Gericht schreibt in Artikel 45 seines Urteils, die EZB könne Dokumente der Öffentlichkeit auch dann vorenthalten, wenn ein „ überragendes öffentliches Interesse“ eine Offenlegung nahelege und damit quasi verlange. Damit befreit die EU-Justiz die EZB praktisch aller juristischen Kontrolle, da die EZB ohnedies ihre eigenen Transparenzregeln verabschiedet und dabei nur an allgemeine EU-Rahmenvorschriften gebunden ist. EZB-Praesident Draghi genießt überdies weitreichende Immunität.

„Bloomberg kann Berufung einlegen und das Urteil durch den EuGH, das EU-Gericht letzter Instanz, überprüfen lassen“, sagt Gunnar Beck, Experte für Europarecht an der University of London. Doch große Hoffnung solle sich der Wirtschaftsdienst dabei nicht machen. „Das Ergebnis wird sich nicht ändern. In Fällen, in denen die vitalen Interessen der EU betroffen sind, setzen sich die EU-Gerichte über den Wortlaut der Gesetze und den Geist von Rechtsstaatsprinzipien hinweg, genauso wie übrigens das Bundesverfassungsgericht“, sagt Beck.

Alles Zufall?

Wie der CDU-Abgeordnete Willsch drängt auch Beck auf einer Untersuchung der Rolle von EZB-Chef Mario Draghi, der von 2002 bis 2005 für Goldman Sachs arbeitete. „Die Öffentlichkeit muss wissen, wie Goldman Sachs Griechenland den Zugang zum Euro-Währungsraum ermöglichte. Über eine beratende Funktion Draghis dabei wird in London schon lange gemunkelt“, sagt Beck. In der Vergangenheit hatte die italienische Notenbank solche Verdächtigungen wiederholt zurückgewiesen: „Mario Draghi hatte nichts mit den fraglichen Geschäften zu tun.“

Titlos-Dokument vom Februar 2009 - Seite 1 in voller Größe mit dem Goldman-Sachs-Hinweis unten

Titlos-Dokument vom Februar 2009 – Seite 1 in voller Größe mit dem Goldman-Sachs-Hinweis unten

Beck geht auch mit der aktuellen Finanzpolitik der Zentralbank hart ins Gericht. Mit ihrer Politik des billigen Geldes und der Staatsanleihenkäufe vergemeinschafte die EZB die Schulden von Banken und Staaten. „Sie finanziert so die Profite des US-Banksystems, ohne die Not in Südeuropa zu lindern“, sagt Beck.

Es sei nicht nachvollziehbar, warum sich die Bundesregierung von Draghi „unter dem Vorwand der Solidarität mit Südeuropa“ für diese Umverteilungspolitik zu Lasten der Mittelschicht und der Bedürftigen haben einspannen lassen. „Noch heute tauscht sich Draghi regelmäßig mit Investmentbankern und ehemaligen Goldman Sachs Bankern in der sogenannten Group of 30 oder anderen Gremien aus“, sagt der Jurist. „Und sein Sohn arbeitet als Zinshändler bei Morgan Stanley. Das sind unerhörte Interessenskonflikte: Die völlig unerwartete EZB-Leitzzinssenkung Ende 2011 wurde von Morgan Stanley exakt vorhergesagt, Draghis Sohn Giacomo und seine Bank machten hunderte von Millionen Dollar Gewinn für den US-Finanzriesen. Die genauen Gewinne von Draghis Sohn kennt nicht einmal der englische Fiskus, da Großbanken ihren Angestellten Gehalt, Bonus und Gewinne bei Geschäften auf Eigenrechnung gemeinhin steuerfrei auf Überseekonten auszahlen.“ Auch Goldman Sachs, Mario Draghis früherer Arbeitgeber, habe bei richtigen „Wetten“ auf EZB-Entscheidungen wiederholt gewaltige Gewinne gemacht. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit all dieser ‚Zufälle‘?“, fragt Beck.

So weit wollte Bloomberg gar nicht gehen. Sie wollten nur die Griechenland-Dokumente einsehen. Und das war schon zu viel.

Geschrieben für „DIE WELT

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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