Der Albtraum rechter Gewalt kehrt nach Hoyerswerda zurück

Die Polizei bringt ein junges Paar vor Neonationalsozialisten an einem unbekannten Ort in Sicherheit. Ein "Aktionsforum" mit den Spitzen von Polizei und Verfassungsschutz lässt viele Fragen offen. Wie gefährlich ist die Stadt?

Manche Orte hat der real existierende Sozialismus wirklich schwer erwischt. Mausgrau liegen sie in der Landschaft, Platte reiht sich an Platte. Dazwischen ein Bestattungshaus und mittendrin ein Einkaufzentrum, das andere vor die Stadtgrenzen verbannen würden. Der legendäre Gerd Ruge hat in seinen ARD-Reportagen aus den Weiten Russlands viele solcher Orte gezeigt. Immer wirkten sie irreal.

Dabei gibt es sie wirklich, auch in Deutschland. Hoyerswerda ist so ein Ort: alt, trist, depressiv. Übrig geblieben aus dem Gestern und irgendwie verloren im Heute. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit bei 18 Prozent, also gut doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Da fällt es jungen Leuten schwer, Perspektiven für die Zukunft zu erkennen.

Aber die Menschen lassen es sich nicht anmerken. Wer nach Hoyerswerda kommt, erfährt so viel Herzlichkeit, Entgegenkommen, Freundlichkeit und eine Zufriedenheit, die so gar nicht zu dieser unwirtlichen Umgebung passen mag und schon gar nicht zu dem Ruch des Rechtsextremismus, in den diese Stadt jetzt wieder geraten ist. Das geschah praktisch über Nacht. Ronny und Monique, ein junges Paar, mussten von der Polizei aus Furcht vor Übergriffen von Rechtsradikalen an einen unbekannten Ort gebracht werden. Die beiden waren dafür bekannt, dass sie regelmäßig Aufkleber der rechten Szene in der Stadt entfernten. Damit hatten sie die Rechtsextremisten gegen sich aufgebracht.

Am Abend des 17. Oktober stürmten Neonazis in das Mehrparteienhaus in der Robert-Schumann-Straße, in dem die beiden wohnten. Sie drehten die Glühbirne im Hausflur heraus und traten brüllend gegen ihre Wohnungstür. Einer drohte der 33-jährigen Frau, er werde sie vergewaltigen. Wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Das Paar geriet in Panik, rief voller Angst die Polizei. Ein Streifenwagen mit zwei Beamten traf ein. Zwei Polizisten standen nun 17 oder 18 Neonazis gegenüber. Die Beamten bahnten sich den Weg in die Wohnung und riefen Verstärkung. Aber die Angst bei Ronny und Monique blieb. Zwei Stunden tobten sich die Neonazis vor dem Haus aus. Schließlich entschied die Polizei, die beiden zu verstecken.

„Es ist einfacher, zwei Personen von einem Ort an einen anderen, sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen beispielsweise zu bewachen“, sagte Wochen später Thomas Knaup, Sprecher Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien, in einem Beitrag des MDR-Fernsehens. Ein folgenschwerer Satz, denn er wurde als Kapitulation der Polizei vor den Rechten gewertet.

Spätestens jetzt war die Nacht des 17. Oktober auch ein Politikum und machte die bereits langsam verblassende Erinnerung an die Ereignisse von 1991 schlagartig wieder lebendig. Damals hatten gewaltbereite Rechte ein Wohnheim für Vertragsarbeiter und ein Flüchtlingswohnheim angegriffen. Bis zu 500 Bürger schauten zu. Es war ein Albtraum – und Hoyerswerda für Jahre stigmatisiert. Wie Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen wurde die Stadt zum Synonym für rechte Gewalt. Wie damals stehen auch heute Politik und Sicherheitsbehörden unter hohem öffentlichem Rechtfertigungsdruck. Sie sind mit Fragen wie diesen konfrontiert: Wie konnte es dazu kommen, dass unbescholtene Bürger unter Polizeischutz fluchtartig die Stadt verlassen müssen? Warum kann in Hoyerswerda niemand mehr für ihre Sicherheit garantieren?

Weil sie sich Antworten auf diese und andere Fragen erhoffen, kommen an diesem Mittwoch weit über 100 Bürger zu dem vom sächsischen Innenministerium organisierten „Aktionsforum“ ins Rathaus. Auch die Spitzen von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft sind angereist. „Ich bin gespannt, was die uns zu sagen haben“, sagt eine junge Frau im Publikum.

Viel ist es nicht, das stellen die Bürger bald fest. Neuigkeitswert haben bestenfalls die Informationen der Staatsanwaltschaft. „Wir ermitteln gegen elf Rechtsextremisten“, sagt der Görlitzer Oberstaatsanwalt Martin Uebele. Ihnen werde Bedrohung und Beleidigung vorgeworfen. „Möglicherweise kommt aber noch Hausfriedensbruch, schwerer Hausfriedensbruch oder gar Landfriedensbruch hinzu“, sagt er. Das hänge vom weiteren Verlauf der Ermittlungen ab. Optimistisch wirkt er jedoch nicht.

Der in die Kritik geratenen Polizei stellt Uebele ein glänzendes Zeugnis aus. „Die Polizei hat professionell gearbeitet“, sagt er. Noch in der Nacht habe sie Verdächtige vernommen, am Tag drauf Zeugen gehört. „Das würde sogar einem Kapitalverbrechen zur Ehre gereichen“, betont der Staatsanwalt. Stille. Falls er Applaus erwartet haben sollte, wird er enttäuscht.

Alle finden sie furchtbar, was in Hoyerswerda geschehen ist: vom Präsidenten des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, über den Präsidenten des Landeskriminalamtes, Jörg Michaelis, bis hin zum Landespolizeipräsidenten Rainer Kann. Alle sagen, der Vorfall sei ernst zu nehmen. „Wir haben es mit einer kleinen Gruppe von Neonationalsozialisten zu tun“, sagt Meyer-Plath. Es seien nicht viele, aber es seien halt die gefährlichsten, weil sie gewaltbereit seien. Michaelis hingegen sieht keine besondere Gewaltbereitschaft in Hoyerswerda. In diesem Jahr habe es noch kein Gewaltdelikt gegeben. „Vor zwei Jahren gab es einen Faustschlag“, sagt er. Im vergangenen Jahr seien es zwei kleinere Sachen gewesen.

Die Bürger sehen das anders. Eine Anwältin meldet sich und fragt, warum die Stadt sozial schwache Familien in wenigen Plattenbauten konzentriere und dort mehr oder weniger sich selbst überlasse. „Warum beseitigt die Stadt nicht die Aufkleber der rechten Szene und überlässt dies den Bürgern?“ Und ein Mann, der abends einer johlenden Horde rechtsextremistischer Jugendlicher auf der Straße begegnete, denen ein Polizeiauto langsam folgte, sagt: „Ich erlebe viel Angst bei diesem Thema in der Stadt.“

Es muss ihnen klar gewesen sein, dass solche Sätze kommen würden. Doch die Herren von der Sicherheit schauen einander nur fragend an. Endlich gibt sich Oberbürgermeister Stefan Skora einen Ruck. „Aus diesem Grund wollen wir dieses Aktionsforum künftig zweimal im Jahr veranstalten“, sagt der CDU-Politiker. Er und die Sicherheitsbehörden appellieren an die Kräfte der Zivilgesellschaft, die Polizei alleine könne das Problem nicht lösen. „Wir müssen etwas tun“, bekräftigt der katholische Pfarrer Peter-Paul Gregor. „Gebt mir doch mal 1000 Euro mehr für die Jugendarbeit.“

Irgendwie ruft hier jeder nach Hilfe, die auf dem Podium erwarten sie von den Bürgern, die ihrerseits in der Hoffnung auf Antworten gekommen sind. Und am Ende gehen sie alle gemeinsam, wie sie gekommen sind, ratlos zurück in eine Stadt, deren sozialistische Bauherren, wie Pfarrer Gregor sagt, nicht ahnten, dass der Mensch ein kulturelles Wesen ist.

Geschrieben für DIE WELT

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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