Wie die neoliberale Katrin Göring-Eckardt Herz-Jesu-Linke wurde

Heute kritisiert sie, dass der "herrschende Diskurs" die soziale Frage als "abhängige Variable der Ökonomie" definiert. Früher hat die Grüne Katrin Göring-Eckardt als Fraktionschefin die Hartz-Gesetze durch den Bundestag geprügelt.

Äußerlich ist sich Katrin Göring-Eckardt treu geblieben. Wenn sie das politische Parkett betritt, wählt sie immer wieder gern einen schwarzen Anzug. Anders als Jürgen Trittin, der seine Anzüge seit Wochen im Schrank lässt und lieber lässig im schwarzen Polo-Shirt für die Kameras posiert. Irgendwer muss ihm im Zusammenhang mit seiner Bewerbung für die Spitzenkandidatur der Grünen zu einem Imagewechsel geraten haben. Mit Erfolg, wie sich am Wochenende herausstellte.

Inhaltlich aber ist Katrin Göring-Eckardt kaum wiederzuerkennen. Inzwischen zeigt sie, die neben ihrer politischen Arbeit Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche ist, sich als überzeugte Herz-Jesu-Linke. Sie wolle die Wähler für eine „bessere Gesellschaft“ begeistern, sagt sie. Damit meint sie etwa eine menschlichere Flüchtlingspolitik, gesellschaftliche Teilhabe von Migranten und echte Gleichberechtigung für Homosexuelle.

Gemeinsam mit dem Sozialpolitiker Markus Kurth schrieb sie im Juni ein Papier gegen die vorherrschende Ökonomisierung von Politik und Gesellschaft. „Der herrschende Diskurs der vergangenen 10 bis 20 Jahre hat soziale Sicherung auf eine abhängige Variable der Ökonomie reduziert“, zitierte der „Spiegel“ daraus. Und als sie daran erinnert wird, dass sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit doch noch ganz anders gedacht habe, antwortet sie: „Ich war nie neoliberal, genau so wie ich bis heute nicht schwarz-grün bin. Das sind Zuschreibungen, die nichts mit meiner politischen Überzeugung zu tun haben.“

Gleichwohl gab es eine Zeit, in der das neoliberale Denken in Deutschland Konjunktur hatte. Damals ersann Gerhard Schröder seine Hartz-Reformen und Göring-Eckart war Fraktionsvorsitzende der Grünen. Wie in Schröders SPD, so gab es auch bei den Grünen erheblichen Widerstand gegen die von den Partei-Linken als zutiefst unsozial empfundenen Reformen. Anders als heute, teilte Göring-Eckardt die Kritik der Linken damals nicht.

Als Schröder die Hartz-Gesetze durch die rot-grüne Koalition prügelte, konnte er sich fest auf die Fraktionschefin des kleinen Koalitionspartners verlassen. Sie sorgte dafür, dass die Grünen-Kritiker auf Linie gebracht und die umstrittenen Reformen mit den Stimmen der Grünen beschlossen werden konnten. Sie selbst schwärmte von einem „Frühling der Erneuerung“. Die Agenda 2010 sei „mutig“ und „notwendig für das Gemeinwohl“.  Dass die Jobcenter den Hartz-IV-Empfängern künftig Leistungskürzungen androhen konnten, nannte sie ein „Bewegungsangebot“ an die Betroffenen. Trittin hatte damals übrigens wiederholt Korrekturen zu Gunsten der Betroffenen bei Schröder angemahnt: „Weitere Änderungen sind möglich.“

Nach der Wahlniederlage 2005 verlor Göring-Eckardt als Vertreterin des neoliberalen Kurses das Amt der Fraktionsvorsitzenden. Ein Jahr später entzog auch die Partei ihr das Vertrauen. Die Thüringerin scheiterte bei der Wahl in den Parteirat. Zum Trost bekam sie den Posten als Bundestagsvizepräsidentin. Ihre politische Karriere schien beendet.

Auch Trittin, bis dahin Umweltminister der rot-grünen Koalition, musste nach der Wahlniederlage zurückstecken. Er verschwand auf den hinteren Bänken der Fraktion. Aber mehr noch als Göring-Eckardt ließ er nie einen Zweifel daran aufkommen, dass er sich damit nicht abfinden würde. Langsam aber stetig kämpfte er sich wieder nach vorne.

Trittin und Göring-Eckardt stammen aus zwei völlig unterschiedlichen politischen Kulturen. Sie wuchs in der DDR auf, studierte evangelische Theologie in Leipzig, suchte 1989 den Kontakt zu Bürgerrechtlern und zählte zu den Gründungsmitgliedern von „Demokratie Jetzt“ und „Bündnis 90“.  Trittin studierte Sozialwissenschaften in Göttingen und hegte Sympathie für den Kommunismus. Er gehörte zunächst dem Kommunistischen Bund an und trat 1980 zu den Grünen über. Bis heute zählt Trittin zum linken Flügel der Grünen, während Göring-Eckardt den Realos zugerechnet wird.

Beide treten ganz unterschiedlich auf. Sie ist die Ruhige, Besonnene, er eher lauter und betont energisch. Durchsetzungsstark aber sind sie beide, das hat Göring-Eckardt nicht zuletzt in ihrer Zeit als Fraktionschefin bewiesen. Trittins größter Erfolg war der Bundestagsbeschluss zum Atomausstieg im Dezember 2001.

Nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten kündigten die beiden am Wochenende an, alle Kräfte müssten für das Ziel verwendet werden, die Regierung von Union und FDP abzulösen. Der 58 Jahre alte Trittin will im Wahlkampf die Energiewende thematisieren, seine 46 Jahre alte Mitstreiterin für soziale Gerechtigkeit eintreten. Gemeinsam streben sie einen „neuen Aufbruch für eine offene Gesellschaft“ an. Damit wollen sie Wahlergebnis aus dem Jahr 2009, als die Grünen mit 10,7 Prozent abschnitten, deutlich verbessern. „Wir trauen uns zu, kräftig zuzulegen. Sonst wären wir nicht angetreten“, sagte Göring-Eckardt. Trittin fügte hinzu: „Nur wenn wir das grüne Wahlergebnis von 2009 um einige Prozentpunkte steigern, wird die Regierung Merkel abgelöst.“ Eine schwarz-grüne Koalition mögen allerdings beide Kandidaten nicht ausschließen. Katrin Göring-Eckardt lässt Amt als Präses der Evangelischen Kirche bis zur Bundestagswahl ruhen.

Geschrieben für DIE WELT

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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