Regierung plant Gesetz für noch mehr Minijobs und Altersarmut

Neue Gesetzespläne der Regierung drohen den Niedriglohnsektor und damit die Altersarmut auszuweiten. Am Montag wollen Experten im Bundestag darüber beraten. Inzwischen arbeiten fast acht Millionen Deutsche als Minijobber. Die meisten von ihnen sind Frauen.

Die Bundesregierung plant vor dem Hintergrund der Finanzkrise und dem drohenden Wirtschaftseinbruch ein neues Minijob-Gesetz mit gravierenden Folgen. Es dürfte den Niedriglohnsektor zusätzlich ausweiten und die Gefahr der drohenden Altersarmut von Millionen Menschen weiter erhöhen. Dabei meldet das Statistische Bundesamt gerade heute, dass  die Zahl der Empfänger von Grundsicherung  einen neuen Höchststand erreicht hat. Rund 844.000 Bürger  waren im vergangenen Jahr auf Hilfe vom Staat angewiesen, weil ihre Rente nicht ausreicht oder sie dauerhaft nicht arbeiten können. Das ist ein Anstieg von 5,9 Prozent.

Doch davon lässt sich die Koalition aus Union und FDP nicht beeindrucken. Ihr Gesetzentwurf  wird am Montag im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales öffentlich beraten.[1] Als einzige Fraktion des Bundestages bringt die Linke einen Gegenantrag ein.[2]

Vordergründung geht es in dem Gesetz der Koalition darum, die Verdienstgrenze, bis zu der Arbeitnehmer von Steuern und Sozialabgaben befreit sind, für Minijobber von heute 400 auf 450 Euro anzuheben. In ihrem Gesetzentwurf begründet die Koalition diesen Schritt so:

Während die durchschnittlichen Löhne und Gehälter in den letzten 10 Jahren gestiegen sind, sind die Höchstgrenzen für geringfügig entlohnte Beschäftigung (sog. Minijobs) und Beschäftigung in der Gleitzone (sog. Midijobs) seit dem Jahr 2003 unverändert geblieben. Mit dem Gesetzentwurf sollen die Verdienstgrenzen für geringfügige Beschäftigung und Beschäftigung in der Gleitzone in Anlehnung an die allgemeine Lohnentwicklung angepasst werden.

Damit gesteht die Koalition den Betroffenen zwar 50 Euro monatlich mehr zu, doch das ist immer noch zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Für die Rente bringen diese 50 Euro gar nichts. Zwar sollen die Arbeitnehmer künftig generell pflichtversichert sein, sie können sich aber von dieser Versicherungspflicht befreien lassen, damit sie von den 50 Euro wenigstens heute etwas haben. Und selbst wenn die Arbeitnehmer von diesem geringen Einkommen Beiträge an die Rentenversicherung abführen, macht sie der Betrag, der im Alter herauskommt, immer noch zu Hartz-IV-Empfängern.

Emfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung / Quelle: Statistisches Bundesamt

Auf diese Weise höhlen Minijobs auch das Sozialversicherungssystem insgesamt aus. Wenn immer mehr reguläre Arbeitsverhältnisse durch Minijobs verdrängt werden, sinken die Einnahmen der Sozialversicherungen. Oder anders ausgedrückt, mit Minijobs schafft sich der Sozialstaat selbst ab.

Immerhin hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die gravierenden gesellschaftlichen Folgen der Regierungspläne bereits erkannt: „Es wird für Arbeitgeber noch attraktiver, Arbeitsplätze umzuwandeln und so reguläre Beschäftigung mit sozialer Sicherung und angemessener Bezahlung zu verdrängen“, schreibt der DGB in seiner Stellungnahme zum schwarz-gelben Gesetzentwurf.

Wie berechtigt die Sorge der Gewerkschafter ist, belegt die Entwicklung von 2003 bis heute. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der geringfügig Beschäftigten von 5,5 Millionen auf 7,4 Millionen im Dezember 2010. Neuer Zahlen gibt die Statistik nicht her. Von diesen 7,4 Millionen sind 4,9 Millionen ausschließliche Minijobs, alle anderen werden als Nebenbeschäftigung ausgeübt.

In ihrem Antrag schreibt die Linke vollkommen zu Recht:

Minijobs sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Mehr als 80 Prozent von ihnen werden unterhalb der Niedriglohngrenze entlohnt. Beschäftigte mit einem Minijob, offiziell geringfügig Beschäftigte genannt, sind völlig unzureichend sozial abgesichert. Sie entrichten keine eigenständigen Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme und erwerben auch keine nennenswerten Ansprüche.

Minijobs entstanden vor allem in den Branchen, in denen vornehmlich Frauen arbeiten, also im Einzelhandel und in der Gastronomie. Zwei von drei Minijobs werden von Frauen ausgeübt, schreibt die Linke. Diese Frauen aber können sich damit ihren Lebensunterhalt nicht sichern.

Übrigens ist es eine Legende, dass Minijobs die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sind. Nur ein Drittel der geringfügig Beschäftigten schafft den Sprung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. „Minijobs sind keine Zwischenbeschäftigung“, scheibt die Linke. „Sechs von zehn Minijobs dauern länger als ein Jahr, vier von zehn sogar länger als zwei Jahre.“

Gemeinsam fordern Linke und DGB eine Sozialversicherungspflicht vom ersten verdienten Euro an. Bis zu einem Verdienst von etwa 100 Euro sollten die Arbeitgeber den vollen Beitrag zur Sozialversicherung in Höhe von 42 Prozent tragen. Übersteige der Verdienst diese Grenze, sollten die Beschäftigten „schrittweise an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligt“ werden. Im Gegenzug müssten die Abgaben der Arbeitgeber sinken, empfiehlt die Linke. Ab einem Verdinest von 800 Euro sieht ihr Vorschlag eine paritätische Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor.

Unter den gegebenen Bedingungen sind Minijobber „Arbeitnehmer zweiter Klasse“. Sie haben nicht einmal Anspruch auf Krankengeld von der Krankenkasse. Die Politik der Bundesregierung ändert daran nichts, im Gegenteil. Geht es nach ihr, dürfte es in einer der nach wie vor reichsten Gesellschaften der Welt künftig vermutlich noch mehr Minijobber, sprich noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Altersarmut geben.

 

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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