Beschämende Ratlosigkeit in der Affäre um Ruderin Drygalla

Screenshot der Website "MUPINFO"

Von Beginn an kennzeichnete eine Fülle von Ungereimtheiten die Affäre um die Olympia-Teilnehmerin Nadja Drygalla. Dazu zählt etwa die Frage, warum ihre Beziehung zu einem früheren Rechtsextremisten erst während ihrer Teilnahme an den Wettkämpfen in London zum Thema wurde. Darüber streitet inzwischen die Politik. Nun ist es die erklärte Abkehr ihres Lebensgefährten Michael Fischer, die Rätsel aufgibt.

In einem dpa-Interview hatte Fischer gesagt, er sei kein Neonazi mehr. Und anders als gemeinhin dargestellt, habe er bereits vor den Olympischen Spielen keinen „großartigen Kontakt mehr zu Leuten, die damit zu tun hatten“. Außerdem habe seine rechtsextreme Einstellung die Beziehung zu der Ruderin belastet.

Kaum war das Interview veröffentlicht, wurde es in antifaschistischen Kreisen in Zweifel gezogen. Schließlich sei Fischer eine zentrale Figur der „Nationalen Sozialisten Rostocks“ gewesen. Noch am 30. Juni hatte er einen Beitrag auf der rechten Internetseite „MUPINFO“ veröffentlicht. Nun erschien auf der Seite ein Beitrag über den Ausstieg Michael Fischers aus der rechten Szene. Das Wort Ausstieg setzten die Autoren allerdings in Anführungszeichen. Warum? Ist er also doch nicht ausgestiegen? Sind seine öffentlichen Aussagen allein taktisch motiviert?

Der Inhalt des Textes könnte diesen Schluss nahelegen. Von ihm scheint das Signal auszugehen, Fischer gehöre – zumindest im Geiste – noch zu dazu. „Ein Kameradenschwein oder Verräter ist Fischer deshalb noch lange nicht. Vielmehr hat er vor der erdrückenden Übermacht des Gegners kapituliert, seine politische Aktivitäten eingestellt und sich ins Privatleben zurückgezogen. Das ist zwar traurig, aber sollte und muss dennoch respektiert werden“, heißt es dort.

An anderer Stelle schreiben die Autoren: „Fakt ist, dass der Rostocker bereits im Mai seine Mitgliedschaft bei der NPD gekündigt hatte. Schon zuvor soll es ernsthafte Spannungen im Privatleben gegeben haben und auch sonst war Fischer zuletzt kaum noch in nationalen Zusammenhängen aktiv. Bei den Nationalen Sozialisten Rostock spielt er keine Rolle mehr. Sein letzter Artikel über kriminelle Brandstiftung von Linksextremisten, der auf MUPINFO veröffentlicht wurde, stammt vom Juni.“

Allerdings ist eine schlussendliche Interpretation des Schreibens schwierig. Möglicherweise bezwecken die Autoren nämlich zweierlei: Einerseits wollen sie Fischer vor neuerlichen Angriffen in Schutz nehmen, andererseits wollen sie ihrem rechtsextremistischen Publikum gegenüber den Eindruck erwecken, Fischer nicht verloren zu haben. Ob er sich tatsächlich vom Rechtsextremismus abgewandt hat, bleibt so jedenfalls eines der ungelösten Rätsel dieser Affäre.

Ein weiteres ist die sportliche Förderung der Ruderin Drygalla. Wegen ihrer Beziehung zu Fischer musste sie im September 2011 aus der Sportförderung der Polizei ausscheiden. Nach Informationen der „Welt“ bekam sie daraufhin im Mai 2012 einen positiven Bescheid vom Kreiswehrersatzamt Schwerin. Mit diesem sogenannten Heranziehungsbescheid hätte sie zum 1. September 2012 in die 750 Plätze umfassende Sportfördergruppe der Bundeswehr einrücken können, denn am 17. Juli 2012 war sie sogar schon als tauglich gemustert worden. Was steckt dahinter?

Eine Nachfrage beim Deutsche Olympischen Sportbund (DOSB) bringt wenig Klarheit. „Wir, vor allem der Ruderverband, setzten uns mit Frau Drygalla nach den Olympischen Spielen zusammen und besprechen in aller Ruhe, wie es sportlich mit ihr weitergeht“, mehr mag DOSB-Sprecher Christian Klaue gegenüber der „Welt“ zu der Affäre nicht sagen, die nun die Landespolitiker und Bundespolitiker gegeneinander aufbringt.

So kritisiert Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering das Bundesinnenministerium und den Deutschen Ruderverband für deren Umgang mit der Ruderin. Seiner Ansicht nach hätte der Ruderverband hinter der Sportlerin stehen müssen. „Dann kann man sie nicht aus London nach Hause schicken und diesem Mediensturm überlassen, sondern dann muss man auch sagen: Nach unserer Auffassung ist ihr nichts vorzuwerfen“, sagt der SPD-Politiker. Er habe zudem vom Bundesinnenministerium gehört, „dass sie den Fall Drygalla für so schlimm halten, dass sie sich ihn in seiner Extremheit gar nicht vorstellen konnten“. Das sei eine völlig überzogene Wertung.

Drygalla sei nur mit einem früheren NPD-Mann liiert. „Weitere Erkenntnisse, dass sie persönlich dieses Gedankengut vertritt, gibt es nicht“, sagt Sellering. Ihre Nominierung für die Spiele in London sei daher gerechtfertigt gewesen. Für die Zukunft sei es allerdings sinnvoll, eindeutige Regeln aufzustellen, wann ein Athlet nicht zu Olympischen Spielen geschickt werden dürfe. Sport und Politik müssten die Nominierungsvoraussetzungen gemeinsam festlegen und zudem regeln, welche Verbände oder Behörden sich gegenseitig auf rechtsstaatlicher Grundlage über die Sportler informieren dürften. Es dürften nicht hinter dem Rücken „irgendwelche Mutmaßungen“ ausgetauscht werden.

Auch im Bundesinnenministerium hat die Affäre Spuren hinterlassen. Dort gewinnen ältere Pläne für eine Überarbeitung der Förderrichtlinien für Spitzensportverbände neue Aktualität. Erneut geprüft wird auch die bereits im vergangen Jahr erwogene Einführung eines „Demokratiebekenntnisses“. Doch dieser Vorstoß stößt auf Bedenken.

Ablehnend äußerte sich auch der DOSB. Für den DOSB und seine Mitgliedsverbände sei das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung eine pure Selbstverständlichkeit, sagt Generaldirektor Michael Vesper. Dies sei „auch in unseren Satzungen niedergelegt“. Der Sportbund wisse seit Monaten von den Plänen des Bundesinnenministeriums. „Wir setzen uns als größte Personenvereinigung unseres Landes, die in der Mitte der Gesellschaft fest verankert ist, mit vielfältigen Programmen gegen Extremismus ein“, so Vesper.

„Für mich ist ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch jeden deutschen Spitzensportler selbstverständlich. Die Aufnahme einer solchen Klausel in die Förderrichtlinien halte ich daher für überflüssig“, sagt CSU-Innenexperte Stephan Meyer der „Welt“. Auch der SPD-Innenexperte Michael Hartmann lehnt ein Demokratiebekenntnis für staatlich geförderte Sportler ab. „Das ist ein hilfloser Versuch, dem Phänomen Rechtsextremismus Herr zu werden“, sagt er der „Welt“. „Denn das ist eine Einladung zur Heuchelei bei all denen, die davon betroffen sein könnten.“ Ein Extremismus-Test wäre unsinnig und nicht praktikabel. In der Affäre habe er vor allem Fragen an den Deutschen Ruderverband, der Nadja Drygalla für die Teilnahme an den Olympischen Spielen vorgeschlagen hatte. „Wenn ihre Beziehung zu einem ehemaligen Neonazi bekannt war, dann hätte Frau Drygalla nicht für die deutsche Olympiamannschaft aufgestellt werden dürfen“, sagt Hartmann. Er bezweifle, dass im Verband bei der „Haltung und Herangehensweise“ alles stimme: „Im Verband scheint es eine Unkultur zu geben, ein Auge zuzudrücken und zu meinen: Das ist alles halb so schlimm.“ Hartmann ist auch Präsident des Deutschen Baseball- und Softballverbandes.

Trotz der öffentlichen Debatte plant Drygalla offenbar bereits die Fortsetzung ihrer sportlichen Karriere. „Sie sucht den Kontakt zum Deutschen Ruderverband“, sagt der Sportrechtler Rainer Cherkeh, der die Ruderin seit ihrer Rückkehr aus London vertritt. Sie wolle sportlich und beruflich dort anknüpfen, wo sie aufgehört habe.

Veröffentlicht am 8. August 2012 in Die Welt

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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