„Wir werden einen unvorstellbar hohen Preis zahlen“

Hier geht`s zur Sendung Anne Will mit Richard SulikDer slowakische Politiker Richard Sulik ist bekannt dafür, dass er Klartext spricht. Als er jetzt zu einer Euro-Krisen-Konferenz nach Berlin kam, brachte mich Jens Blecker von ik-News mit ihm zusammen. Dafür nochmals vielen Dank! Aus der Begegnung entstand folgendes Interview:

Herr Sulik, Sie galten als „Shootingstar“ der slowakischen Politik, gründeten 2009 die liberale Partei „Freiheit und Solidarität“ und zogen auf Anhieb mit über zwölf Prozent ins Parlament ein. Sie selbst wurden Parlamentspräsident. Dann stimmte ihre Partei im vergangenen Jahr gegen die Aufstockung des Euro-Rettungsschirms und löste eine Regierungskrise aus. Würden Sie es noch einmal so machen?

Richard Sulik: Aber sicher! Die EU-Politik zur Lösung der europäischen Finanzkrise war falsch und ist falsch.

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im März sind Sie für Ihre Haltung von den slowakischen Wählern abgestraft worden. Ihr Stimmenanteil schrumpfte auf die Hälfte zusammen. Sie glauben nicht, dass Sie in der EU-Politik etwas falsch gemacht haben?

Sulik: In der EU Politik selbst nicht, aber vielleicht haben wir nicht deutlich genug gemacht, warum die Euro-Politik falsch ist und verheerende Folgen haben wird. Wir erleben in ganz Europa einen Linksruck. Überall siegen die Sozialisten, nicht nur bei uns, auch in Griechenland und Frankreich. Das ist eine fatale Entwicklung, denn die Linken werden alles nur noch schlimmer machen.

Was ist denn falsch an der von Bundeskanzlerin Angela Merkel koordinierten Krisenpolitik?

Sulik: Ganz einfach: Mit einem Ventilator kann man kein Feuer löschen. Aber genau das wird versucht. Was ich sagen will, ist: Mit neuen Schulden können Sie die Schuldenkrise nicht bewältigen.  Und wenn Sie sich die aktuelle Entwicklung anschauen, werden Sie feststellen: Die Schulden wachsen täglich.

In welchem Stadium der Krise befinden wir uns denn gerade?

Sulik: Das ist schwer zu sagen. Ich kann mich erinnern, dass die Slowaken 1949 gesagt haben: So wie die Kommunisten wirtschaften, wird das maximal noch fünf Jahre  dauern, bis alles zusammenbricht. Es hat dann aber doch 40 Jahre gedauert. Ich wage keine Prognose, wie lange die Krise noch andauern könnte. Aber ich bin sicher, dass die Krise mit den bisherigen Mitteln nicht zu lösen ist. Sie wird sich nur noch weiter hinauszögern und verschlimmern.

Wodurch?

Sulik: Etwa, indem die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Bilanz durch den Kauf von Staatsanleihen immer weiter aufbläst. Aber ich kann nicht sagen, ob das ein, zwei oder zehn Jahre zu machen ist. Ich weiß es schlicht nicht.

Zum Jahreswechsel hat die EZB die Finanzmärkte mit Milliarden Euros geflutet. Es war ein Versuch, die Lage zu stabilisieren. Warum kommt das Geld eigentlich nicht im Wirtschaftskreislauf an?

Sulik: Das Geld ging vornehmlich an die Banken der  Südländer. Spanische und italienische Banken bekamen zusammen 500 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, wie viel Geld Griechenland und Portugal bekamen. Jedenfalls haben die Banken der Südländer damit ihre Schulden, die sie bei den Banken der Nordländer hatten, zurückgezahlt. Das heißt, die EZB hat die Banken der Nordländer von der Haftung für Schulden der Banken der Südländer befreit und diese dem Steuerzahler übertragen. Somit haben die Banken der Nordländer jetzt viel Geld, das sie wiederum bei den Zentralbanken bunkern.

Trotz dieser Milliardenflut am Jahresanfang droht spanischen Banken nun der Kollaps. Es gibt Pläne, wonach diesmal nicht die EZB, sondern der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) die Banken retten soll, obwohl der ESM eigentlich zur Rettung von in Not geratenen Staaten geplant war. Was halten Sie davon?

Sulik: Gar nichts. Das ist wieder die bekannte Salami-Methode. Erst sagt man der EFSF ist befristet, dann sagt man, er wird dauerhaft eingerichtet. Erst sagt man, der ESM rettet keine Banken, nur Staaten. Jetzt soll er doch Banken retten. Ich sage: Die Banken sollten bankrottgehen. Wenn eine Bank den Bankrott erklärt, dann löst sie sich doch nicht in Luft auf, sondern wird von einem Insolvenzverwalter liquidiert. Der Zahlungsverkehr bleibt bestehen, der Staat kann die Einlagen der Bevölkerung bis zur einer gewissen Höhe garantieren. Die Kredite werden weiter von den Unternehmen bedient, und neue Kredite werden von einer Bank vergeben, die nicht bankrottgegangen ist.

Aber auch das hätte schwerwiegende Folgen…

Sulik: …es wäre aber gerechter, als die Gewinne zu privatisieren und die Schulden der Allgemeinheit aufzuhalsen. Es scheint die Lieblingsbeschäftigung der europäischen Politiker zu sein, das Geld der Steuerzahler auszugeben.

Sie sind auch Politiker…

Sulik: …Ich bin seit zwei Jahren in der Politik, nicht seit zwanzig Jahren. Davor war ich jemand, der mit seinem Geld wirtschaften musste, sonst wäre ich selbst bankrottgegangen. Ich hatte ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern, das ich dann verkauft habe. Als Unternehmer glaube ich gut beurteilen zu können, wie unverantwortlich Politiker mit dem ihnen vom Steuerzahler anvertrauten Geld umgehen.

Wie beurteilen Sie die Lage in Spanien?

Sulik: Spanien hat gleich nach den USA die höchsten Auslandsschulden der Welt, nämlich 1000 Milliarden Euro. Das ist eine unvorstellbare Summe. Hinzu kommt eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Mit dem Euro hat Spanien keine Chance, da wieder rauszukommen.

Spanien sollte die Eurozone verlassen?

Sulik: Ich fürchte, Spanien wird nichts anderes übrig bleiben. Wenn Spanien aus der Eurozone austritt und die neue Währung abwertet, dann ist der Spanienurlaub plötzlich billiger als der Urlaub in der Türkei, die Tomaten und der Wein werden billiger.  Das Gras hört nicht auf zu wachsen, wenn der Euro nicht mehr da ist. Im Gegenteil. Mir ist bis heute ein Rätsel, warum Frau Merkel, Herr Sarkozy und der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Herr Trichet, so dogmatisch drauf bestanden haben, dass Griechenland nicht aus der Eurozone austritt. Wäre Griechenland ausgetreten, stünde es heute besser da. So ist alles viel schlimmer geworden.

Zerfällt die Eurozone?

Sulik:  Das ist nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist, dass das Risiko für den Steuerzahler mit jedem Tag steigt, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Schuldenstände werden immer größer. Niemand weiß, was bei einer Grenze X passiert. Sicher ist nur, dass  die Steuerzahler am Ende einen unvorstellbar hohen Preis zahlen werden .

Was bedeutet die Krise für Osteuropa?

Sulik: Schulden, nichts als Schulden. Die Slowakei wird ihre Schulden verdoppeln. Mein Land hat die niedrigsten Gehälter in der Eurozone, wir haben zwischen den zwei größten Städten bis heute keine durchgehende Autobahn, unser Bildungssystem und das Gesundheitswesen sind unterfinanziert. Trotzdem müssen wir jetzt die Großzügigen spielen und Geld nach Griechenland überweisen, damit die Griechen ihre Rente, die dreimal höher ist als die der Slowaken, weiterzahlen können. Das ist einfach nur verrückt.

Handelt Angela Merkel, die an der Spitze der Krisenpolitik steht, also unverantwortlich?

Sulik: In der Krise handelt sie den Steuerzahlern gegenüber nicht verantwortungsbewusst. Sie hätte zeigen können, dass sie eine zweite Maggie Thatcher ist. Aber sie hat es nicht getan. Anders als Thatcher hat sie den Forderungen nach Finanzhilfen immer wieder nachgegeben. Sie hätte nie dem ESM zustimmen dürfen, denn im Oktober 2010 hat sie klipp und klar gesagt: Es wird keinen dauerhaften Rettungsschirm geben. Mich überrascht schon, wie leichtfertig sie mit ihrem Wort umgeht.

Was halten Sie vom Fiskalpakt?

Sulik: Zuallererst einmal ist er ein Papiertiger. Es ist doch illusorisch zu denken, dass irgendwer die darin enthaltenen Regeln einhält, wenn schon vorher die weicheren Regeln des Maastricht-Vertrages nicht eingehalten wurden und auch heute noch nicht eingehalten werden. Deswegen wird der Fiskalpakt nicht mehr Verantwortung bringen, sondern mehr Zentralisierung.

Warum?

Sulik: Es gib darin nämlich einen Artikel elf, der besagt, dass ein Land, das wirtschaftliche Reformen durchführen will, diese mit der Kommission in Brüssel abstimmen muss. Unterm Strich heißt das, das Land darf nicht mehr souverän über diese Reformen entscheiden. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Die Slowakei hat 2004 den Einheitssteuersatz von 19 Prozent eingeführt. So etwas wird künftig nur noch mit Erlaubnis der Kommission möglich sein. Davon bin ich fest überzeugt.

Sie fürchten den Verlust von Souveränitätsrechten der Nationalstaaten?

Sulik: Ja, ich glaube, dass die Nationalstaaten sukzessive immer mehr Rechte abgeben. Das ist die Zentralisierung.

Wer betreibt das und warum?

Sulik: Das ist eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann. Wissen Sie, als ich in die Politik ging, musste ich lernen, dass es Gesetze aus Brüssel gibt, die das slowakische Parlament nicht ablehnen kann. Würde es die Gesetze ablehnen, könnte es zu Strafverfahren kommen. Inzwischen werden bereits 70 Prozent der slowakischen Legislative aus Brüssel beeinflusst.  Und ich sage voraus, es wird der Tag kommen, an dem die Parlamente sich gar nicht mehr damit befassen, und die Regierungen werden die Gesetze einfach so übernehmen.

Was schlagen Sie vor?

Sulik: Wir sollten die Bürger fragen, ob sie das wollen. Die Menschen selbst sollten entscheiden, in einer Volksabstimmung. Das ist Sinn und Zweck der Demokratie. Diesen Mut sollte die Politik schon aufbringen.

Braucht Europa ihrer Meinung nach die von Angela Merkel und Nicholas Sarkozy initiierte Wirtschaftsregierung?

Sulik: Nein. Wirtschaftspolitik ist Sache der Nationalstaaten. Europa sollte sich auf seine Grundfreiheiten besinnen: freier Verkehr von Kapital, Waren, Diensleistungen und Personen.

Den Fiskalpakt haben Sie bereits abgelehnt, braucht Europa einen ESM?

Sulik: Den braucht es genauso wenig.

Was ist mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik?

Sulik: Eine gemeinsame Außenpolitik wäre gut. Leider ist von Lady Ashton nichts zu hören und zu sehen, obwohl sie doch 4500 Beamte und Diplomaten unter sich hat. Vielleicht liegt es daran, dass die vier oder fünf Monate Urlaub im Jahr haben. Zur Sicherheitspolitik: Ich könnte mir durchaus eine europäische Armee vorstellen. Aber da passiert eigenartigerweise gar nichts.

Günther Lachmann am 15. Mai 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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