Über Spanien zieht die Euro-Dämmerung herauf

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Spanier protestieren gegen die Arbeitsmarktreformen der Regierung

Irgendwie scheint das alles nicht zueinander passen. In der Öffentlichkeit mimen Italiens Premierminister Mario Monti und der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die Optimisten. „Europa ist durch eine schwere Krise gegangen“, sagt Monti. „Ich glaube aber, jetzt ist die Krise fast überstanden.“ Draghi: „Das Schlimmste ist vorüber.“  Hinter verschlossenen Türen aber drängen sie mit aller Härte auf weitere Milliarden schwere Hilfspakete.

Ein anderes Spiel spielt die Bundesregierung. Wochenlang versichert Kanzlerin Angela Merkel, der Rettungsschirm werde nicht erhöht. Seit dem Wochenende ist klar, Deutschland wird einer weiteren Milliarden schweren Erhöhung doch zustimmen. Das heißt, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) mit einem Volumen von 440 Milliarden Euro wird nun nicht vom 500 Milliarden Euro schweren europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst, sondern beide Einrichtungen bleiben für eine „Übergangsfrist operativ erhalten“. „Das ist eine signifikante Erhöhung des Haftungsrisikos des deutschen Steuerzahlers“, stellt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, fest. Niemand kann das ernsthaft bestreiten.

Der Steuerzahler haftet

Aber warum soll der Steuerzahler für noch mehr Milliarden haften, wenn doch, wie Monti und Draghi behaupten, alles auf einem guten Weg ist? Oder anders gesagt: Wie kann jemand die Krise für beendet erklären und zugleich aus Furcht vor einem Flächenbrand eine Erhöhung des Rettungsschirms fordern? Wer das macht, der muss seine Zuhörer für ziemlich dumm halten oder aber selbst nicht mehr Herr seiner Sinne sein.

Die Wahrheit ist, von einem Ende der Krise kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie tritt vielmehr in eine neue Phase.

Gerade erst hat das Portugiesische Amt für Statistik einige Zahlen veröffentlicht, die zwar die jüngste Vergangenheit beleuchten, aber durchaus Rückschlüsse auf die weitere Zukunft zulassen. Danach sank das portugiesische Bruttoinlandsprodukt im 4. Quartal 2011 um 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Der private Konsum schrumpfte um 6,6 Prozent, die realen Staatsausgaben sanken um 5,7 Prozent,  und die realen Bruttoinvestitionen schrumpften gar um 24,3 Prozent.

Die Regierung in Lissabon spart, das heißt, sie greift ihren Bürgern so tief in die Tasche, dass kaum noch etwas zum Konsumieren übrig bleibt. Inzwischen sind 15 Prozent der Bevölkerung ohne Arbeit. Den Betroffenen fehlt jede Perspektive, denn auch der europäische Arbeitsmarkt hat keine Jobs für sie. Ihre einzige Hoffnung ist die frühere afrikanische Kolonie Angola! Dorthin gehen die gut ausgebildeten Ingenieure und Techniker. Sie werden von der Regierung sogar dazu ermuntert.

„Die Bombe liegt in Spanien“

Auf diese Weise wird das Land nicht nur finanziell zur Ader gelassen, sondern es verliert auch noch sein Know-how, das für die Entwicklung neuer, wettbewerbsfähiger Produkte dringend notwendig wäre.

Und dennoch ist Portugal nicht einmal das größte Sorgenkind der Euro-Länder. „Die wahre Bombe liegt in Spanien“, schreibt der „Tagesanzeiger“, also in einem Land, das über viele Jahre hinweg durch eine vorbildliche Haushaltsführung glänzte und dessen Wirtschaft boomte. „Zwischen 1999 und 2007 betrug das Haushaltsdefizit im Schnitt 0,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Staatsschulden sanken stetig, das Land erfüllte die Maastricht-Kriterien durchwegs (im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich) und wies ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum aus“, so das Schweizer Blatt. „Zu sagen, Spanien sei ein notorischer Defizitsünder vom Schlage Griechenlands oder Italiens gewesen, wäre falsch.“

Bereits heute ist das Land nur noch ein Schatten seiner selbst. Spaniens Wirtschaft wird in diesem Jahr um 2,7 Prozent einbrechen und 2012 noch einmal um 1,2 Prozent, errechnet die Citigroup. Ein Viertel der Spanier sind inzwischen arbeitslos, bei den jungen Menschen unter 25 Jahren ist es fast die Hälfte. Und nun droht auch noch das Platzen der Immobilienblase.

Ein Teufelskreis

Mit Sorge blicken längst auch die USA nach Spanien. „Ist Spanien der nächste Brennpunkt in der Euro-Krise?“ fragt sich die „International Herald Tribune“. Auf dem Papier sehe vielleicht alles noch ganz gut aus. „Doch Experten warnen davor, dass eine Kombination der radikalen Sparpolitik mit dem Platzen der Immobilienblase auch in Spanien jenen Teufelskreis in Gang bringen könnte, der Griechenland in die Knie gezwungen hat“, schreibt die Tribune.

Wie konnte es dazu kommen? Ebenso wie Portugal und auch Griechenland versäumte es Spanien in den Jahren nach der Einführung des Euro, die realwirtschaftlichen Grundlagen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu schaffen. Alles Geld floss in den Bau von Immobilien. Junge Männer verließen die Schulen und verzichteten auf eine ordentliche Berufsausbildung, weil sie auf den zahlreichen Baustellen des Landes genug Geld verdienen konnten. Produktions- und Konsumgüter wurden kaum hergestellt. Fast alles, was die Spanier zum Leben brauchten, wurde importiert.

Im Vertrauen darauf, dass es immer so weitergehe, verschuldeten sich die Privathaushalte und die Unternehmen in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Schließlich floss genügend Geld aus dem Ausland ins Land, denn auch die Investoren und europäischen Banken glaubten offenbar an den ewig währenden Bauboom.

Dank der darniederliegenden Wirtschaft kämpfen heute nicht nur die Privathaushalte und Unternehmen, sondern inzwischen auch der spanische Staat gegen die Schulden. Seine Steuereinnahmen sinken bei gleichzeitig steigenden Sozialausgaben. Außerdem fordern die Investoren immer höhere Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen. Das heißt, die Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy muss viel mehr Geld für Zinsen am Kapitalmarkt ausgeben. So etwas hat Folgen.

Die Angst der deutschen Banken

In diesem Jahr wird die Regierung in Madrid das Defizit-Ziel deutlich verfehlen. Obwohl er drastische Sparreformen durchgesetzt hat, kann Ministerpräsident Mariano Rajoy das Haushaltsdefizit auf lediglich 5,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes senken. Brüssel hatte vom ihm 4,4 Prozent gefordert. Und weil das so ist, strafen die Investoren Spanien noch weiter ab.

So beginnt der Teufelskreis, der Griechenland letztlich in den Bankrott geführt hat. Wenn der Staat spart und die Haushalte bestenfalls die Schulden begleichen können, fehlt das Geld zum Konsum, das die Wirtschaft ankurbeln könnte.

Wie sehr die spanische Krankheit die anderen Euro-Staaten treffen wird, zeigt ein Blick auf die Liste der Gläubiger. „51 Milliarden Dollar an spanischen Schulden liegen demnach in Großbritannien, 187 Milliarden in den USA, 224 Milliarden in Frankreich und 244 Milliarden Dollar in – surprise, surprise! – Deutschland“, schreibt der „Tagesanzeiger“ und fügt süffisant hinzu: „Ob Frau Merkel sich dessen bewusst ist?“

Sie ist es, denn nur so erklärt sich die Bereitschaft der Kanzlerin zu weiteren Milliardenhilfen. Wenn Spanien kippt, ist das nämlich auch für deutsche Banken lebensgefährlich.

Wegbrechende Absatzmärkte

Europa ist alles also andere als auf dem Wege der Besserung. Sein Zustand verschlechtert sich zusehends. Der griechische Virus hat längst Portugal und Spanien befallen und droht sie ebenfalls dahinzuraffen. Andere wie Italien haben sich bereits angesteckt. Um 18,9 Prozent sind die Pkw-Zulassungen im Februar in Italien gesunken. Ist das ein Grund zum Optimismus, Herr Monti? Besonders stark betroffen davon sind übrigens die deutschen Hersteller. Audi verkaufte 35 Prozent weniger Autos in Italien, Mercedes verbuchte ein Minus von  14 Prozent und Opel sogar von 40 Prozent.

Warum die Stimmung in der deutschen Wirtschaft angesichts dieser Fakten weiterhin gut ist, bleibt das Geheimnis der Manager und Unternehmer, die dies behaupten. Sehen sie denn nicht, dass ihnen die Absatzmärkte wegbrechen? Oder machen sie’s wie Mario Monti?

Günther Lachmann am 28. März 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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