Die letzten Tage von Athen

Hier geht's zum ZDF-Beitrag "Griechenland - raus aus der Eurozone?" auf YoutubeSeit Wochen und Monaten wird über die Zukunft Griechenlands verhandelt. Aber was genau sich die Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) darunter vorstellen, bleibt bislang ihr Geheimnis.

Die letzte herausragende Bemerkung in diesen Zusammenhang kam von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, die von der griechischen Regierung ein Sparbuch zur Tilgung der Staatsschulden verlangten. Im Kanzleramt verschwand der Vorschlag, die griechische Wirtschaft mit der deutschen Solarförderung anzukurbeln, schnell wieder in der Schublade.

Und so siecht das Land dahin. Nirgendwo scheint einer in der Lage zu sein, es aufzurichten, aber es gibt viele, die es ausbluten. Vorne weg die Griechen selbst. Rund 200 Milliarden Euro sollen die Reichen inzwischen außer Landes gebracht haben.

Das hat sich herumgesprochen. Aus Angst vor der Rückkehr zur Drachme und dem Verlust des Ersparten heben nun auch die Kleinsparer jetzt die letzen Euros ab und verstecken sie lieber unter der Matratze. Die Griechen haben das Vertrauen in sich selbst verloren, wie könnten sie da noch dem IWF, der EZB oder Angela Merkel vertrauen?

Die Troika ist für die Griechen längst zum Inbegriff des Schreckens geworden. IWF und EU wollten ihre Löhne um 25 Prozent senken, behaupten griechische Gewerkschaften.  4,28 Euro beträgt der Mindestlohn in Griechenland pro Arbeitsstunde. Damit liegt er über dem von Spanien (3,89 Euro), Portugal (2,92 Euro) und Malta (3,84 Euro) belegt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Er liegt auch über dem Niveau der Länder Osteuropas, wo die Polen umgerechnet einen Anspruch auf 1,85 Euro Mindestlohn haben, die Ungarn auf 1,61 Euro und die Bulgaren auf gerade mal 0,71 Euro.

Aber diese Vergleiche hinken. „Die Bedeutung des Mindestlohns wird nicht allein durch seinen absoluten Wert bestimmt, sondern auch durch seine Stellung im jeweils nationalen Lohngefüge“, schreibt Böckler-Stiftung. Der griechische Mindestlohn liegt der Studie zufolge bei nur etwa 32 Prozent des Durchschnittslohns von Vollzeitbeschäftigten in Griechenland. Ein schlechteres Verhältnis weist in Europa nur Tschechien auf.

Ein griechischer Arbeitnehmer lebt schon jetzt am Existenzminimum. Künftig soll er dafür auch noch länger arbeiten. Angeblich will die Troika die tägliche Regelarbeitszeit auf zwölf Stunden ausdehnen, berichten Blogger, der Quellen freilich ebenso wenig zu verifizieren sind wie die Angaben der griechischen Gewerkschaften. Auf diese Weise würde der Mindestlohn zusätzlich zu der 25-Prozent-Absenkung noch weiter auf etwas über zwei Euro die Stunde abgeschmolzen.

Ein solcher Schritt hätte fatale volkswirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Angeblich arbeiten nämlich gut 40 Prozent der in der freien Wirtschaft beschäftigten Griechen zum Mindestlohn. Die genannten Maßnahmen würden ihr ohnehin geringes Einkommen weiter schmälern. Sie könnten also noch weniger kaufen, sprich die Nachfrage nach Produktionsgütern und Dienstleistungen würde sinken. Letztlich gingen auch die Einnahmen des Staates zurück.

Den schrumpfenden Einkommen stehen überdurchschnittlich hohe Lebensmittelpreise gegenüber. Im Schnitt sollen sie dreißig Prozent höher sein als in Deutschland.

Eines der ersten Opfer der Krise war das griechische Gesundheitssystem. Inzwischen seien in vielen Kliniken Medikamente und Verbandsmaterial knapp, heißt es. Patienten würden gebeten, diese Dinge selbst zu besorgen. Es gibt Berichte über meterhohe Müllstapel in den Straßen, weil die Müllabfuhr kein Geld mehr für Sprit habe und die defekten Fahrzeuge nicht repariert werden könnten.

Andere schreiben von einer „Sonderverbrauchssteuer“ auf Heizöl. Allein dadurch sei der Heizöl-Preis für private Haushalte um 40 Prozent angestiegen. Eine „Sonderabgabe gebe es inzwischen auch auf Immobilien, und zwar auf jede noch so kleine Behausung. Ihre Besitzer müssten mindestens 0,50 Euro pro Quadratmeter und in „teureren“ Gegenden bis zu zehn Euro je Quadratmeter zahlen. Die Abgabe soll bald auf 20 Euro pro Quadratmeter erhöht werden.

Weiß heißt das alles? Die Pläne der Troika entziehen der arbeitenden Bevölkerung und mit ihr der mittelständischen Wirtschaft auch die letzte verbliebene Wirtschaftskraft. Griechenland wird zur Ader gelassen, von Heilung ist keine Spur.

Im Gegenteil, je mehr Zeit verrinnt, desto mehr verdichtet sich der Eindruck, als gäbe es gar nichts mehr zu retten. Darauf deuten auch die jüngsten Aussagen von EU-Kommissarin Neelie Kroes hin Ihrer Ansicht nach ist ein Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone mehr als wahrscheinlich.

Wenn aber jetzt schon klar ist, dass es nichts mehr zu retten gibt und die vielen Milliarden, die die Finanzmärkte bereits für Griechenland kassiert haben, restlos verloren sind, warum wird dann immer noch verhandelt? Warum wird so getan, als würde tatsächlich um Lösungen gerungen?

Auf diese Fragen gab der ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann am 6. Februar 2012 im „heute-journal“ ganz unspektakulär die einzig plausible Antwort: Das Theater in Athen dient allein dem Zeitgewinn.

Dabei gehe es nicht um die Börsen, die würden eine Griechenland-Pleite überstehen, sagte er. Aber die Banken und Länder wie Portugal oder Italien müssten durch Brandmauern geschützt werden. Dafür bräuchten die Beteiligten noch etwas Zeit. Als erster Schritt werde im März das 700-Milliarden-Volumen des ESM aufgestockt. Unabhängig von dem Fortgang der Gespräche in Athen werde am 20. März das nächste milliardenschwere Rettungspaket an die Griechenland-Gläubiger überwiesen.

Und dann gibt es nur noch einen wichtigen Termin, den Griechenland überleben muss. Es ist die Wahl des Staatspräsidenten am 22. April in Frankreich. Die will sich der Amtsinhaber Nicolas Sarkozy wohl kaum auch noch durch eine Griechenlandpleite zusätzlich belasten.

Dann aber, da ist sich Bethmann sicher, wird Griechenland den Staatsbankrott erklären.

„Um den gegenwärtigen Schuldenstand nicht noch größer werden zu lassen, um ihn also nur zu halten, müsste die griechische Wirtschaft Jahr für Jahr um zehn Prozent wachsen. Daran mag nun wirklich niemand mehr glauben. Griechenland ist tatsächlich das vielzitierte Fass ohne Boden. Und ein Ende dieses Irrsinns wird es wohl erst geben, wenn Griechenland die Währungsunion verlässt“, sagte er.

Seine düstere Prognose ist von einer Schärfe und Klarheit, die keine Hoffnung mehr zulässt. Sie entlarvt die Gesandten der Troika als Boten des Abschieds von Athen. Oder anders gesagt, es gibt nichts mehr zu verhandeln.

Günther Lachmann am 8. Februar 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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