Leiden am kranken System mittelmäßiger Karrieristen

Hier geht's zum Blog von Report MünchenVielleicht ist es ganz einfach so, dass jedes Land den Präsidenten bekommt, den es verdient. Jedenfalls hatte niemand den Italienern einen Silvio Berlusconi aufgezwungen. Seine Wahl und all seine Machenschaften waren die logische Folge von vielen Jahrzehnten verkorkster italienischer Politik. Basta! Und Christian Wulff ist das Ergebnis eines degenerierten Systems, in dem Politik schleichend zum Selbstzweck mediokrer macht- und karrierehungriger Männer und Frauen, kurz zum reinen Postengeschacher verkam. Report München berichtet aktuell, dass die in ihrer Existenz bedrohte FDP in diesen Wochen ihre Leute mit lukrativen Posten in Bundesministerien versorgt. Die Rede ist von „höchst ungewöhnlichen Stellenbesetzungen in FDP-geführten Bundesministerien“.

Handlungs- und gestaltungsfähig aber ist dieses System schon lange nicht mehr. Die überfällige Reform des Gesundheitswesens steht weiter aus, die Riesterrente entpuppt sich als Flop, und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik droht Millionen Menschen Altersarmut, bestätigte die Regierung.
Dieses System reagiert nicht einmal mehr dann, wenn unmittelbare Gefahr für Gesundheit und Leben der Menschen droht.
Oder warum schauen die Abgeordneten und Ministerialbeamten einfach zu, wie das Trinkwasser in Deutschland langsam aber sicher mit Uran verseucht wird? Einem NDR-Bericht zufolge sind schon mindestens ein Viertel, möglicherweise sogar zwei Drittel der Brunnen in Norddeutschland mit Uran aus Düngemitteln kontaminiert. Dabei hatte die Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ schon vor sechs Jahren auf das Problem aufmerksam gemacht.
Wie sonst kann es sein, dass nach Recherchen der Albert-Schweitzer-Stiftung heute 96,4 Prozent der in Deutschland gemästeten Hühner Antibiotika enthalten – im Durchschnitt drei, teilweise bis zu acht verschiedene Wirkstoffe. „Der routinemäßige Antibiotikaeinsatz begünstigt die Entstehung multiresistenter Keime (MRSA), die auch für den Menschen gefährlich werden können“, schreibt die Stiftung.
Wie kann es dazu kommen, dass in deutschen Krankenhäusern jährlich 30.000 Patienten durch eine Infektion mir gefährlichen Keimen sterben?
Dieses System selbst ist krank. Es hat keine Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit, sondern führte in die Schulden- Finanzkrise. Als Teil derselben ist es zu keiner Lösung fähig. Darum kauft die Europäische Zentralbank (EZB) weiter Staatsanleihen, für die kein Investor zu finden ist. Zuletzt für 1,1 Milliarden Euro. Deshalb trauen die Banken den Politikern und sich selbst nicht mehr. Sie entziehen ihr Geld dem Wirtschaftskreislauf und bunkern es lieber bei der EZB. Ausgerechnet diejenigen, die sonst Gewinnmargen von 25 Prozent einstreichen, haben jetzt die Rekordsumme von 481,935 Milliarden Euro für nur 0,25 Prozent Zinsen dort angelegt. Weil die Finanzmärkte eine Eskalation der europäischen Schuldenkrise befürchten, ist der Euro auf den tiefsten Stand seit September 2010 gefallen. In Tokio wurde er zeitweilig mit 1,2687 Dollar bewertet.
Und was plant das System in Gestalt der schwarz-gelben Koalition in diesem Jahr? Nichts wirklich Großes. Hier ein bisschen Mittelstandsförderung, dort ein wenig Entbürokratisierung. Irgendwo steht auch etwas von der Förderung des ländlichen Raumes. Dazu soll es gar eine Arbeitsgruppe geben. Ach ja, und aktuell sucht Finanzminister Wolfgang Schäuble nach einem Weg, auf dem er die selbst gesetzte Schuldenbremse umgehen will.
So funktioniert das System, das einen Bundespräsidenten Christian Wulff und die FDP der Röslers und Lindners hervorbringt. Es ist das System einer politischen Klasse, von der sich immer mehr Wähler abwenden. Zur konstruktiven Arbeit ist es lange schon nicht mehr fähig.

Günther Lachmann am 10. Januar 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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