Abgeordnete bekämpfen Flut von Protestbriefen gegen Euro-Hilfen

Hier geht's zur Europäischen ZentralbankSeit Wochen und Monaten werden die Abgeordneten des Bundestages mit Post aus ihren Wahlkreisen geradezu überschüttet. Tausende Schreiben kommen per E-Mail, aber auch der Briefträger hat gut zu tun. Nur leider handelt es sich nicht um Fanpost, die sich da in den Abgeordnetenbüros stapelt. Die Wähler wollen keine Autogramme, nein, die Briefe sind allesamt Anfragen zutiefst besorgter Bürger, die von ihrem Wahlkreisabgeordneten nur das eine wissen wollen: „Werden Sie sich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages dafür einsetzen, dass die Umwandlung der EU in eine Transfer- und Haftungsgemeinschaft verhindert wird?“

Ein Großteil der eingehenden Post ist gleichlautenden Inhalts. Das liegt daran, dass die Bürger Aufrufen von Gruppen wie „Zivile Koalition e.V.“ http://www.zivilekoalition.de/ oder „Abgeordneten-Check.de“ http://www.abgeordneten-check.de/ gefolgt sind, für die sich etwa die ehemalige CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld engagiert.

Im Grunde genommen ist die Frage leicht zu beantworten, denn sie ist weder missverständlich formuliert, noch lässt sie Raum für Interpretationen. Aber gerade die Klarheit der Fragestellung, die keinerlei Ausflüchte zulässt und entweder ein „Ja“ oder ein „Nein“ erzwingt, bereitet dem ein oder anderen Abgeordneten Kopfzerbrechen.

Denn es geht um den Euro, die europäische Schuldenkrise mit immer neuen Milliardenhilfen für Griechenland. Es geht um die geplante gemeinsame Wirtschaftsregierung der Euroländer, den Rettungsschirm EFSF und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der diesen 2013 ablösen soll. Der ESM ist eine neue Finanzbehörde mit umfassenden Rechten und 700 Milliarden Grundkapital.

Es geht um die demokratischen Rechte der Bürger, sprich um die Absicht von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Euro-Zone zu einer politischen Union zu verwandeln.

Und da wollen die Bürger nun von ihren Abgeordneten wissen, ob sie sich gegen die Politik der Bundesregierung stellen oder in den kommenden Abstimmungen dafür votieren. Das ist ihr gutes Recht. Schließlich haben sie die Abgeordneten als Vertreter ihrer Interessen in den Bundestag gewählt.

„Welt Online“ fragte bei allen Bundestagsfraktionen nach, wie viele Mails und Briefe insgesamt zu dem Thema eingegangen sind und wie die Fraktionen damit umgehen. Geantwortet haben alle Fraktionen mit Ausnahme der SPD. Die Sozialdemokraten mochten sich zu dem Sachverhalt trotz mehrfacher Nachfragen ausdrücklich nicht äußern.

Die Grünen sprachen von 2.500 E-Mails, von denen 2.000 sogenannten Massenmails seien. Bei der CDU/CSU sind deren Angaben zufolge nur seit dem „01.01.2011 mehr als 500 Zuschriften (Mail und Brief) eingegangen. Die Anzahl der Telefonanrufe sei „beträchtlich“. Die FDP gab an, sie habe über das Kontaktformular auf ihrer Internetseite gerade mal 70 E-Mails zur Eurokrise erhalten. Und die Linke schrieb, „bei uns halten sich Protestbrief und –mails gegen die Euro-Politik der Bundesregierung bisher in Grenzen“.

Zu den von Union und FDP genannten Zahlen ist zu sagen: Allein beim CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach sind, wie er selbst bekannte http://www.zeit.de/2011/37/CDU-Bosbach , in nur wenigen Tagen Hunderte Schreiben eingegangen. In der Summe dürften die Regierungsfraktionen die 2.500 Mails der Grünen also leicht übertreffen.

Zu ihrer Rechtfertigung wiesen die Fraktionen darauf hin, keinen Überblick über die direkt bei den Abgeordneten eingegangen Mails und Briefe zu haben. Ebenso unterstrichen sie das Bemühen, möglichst alle Anfragen so individuell wie möglich zu beantworten, auch wenn dabei „Textbausteine“ verwendet würden.

Und die SPD? Nun, deren Fraktion warnt intern eindringlich vor der Kommunikation mit dem  Bürger. In einem Schreiben an die Abgeordneten dazu heißt es: „Derzeit gehen Euch erneut Massenbriefe von „Zivile Koalition e. V.“ zum Thema ,EU-Transferunion – pro oder contra’ zu. Zudem wird aufgerufen, die Frage ,Werden Sie sich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages dafür einsetzen, dass die Umwandlung der EU in eine Transfer- und Haftungsgemeinschaft verhindert wird?’ zu beantworten.“ Schließlich kommt die Fraktionsspitze zu dem Schluss: „Wir raten Euch, weder an dieser Umfrage teilzunehmen noch auf das Schreiben zu reagieren.“

Warum die vom Volk gewählten Abgeordneten sich so verhalten sollen, bleibt das Geheimnis der SPD. Ihr Vorgehen und ihr Schweigen offenbaren jedoch ein zumindest fragwürdiges Demokratieverständnis.

Aber es gibt auch Gegenbeispiele. „Wenn irgendwann die Hauptaufgabe nur noch darin besteht, der Regierung keine Probleme zu bereiten und allem zuzustimmen, wenn man das Gefühl hat, mit Argumenten streust du Sand ins Getriebe, dann hat man seine Aufgabe als Abgeordneter verfehlt“, sagt Wolfgang Bosbach, der zum ersten Mal gegen die Fraktionslinie und damit gegen die Euro-Politik der Regierung stimmen wird. „Jetzt fühlt er sich als Außenseiter, zum ersten Mal seit 17 Jahren“, schreibt die „Zeit“.

Dabei hat er die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer sind 76 Prozent der Deutschen gegen die geplante Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. Die vielen Mails, Briefe und Anrufe sind Ausdruck dieses Volkswillens.

All diese Menschen begreifen nicht, dass eine Regierung und die Abgeordneten des Bundestages nicht aus ihrem fundamentalen Irrtum lernen. Schließlich haben bisher alle Hilfspakete ihre Wirkung verfehlt. Obwohl immer das Gegenteil beschworen wurde, geht Griechenland jetzt doch in den Konkurs! Und trotzdem wird der Bundestag in diesem Monat wohl mit großer Mehrheit für weitere Hilfspakete stimmen.

Günther Lachmann am 13. September 2011 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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