Die einzig wirklich multikulturelle Partei Deutschlands

Hier geht's zur BIG-ParteiBei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September tritt erstmals auch die BIG-Partei an. Sie hofft vor allem auf Stimmengewinne in den Bezirken Kreuzberg und Neukölln. Ein Gespräch mit dem Bundesvorsitzenden Haluk Yildiz über Inhalte und Ziele der BIG-Partei.

Herr Yildiz, warum haben Sie die BIG-Partei gegründet?

Haluk Yildiz: Weil wir der Ansicht sind, dass die etablierten Systemparteien zu viele gravierende Fehler gemacht haben und immer noch machen. Sie haben in der Bildungspolitik versagt. Sie haben in der Finanzpolitik versagt. Sie haben versagt, weil ausgebildete Forscher Deutschland fluchtartig verlassen. Und die haben die demografische Katastrophe zugelassen, um nur einige Punkte zu nennen. Wir wollen dazu beitragen, diese Entwicklungen umzukehren.

 

 Wie?

Yildiz: Wir müssen das Schulsystem reformieren. Bis zur neunten Klasse sollte es nur eine gemeinsame Schulform geben, die sogenannte Gemeinschaftsschule. Die aktuellen Pisa-Studien, in denen gerade die Länder wie Finnland, Kanada oder Japan mit Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschulen regelmäßig die vorderen Plätze belegen, bestätigen unseren bildungspolitischen Ansatz. Die Selektion der Schüler in die verschiedenen Schulformen wirkt sich besonders für sozial benachteiligte Schüler, Migrantenkinder und Kinder mit Behinderungen negativ aus. Wir brauchen beispielsweise bilinguale Schulen. Warum gibt es keine Schulen, die Türkisch, Arabisch oder Polnisch als Zweitsprache anbieten? Alle drei Gruppen sind in der deutschen Gesellschaft stark vertreten, finden sich aber im Bildungssystem nicht wieder.

Schüler können doch bereits an einigen Schulen Türkisch als Fremdsprache wählen…

Yildiz: …aber es sind nur wenige Schulen in wenigen Städten, die diese Möglichkeit bieten.

Wer woanders lebt, bekommt diese Chance nicht. Und das wollen wir ändern. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland ökonomisch davon profitieren würde, wenn Türkisch als Fremdsprache unterrichtet würde. Denken Sie nur an das enormen Wirtschaftswachstum in der Türkei und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Im Übrigen haben wir auch für die Wirtschaftspolitik einen ganz neuen Ansatz.

Der da wäre?

Yildiz: Wir wollen eine Ökonomie ohne Zinsen.

Sie wollen das islamische Bankwesen einführen?

Yildiz: Nein, ein gerechtes Bankwesen. Unser Vorstoß ist nicht religiös motiviert. In Amerika und in Großbritannien wird längst darüber nachgedacht, wie man über Risikobeteiligungen ganz aus dem Zinsgeschäft rausgeht. Ich komme selbst aus der Bank-Branche und sage Ihnen, dass das möglich ist. Schauen Sie, wir haben jetzt schon zwölf Prozent Zinslast. Das heißt, zwölf Prozent der Staatsverschuldung sind Zinsausgaben. Wozu brauchen wir eine Wirtschaft, die zinsbelastet ist? Wir brauchen sie nicht. Und wenn wir keine Zinsen mehr haben, wird es auch keine Inflation in heutigem Sinne mehr geben. Denn Inflation und Zinsen sind Geschwister. Also sollten wir das System ändern. Das braucht Zeit, aber es ist möglich.

 Sie wollen also das gesamte Bankensystem verändern?

Yildiz: Wir verändern es, aber nicht zu deren Ungunsten. Es soll nur endlich fair zugehen. Übrigens gibt es bereits zinslose Banken. In Amerika wird darüber nachgedacht, wie man über Risikobeteiligungen ganz aus dem Zinsgeschäft rausgeht. Das heißt, dass die Banken die Bürger auch tatsächlich an ihrem Gewinn und an ihrem Risiko beteiligen.

 Tun sie das derzeit nicht?

Yildiz: Nein, derzeit geschieht das nicht. Die Banken beteiligen ihre Kunden einseitig nur an ihrem Risiko, nicht am Gewinn. Der Kunde bekommt drei Prozent Zinsen, egal, was die Bank am Ende verdient. Und die Institute selbst streichen 60 oder 70 Prozent Gewinn durch Spekulation ein. Das ist nicht in Ordnung. Das ist die Fortsetzung der Zwei-Klassengesellschaft in der Wirtschaft.

  Sie sehen Deutschland als Klassengesellschaft?

Yildiz: Es ist doch unübersehbar, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Eine kleine Gruppe wird immer reicher, während die Mittelschicht schrumpft. Hinzu kommt, dass die soziale Herkunft in diesem Land über Gegenwart und Zukunft eines Menschen bestimmt. Ich sage ausdrücklich nicht die ethnische Herkunft, sondern die soziale. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, hat keine Chance, aus diesem sozialen Getto auszubrechen. Dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar.

Was wollen Sie tun?

Yildiz: Wir wollen die Bürger direkter und stärker an der Politik beteiligen, wir fordern mehr direkte Demokratie. Dazu gehört, dass wir endlich auch Menschen anderer Nationalität, die seit fünfzig Jahren in Deutschland leben, zu vollwertigen Bürgern dieses Landes erklären. Diese Rechte müssen wir gesetzlich garantieren. Voraussetzung hierfür ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Hätten wir die doppelte Staatsbürgerschaft, hätte dieses Land mindestens eine Million mehr Wahlberechtigte – und eine stärkere, glaubwürdigere Demokratie!

Inwieweit sehen Sie sich als Anwalt der Migranten?

Yildiz: Wir sind eine Partei aller in Deutschland lebenden Bürger. Wir haben 20 Prozent deutsch-deutsche Mitglieder. Gut 60 Prozent unserer Mitglieder sind in Deutschland geboren, haben aber Vorfahren aus anderen Ländern. Die restlichen 20 Prozent sind tatsächlich noch reine Zuwanderer. Insgesamt kommen unsere Mitglieder aus 21 Nationen. Pluralistischer ist keine andere Partei in Deutschland. Außerdem sträube ich mich gegen den Begriff „Migrant“.

Warum?

Yildiz: Was ist denn ein Migrant? Bin ich ein Migrant, nur weil ich türkische Vorfahren habe? Nein! Ich bin Deutscher mit einem deutschen Pass. in Deutschland geboren. Wie könnte ich Migrant sein? Ich denke deutsch, handle deutsch und im Sinne Deutschlands. Meine Vorfahren waren Migranten. Ich bin es nicht. Das ist übrigens einer der großen Fehler in der gesellschaftlichen Debatte, die Nachkommen der Zuwanderer immer noch als Migranten zu bezeichnen. Auf diese Weise gerät die Bezeichnung zu einem Stigma, das ausgrenzt, weil es sagt: Du bis nicht wie wir. Du bist anders. Ich frage: Warum tun wir so etwas? Wir wollen mit dazu beitragen, dass das aufhört.

Dennoch: Welche Rolle spielt ich ihrer Partei die ethnische, kulturelle Herkunft?

Yildiz: Ich würde uns als eine multikulturelle Partei von Menschen mit multiplen Identitäten bezeichnen. Viele haben zwei oder gar drei kulturelle Identitäten, weil die Eltern verschiedener ethnischer Herkunft sind, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen und anderen Kulturen entstammen. So gesehen, sind wir also eine sehr reiche Partei. Wer seine Vergangenheit nicht kennt, kann seine Zukunft nicht selbst gestalten.

Sind viele bei Ihnen, die zuvor bei anderen Parteien waren?

Yildiz: Ungefähr die Hälfte unserer Mitglieder kam aus den beiden großen Volksparteien CDU und SPD zu uns. Zum Teil waren sie 30 Jahren dort aktiv, saßen in Orts- und Kreisvorständen.

Wie begründen sie den Wechsel?

Yildiz: In SPD und CDU sei man ihnen mit Arroganz und Überheblichkeit begegnet, heißt es immer wieder. Die Leute sagen, sie hätten sich ausgenutzt gefühlt. Wenn sie kandidierten, seien sie stets auf wenig aussichtsreichen Listenplätzen gelandet. Ihre Vorschläge würden abgebügelt. Sie klagen auch darüber, dass die Parteiführung die Themen vorgibt, die dann diskutiert werden. Eigene Vorschläge seien eher unerwünscht. Das hat sie frustriert, dass sie ihre politischen Vorstellungen nicht einmal ansatzweise umsetzen konnten.

Woran mag das gelegen haben?

Haluk Yildiz

Haluk Yildiz

Yildiz: Es fehlt einfach eine gewisse Kultursensibilität. Nach außen sagen die etablierten Parteien: Wir haben auch Ausländer bei uns. Die Grünen haben mit Cem Özdemir sogar einen Parteivorsitzenden mit türkischer Herkunft. Aber: Die Grüne Basis hat ihn zuletzt nicht in den Bundestag gewählt. Auf dem grünen Landesparteitag in Schwäbisch Gmünd haben sie Cem Özdemir gleich zweimal einen aussichtsreichen Listenplatz versagt, so dass er dann bei der letzten Bundestagswahl im Wahlkreis Stuttgart I scheiterte.

Und dennoch ist gerade Cem Özdemir das perfekt Gegenmodell Ihrer These, Menschen mit Migrationshintergrund würden in anderen Parteien marginalisiert. Einen höheren Aufstieg als zum Parteivorsitz kann es doch gar nicht geben…

Yildiz: …Cem Özdemir hatte die Unterstützung der Parteispitze. Die haben ihn durchgedrückt, weil sie darin ein strategisches Signal auch an die türkischstämmige Bevölkerung sah. An der Basis hatte er keine Chance. Nach wie vor werden Menschen in Deutschland vornehmlich nach ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Hautfarbe beurteilt. In anderen Ländern schaut man darauf, was ein Mensch mitbringt. Das können berufliche oder menschliche Qualitäten sein. Dass Menschen türkischer Herkunft in der dritten, vierten Generation nicht in Deutschland ankommen können, kann doch nicht allein ihre Schuld sein. Da muss man gesamtgesellschaftlich denken.

 Kern jeder Gesellschaftspolitik ist die Familienpolitik. Wie definieren Sie das Familienbild Ihrer Partei?

Yildiz: Wir definieren Familie als Zusammenschluss von Mann und Frau.

Sie meinen die Ehe zwischen Man und Frau?

Yildiz: Nein, es geht uns nicht unbedingt um den Trauschein. Die Familie ist potenziell in der Lage, Kinder zu zeugen. Deshalb soll unserer Ansicht nach der besondere gesetzliche Schutz der Familie nur für Mann und Frau und deren Kinder gelten. Kinder braucht die Gesellschaft. Wenn es keine Kinder gibt, dann stirbt unsere deutsche Gesellschaft aus.

 Was ist mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften?

Yildiz: Andere Parteien wollen sie mit der gesetzlichen Ehe gleichsetzen. Wir sind dagegen, denn aus diesen Partnerschaften können keine Kinder hervorgehen. Wir haben doch das Partnerschaftsgesetz in Deutschland. Das ist sehr gut. Und dabei sollte es bleiben.

 Wie sehen Sie die Rolle der Frau?

Yildiz: Mutter sein und Berufstätigkeit sollten sich nicht ausschließen. Wir sind sehr dafür, dass Frauen berufstätig sind. Allerdings muss der Gesetzgeber die Voraussetzungen verbessern, etwa mehr Krippenplätze schaffen. Im Gegenzug könnte er steuerrechtlich das Ehegattensplitting abschaffen und die Familie durch mehr Kindergeld fördern.

Ihre Partei tritt jetzt in Berlin zur Landtagswahl an. Wie weit ist sie in Deutschland schon verbreitet?

Yildiz: Wir haben sieben Landesverbände, 35 Kreisverbände. Aus vielen Städten kommen Anfragen von Menschen unterschiedlichster Herkunft, die zu uns kommen wollen. Wir sind gerade mal anderthalb Jahre alt und zählen über 1000 Mitglieder, die Zahl der Sympathisanten ist noch weitaus höher. Vermutlich sind wir die am schnellsten wachsende Partei. Unser Motto ist: „Think BIG – Veränderungen beginnen im Kopf!“

Welche Chancen rechnen Sie sich in Berlin aus?

Yildiz: Unser Ziel ist es, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Dabei setzen wir natürlich auf die Bezirke Kreuzberg, Neukölln und Mitte. Allerdings wissen wir auch, dass die BIG-Partei eine neue „Marke“ ist. Und jede Markeneinführung braucht Zeit.

Günther Lachmann am 18. August 2011 für Welt Online

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

×